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Reformstau - Deutschlands Zukunftsfähigkeit ist in Gefahr

Die europäischen Nachbarländer taumeln durch die Krise. Aber auch Deutschland muss aufpassen, dass es sich nicht zu sehr auf seinen Erfolgen von gestern ausruht

Daniel Stelter

Autoreninfo

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

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Europa blickt nach Italien. Mit Matteo Renzi scheint sich endlich jemand an die Macht zu boxen, der es mit Reformen ernst meint: „Bis Ende Februar werden wir die dringenden Arbeiten an den Reformen des Wahlrechts und der Institutionen durchführen, im März die Reform des Arbeitsmarktes, im April die öffentliche Verwaltung und im Mai die Steuer“, sagte er, nachdem er den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen hat. Endlich – sagen alle Kommentatoren – wird Italien saniert. Nötig ist es. Schließlich erlebt das Land eine Rezession, die schlimmer ist als die Krise in den 1930er Jahren und das, nachdem die Wirtschaft bereits seit mehr als einem Jahrzehnt stagniert. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Jugend hangelt sich von Praktikum zu Praktikum, die Industrie hat durch permanent steigende Löhne die Wettbewerbsfähigkeit verloren, das politische System ist verkrustet und allen Sparerfolgen zum Trotz steigt die Staatsverschuldung relativ zum BIP ungebremst an. Ohne Wachstum wird Italien den Teufelskreislauf immer weiter steigender Verschuldung und wirtschaftlicher Stagnation nicht durchbrechen. Bleibt zu hoffen, dass die Reformen wirken.

Der deutsche Blick von oben
 

Aus deutscher Perspektive neigt man gerne dazu, die Krisenländer Europas von oben herab zu betrachten. Haben wir nicht bewiesen, wie beherzte Reformen wirken und stehen jetzt so gut da, dass alle sich an uns als Vorbild orientieren sollen? Doch ist diese Haltung fehl am Platze. Deutschland taugt nur dann als Vorbild, wenn wir uns mit den Problemländern in der Nachbarschaft vergleichen. Im vergangenen Monat ist die Industrieproduktion um 0,6 Prozent gesunken, der Einzelhandel vermerkte einen Umsatzrückgang von 2,5 Prozent. Die Wirtschaft ist im letzten Quartal um gerade mal 0,25 Prozent gewachsen. Ziemlich schwache Werte für den vermeintlich „starken Mann“ Europas. Und auch strukturell sieht es für Deutschland nicht so positiv aus, wie wir es uns gerne vormachen. Die Energiewende wird uns mit gut einer Billion Euro belasten.

Die europäische Solidarität dürfte am Ende ebensoviel kosten. Hinzu kommt die sehr schlechte demografische Entwicklung. Im Jahre 2050 werden 57 Rentner auf 100 Erwerbstätige kommen – verglichen mit rund 30 heute. Das ist zwar besser als in Italien (62) aber deutlich schlechter als in Frankreich (43) und England (40). Schon im Jahr 2009 betrugen die ungedeckten Verbindlichkeiten für die Kosten einer alternden Gesellschaft fast 400 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts – übrigens deutlich mehr als in Italien (250 Prozent), dank großzügiger Sozialleistungen bei uns. Die Politik der Großen Koalition hat diesen Wert gerade noch einmal deutlich erhöht.

Deutschland muss den Wohlstand sichern
 

Wir bräuchten unseren eigenen Matteo Renzi, um Deutschland zukunftsfähig zu machen und den Wohlstand zu sichern. Natürlich wäre das Programm anzupassen, aber so unähnlich wäre es nicht. Der Bundestag ist viel zu groß und ein Land wie Deutschland ließe sich problemlos mit einem kleineren Parlament regieren. Keine Neuigkeit, doch sind alle Reformversuche bisher an den Fröschen – den Parlamentariern – gescheitert, die bekanntlich nicht den eigenen Sumpf trocken legen wollen. Eine Föderalismusreform ist immer wieder mal auf dem Tisch und wird von anderen Fröschen aber aus gleichem Grund wieder ad acta gelegt. Ein schrumpfendes Land mit horrenden Schulden kann sich nicht mehr beliebig viele Bundesländer leisten. Und schon gar nicht eine Zersplitterung des Schulsystems, welches einen Umzug von Bremen nach Bayern zu einem Lebensrisiko macht. Unser Arbeitsmarkt ist nicht zuletzt dank der Reformen der Agenda 2010 deutlich flexibler geworden. Doch statt an diese Erfolge anzuknüpfen, drehen wir sie zurück: Mindestlohn als Stichwort. Auch Zuwanderung muss sein, aber mit Schwerpunkt auf das Anlocken von Leistungswilligen. Eine pauschale Abwertung aller Zuwanderer aus Wahlkampftaktik richtet hier großen Schaden an.

Auch eine Reform der öffentlichen Verwaltung würde uns gut zu Gesicht stehen. Schon allein aus demografischen Gründen können wir es uns nicht leisten, einen großen Teil der Erwerbsbevölkerung mit der Umverteilung statt der Generierung von Wohlstand zu beschäftigen. Gegensteuern, wie zum Beispiel durch die Einführung von Grundeinkommen, braucht Zeit, bis die Effekte voll zum Tragen kommen.

Von der Steuererklärung auf dem Bierdeckel träumen Bürger und Politiker schon lange. Auch wenn die Behauptung, dass 70 Prozent der weltweit existierenden Steuerliteratur auf Deutsch erscheint, nicht stimmt, sollten wir dringend an die Reform gehen.

Angesichts der Demografie brauchen wir als Nation eine maximale Effizienzsteigerung. Doch die Politik schaut nur auf die andere Folge der Demografie: die Mehrheit der Wähler ist alt. Und deshalb werden Wohltaten verteilt, die wir uns nicht leisten können. Die andere große Wählergruppe sind Leistungsempfänger und -umverteiler. Da wird es schwer für die Politik, das Richtige zu tun. Wir werden unseren Matteo Renzi bekommen, aber erst dann, wenn auch wir wie Italien keinen anderen Ausweg mehr sehen. Und wie in Italien wird sich dann die Frage stellen: ist es schlicht zu spät?

 

 

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