- Ostdeutsche Landschaftsbilder
30 Jahre nach ’89 wird in den Museen in Chemnitz, Dresden und Zittau noch einmal über die Malerei der Vorwendezeit nachgedacht
Kurz hinter Kamenz, auf halber Strecke zwischen Dresden und Görlitz, hat sich die deutsche Nachkriegsmalerei tief in die Landschaft eingeschrieben. Inmitten von Seen und Teichen nämlich, eingeklemmt zwischen einem kleinen Feuerwehrhaus und einem alten Campingplatz, liegt Deutschbaselitz. Während der Nazi-Zeit hieß das 500-Seelen-Dorf, das heute Teil der benachbarten Kreisstadt Kamenz ist, für kurze Zeit auch einmal Großbaselitz. Die Zeiten hatten da eben wechselnde Moden; Baselitz aber blieb letztlich Baselitz – genauso wie der bis heute größte Sohn des Dorfes, der Maler gleichen Namens.
1938 war es, da erblickte dieser als Hans-Georg Kern im damaligen Großbaselitz das Licht der Welt. Später, nach einem abgebrochenen Kunststudium in Ost-Berlin und einer Flucht in den Westen, gab er sich den Namen der rücklings liegen gelassenen Heimat: Georg Baselitz also, der Berserker; der Maler, der zwar den Namen seiner Heimat annahm, sonst aber kaum ein gutes Haar an ihr lassen sollte: In der DDR, so wetterte er 1990 in einem damals viel beachteten Interview mit dem Kunstmagazin „art“, habe es keine guten Künstler gegeben. All die guten seien schließlich weggegangen; und zurückgeblieben seien die „Jubelmaler“, die „Arschlöcher“, wie er sie in der Wucht seiner Erregung genannt hat.
Westdeutsch dominierter Kunstbetrieb?
30 Jahre ist das jetzt her. Doch die Moden gingen, und die Wunden blieben. Und auch Baselitz hielt weiter stand – der kleine Ort in der Oberlausitz; der Prophet von gleichem Namen und gleichem Holz. Von derlei Sehergestalten hat es unter dem weiten Himmel der Lausitz viele gegeben: Einen Steinwurf von Deutschbaselitz entfernt gen Osten etwa wurde 1941 Markus Lüpertz geboren, einen Steinwurf gen Süden Gerhard Richter. Vielleicht wirkt in dieser Lausitz ein Genius Loci – ein Geist, der die Menschen kreativer, oft aber auch flüchtiger hat werden lassen. Denn weggegangen sind irgendwann alle. Und so ist die Oberlausitz heute wie eine Welt ohne Autor. So jedenfalls wird es immer wieder kolportiert. Und so will es wohl auch die Geschichte von der deutschen Nachkriegsmalerei; die Geschichte, die man indes 40 Kilometer südwestlich im Dresdener Albertinum auf diese Weise nicht mehr erzählen mag.
In einem der wichtigsten deutschen Museen für die Kunst von der Romantik bis zur Gegenwart nämlich will man sich seit geraumer Zeit wieder auf die modernen Facetten in der Kunst der einstigen DDR besinnen. Es war Ende 2017, als in der Sächsischen Zeitung eine viel beachtete Erregung erschienen war: Der Dresdener Kulturhistoriker Paul Kaiser hatte darin behauptet, dass in den Ausstellungshäusern des Ostens ein „westdeutsch dominierter Kunstbetrieb“ eingezogen sei. Dieser zeige zwar Baselitz, Richter und all die anderen West-Gänger, ignoriere aber alles, was an progressiver Kunst im ehemals kleineren Deutschland entstanden sei. Drei Generationen ostdeutscher Maler seien aus den Museen und den Erinnerungen verschwunden. Und das hier: im Albertinum, dem vom sächsischen Baumeister Adolph Canzler errichteten Prunkbau am östlichen Ende der Brühlschen Terasse.
Das Eldorado der Moderne
Zwischen 1953 und 1988 hatten in dem Museum die großen „Kunstausstellungen der DDR“ stattgefunden – sozialistische Leistungsschauen, bei denen nicht nur das Edeldekor eines Walter Womacka oder Rudolf Bergander zu begutachten war, es gab hier auch die großen narrativen Leinwände aus den Ateliers der Leipziger Schule – all die Heisigs, Mattheuers und Tübkes. Und später, kurz vor dem Exitus der DDR, wurden von den Direktoren sogar konstruktivistische Gemälde von Hermann Glöckner oder Werke Konkreter Kunst vom jüngst verstorbenen Karl-Heinz Adler angekauft.
Wenn Sozialisten träumten, so die jetzt wieder lauter vorgetragene Überzeugung, seien eben nicht nur kitschige Szenerien fantasiert worden; die Kunst unter dem geteilten Himmel der Diktatur habe durchaus inhaltliche und formale Vielfalt gehabt. Ostland war eben Nischenland, daran konnten auch die radikalen Interventionen der Kulturfunktionäre und Parteieliten nichts ändern. Hilke Wagner, seit gut vier Jahren Leiterin des Albertinums, weiß daher um viele spannende Trampelpfade, die selbst noch den legendären „Bitterfelder Weg“ umschiffen konnten. In den letzten Jahren hätten sie diese andere Ost-Kunst zu vielen Ausstellungen inspiriert – darunter etwa die aktuell gezeigte Ausstellung „Medea muckt auf“. Gerade Dresden, sagt Wagner, habe immer schon eine reiche und moderne Tradition gehabt. Die sei auch zwischen 1949 und 1990 niemals ganz von der Bildfläche verschwunden. Und dann reiht die im westdeutschen Kassel geborene Museumsdirektorin einen Kulturschatz auf, der einst das angeblich so barocke Elb-Florenz zum Eldorado der Moderne hat werden lassen: die Künstlervereinigung Brücke und die Gartenstadt Hellerau, Otto Dix und Ernst Ludwig Kirchner, die ersten Ausstellungen zum abstrakten Konstruktivismus, die frühesten Privatsammler von Kandinsky, Lissitzky, Mondrian. All das war und ist Dresden. Und all das hat selbst die legendäre Formalismusdebatte in der DDR nicht kleinkriegen können.
Subkulturelle Einflüsse in Karl-Marx-Stadt
Dabei hatte sich manch Chef-Sozialist damals wirklich bemüht: „Die Grau-in-Grau-Malerei, die ein Ausdruck des kapitalistischen Niedergangs ist, steht im schroffen Widerspruch zum heutigen Leben in der DDR“, meinte etwa 1951 Walter Ulbricht in einer kulturpolitischen Rede vor der DDR-Volkskammer. „Wir brauchen weder Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen.“ Dabei schien man diese Mondlandschaften schon wenige Jahrzehnte später eigenhändig zu produzieren. In den Industrieregionen nämlich – in Bitterfeld oder Karl-Marx-Stadt – entstanden in den 70er- und 80er-Jahren immer mehr realexistierende Öko-Apokalypsen. Zugleich aber hatte sich genau hier auch eine Kunstszene angesiedelt, die einzigartig war in Ostdeutschland: In gewisser Weise, meint aus der Rückschau Frédéric Bußmann, Generaldirektor der Kunstsammlungen Chemnitz, sei man im damaligen Karl-Marx-Stadt immer ein Stück unter dem Radar geflogen. „Die Stadt war aus zweierlei Gründen interessant: Zum einen gab es hier die Kunstsammlung des Staatskombinats Wismut, zum anderen hatte man keine Kunsthochschule.
In Verbindung mit einer Gruppe von offener denkenden Künstlern im Verband hat das Karl-Marx-Stadt für subkulturelle Einflüsse geöffnet.“ Das prominenteste Beispiel: die Dada-Experimentalisten rund um die Band AG Geige – damals die vermutlich schrillste Mischung aus genialen Dilettanten und „Soz-Avantgarde“, von heute aus betrachtet aber auch Frühindikator für den bevorstehenden Kollaps einer Gesellschaft. Bußmann gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er über die einstige Off-Szene der Stadt erzählt – über die Künstlergruppe Clara Mosch mit ihrem damaligen Starkünstlern Michael Morgner und Carlfriedrich Claus oder über die noch heute in Chemnitz ansässige Galerie Oben. Derlei Initiativen hätten schon weit vor ’89 wichtige Impulse in die Stadt getragen – in eine Stadt, die in ihren Wurzeln ohnehin immer modern gewesen sei, nicht zuletzt wurden hier ja in den 1880er-Jahren die späteren Brücke-Künstler Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner geboren.
In den Nischen blieb man widerborstig
Doch was hatte man nach 1949 nicht alles gegen solch Modernisten ins Feld geführt: Unvergessen etwa jener Zeitungsartikel aus der Täglichen Rundschau von 1949, mit dem der sowjetische Kulturoffizier Alexander Dymschitz die sogenannte Formalismusdebatte eröffnet hatte. Es war ein Pamphlet gegen alles Moderne: gegen Salvador Dalí, in dem Moskaus oberster Kunstwächter nur einen „Lobsänger Hitlers“ erblicken wollte, ja selbst gegen „die zerhackten Gesichter“ und „die Schielaugen“ auf den Leinwänden von Pablo Picasso. Dabei ließ sich auch damals sicherlich über Geschmack trefflich streiten; Stilvorgaben aber – zumal aus Moskau – schienen unhinterfragbar zu sein. Und so sind gerade in den 50er-Jahren unzählige Maler, Bildhauer und Fotografen der neuen ästhetischen Marschroute blind gefolgt. In den Nischen aber blieb man widerborstig. Ein Blick in die Schausammlung der Städtischen Museen Zittau macht deutlich, wie besonders in der sonst eher ländlichen Oberlausitz Kubismus und Surrealismus auch nach der Dymschitz-Debatte fortleben konnten.
Peter Knüvener, heute Direktor der in einem alten Franziskanerkloster untergebrachten Zittauer Museen, zieht einige Bildwerke aus dem Depot: Collagen des vor drei Jahren verstorbenen Grafikers Peter Israel etwa. Ein flüchtiger Blick genügt bereits, und man erkennt die unverkennbaren Einflüsse von Magritte oder DalÍ auf die oft traumverloren wirkenden Bilder. Dann folgen weitere Arbeiten. Übersichtlich sortiert hängen sie an einer provisorischen Schauwand. „Hier sehen Sie einige Highlights aus der Vorwendezeit“, sagt Knüvener. Man schaut auf naiv gemalte Gesichter, weibliche Silhouetten, Schattenrisse. Bald erkennt man auch die vermeintlichen „Schielaugen“, die Alexander Dymschitz wohl im Sinn gehabt hatte, als er vor 70 Jahren die großen Gemälde Picassos in Bausch und Bogen verdammte.
Der Genius Loci in der Oberlausitz
Im unterkühlten Zittauer Schaudepot hängen indes keine Picassos; es sind Bilder eines Querkopfes, der für viele längst zu den einflussreichsten Künstlern in der einstigen DDR gezählt wird: Jürgen Böttcher, ein umtriebiger Maler, Grafiker und Filmemacher, der nicht nur zum Lehrer des später ausgebürgerten A.R. Penck werden sollte, Böttcher selbst hat ein schier unerschöpfliches Werk aus Zeichnungen, Radierungen, Übermalungen und Filmen hervorgebracht, das gerade jetzt wieder von manch einem ostdeutschen Museum neu entdeckt worden ist.
Vielleicht, sagt Knüvener, sei es ja der Genius Loci, der hier in der Oberlausitz all diese eigenwilligen Talente hervorgebracht habe. Der Geburtsort von Böttcher jedenfalls liegt nur einen Steinwurf von Zittau entfernt: Strahwalde, ein Flecken Erde, eingeklemmt zwischen einem alten Schloss und einer Kirche. Es war im Jahr 1975, als Jürgen Böttcher das „h“ aus seiner Heimat strich und sich den Rest des Namens ans Revers hing. Fortan signierte er seine Bilder mit Strawalde. Ein Ort. Ein Prophet. Ein gleicher Name. So ist das halt in der Oberlausitz – in der luftigen Landschaft unter weitem Himmel, in der die Nachkriegsmalerei aus Ost wie West wie friedlich nebeneinanderliegt.
Ausstellungstipps: Die Ausstellung „Medea muckt auf. Radikale Künstlerinnen hinter dem Eisernen Vorhang“ ist noch bis zum 31. März 2019 in der Dresdener Kunsthalle im Lipsiusbau zu sehen. Gezeigt werden Werke von 36 Künstlerinnen und Künstlerinnengruppen, u. a. von Tina Bara, Sibylle Bergemann und Hanne Wandtke.
Werke von Peter Israel werden ebenfalls bis zum 31. März 2019 in der Ausstellung „Salvador Dalí. Grafische Traumwelten“ im Kulturhistorischen Museum Görlitz und in den Städtischen Museen Zittau zu sehen sein. Das Gemeinschaftsprojekt zeigt neben 300 druckgrafischen Werken Dalís auch die Einflüsse des Surrealisten auf die Kunst in der Lausitz
Dies ist ein Artikel aus dem Sachsen-Sonderheft „Einblicke“ von Cicero und Monopol.
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