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SPD-Zentrale Willy-Brandt-Haus - Ein Hort des Schreckens

An Bord sind sie ins Scheitern verliebt. Das Berliner Willy-Brandt-Haus der SPD: Zentrale der Lähmung und des Schreckens

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Was für eine Kraft dieses Gebäude ausstrahlt. Wie ein Schiffsbug pflügt es die Wilhelmstraße zur einen und die Stresemannstraße zur anderen Seite. Die Kuppel oben auf der Nase des Bugs sieht aus wie eine Kommandobrücke, von der aus der Kapitän dieses Schiff durch die Straßenzüge Berlins steuert. Oben weht die rote Fahne der SPD im Herbstwind.

Da liegt die Parteizentrale der Bundes-SPD: Das Willy-Brandt-Haus in Berlin, der Name soll Tradition und Kraft signalisieren. Aber wenn man einmal drum herum geht und in die Fenster schaut, dann hält das mächtige Gebäude vor allem Komik bereit. Im Bürgerbüro Kreuzberg-Friedrichshain sitzt ein grau melierter Mann im Ringelpulli an einem Bistrotischchen vor seinem aufgeklappten Laptop, einer Kaffeekanne und einer Bierflasche. Das Bistro „Willy’s“ hat schon geschlossen, aber die Leuchtreklame des Reisebüros daneben – ein SPD-Emblem auf einem weißen Koffer – leuchtet noch über einem Plakat der MS Azores, die „Reisen mit persönlicher Note“ verspricht. Links davon liegen auf einem Grabbeltisch des „Image-Shops“ SPD-rote Wurstbrotdosen („Ganz mein Geschmack“) neben roten Badelatschen, die für 3,99 Euro zu haben sind – wie jemand mit einem roten Filzstift auf eine Ringbucheinlage geschrieben hat, die am Grabbeltisch pappt.

Von hier aus wollte die SPD die Macht in Deutschland erringen. Von diesem Ort der pompösen Piesepampeligkeit wollte sie das Kanzleramt erobern. In Wahlkampfzeiten verwandeln sich Parteizentralen von einem Verwaltungsapparat in Kampfmaschinen. Jedenfalls, wenn alles richtig läuft. Bei der SPD ist nicht alles richtig gelaufen, das kann man bei einem Wahlergebnis von 25,7 Prozent ohne Risiko sagen. Manche sagen sogar, es ist der schlechteste Wahlkampf gewesen, den in der Bundesrepublik je eine Partei geführt hat.

„Welcher Wahlkampf?“, fragt einer, der hinter diesen Mauern arbeitet und durch die gläserne Drehtür geht. Es sei Zeit, fügt er hinzu, die Niederlage ehrlich zu analysieren, statt bei den Fehlern des Kandidaten stehen zu bleiben. Denn es ist viel mehr schiefgelaufen. „Aber zu der Analyse wird es wieder nicht kommen“, sagt er. Dieser Jemand darf wie alle Gesprächspartner aus diesem Haus keinen Namen und kein Gesicht haben. Denn so ehrlich läuft die Aufarbeitung nicht, dass jemand, der die Dinge beim Namen nennt, nichts zu befürchten hätte.

Eine Zentrale ist strukturell ein schwieriges Gebilde. „Bullshit Castle“ hat der frühere Daimler-Boss Jürgen Schrempp einmal den Firmensitz seines Unternehmens genannt. Schrempp kannte nicht das Zuhause der ältesten Partei Deutschlands. Die Beschreibung trifft aber auch auf die Behausung der SPD zu. Im Willy-Brandt-Haus spiegeln sich alle Probleme der Partei. Hier haben sich die Sedimente der zuletzt häufig wechselnden Parteivorsitzenden abgelagert und sind zu Gestein ausgehärtet.

Knapp 200 Leute haben es sich in diesem Haus eingerichtet. In einer Parteizentrale sollten Ideen, Stimmungen und Wünsche aus den Gliederungen der Partei zusammentreffen, damit daraus Politik entsteht. Hier müsste die Politik zu einer schlagkräftigen Strategie werden. Den Landesverbänden und Unterbezirken würde die Zentrale helfen, zu planen, zu organisieren, sich auszurüsten, auf dass man gemeinsam in See sticht. Vorneweg das stolze Flaggschiff mit der stärksten Mannschaft, bei der jeder Handgriff sitzt und in der jeder für den anderen einsteht.

Aber so ist es nicht. Die Zentrale der SPD gleitet wie ein Geisterschiff dahin, das keinen klaren Kurs hat, sondern einer seltsamen, jenseitigen Logik folgt.

Niemand will ihm zu nahe kommen. Alle Versuche, es mit Leben zu füllen, es neu zu bauen, scheitern seit Jahrzehnten.

Selbst der Umzug nach Berlin 1999 konnte daran nichts ändern. Dabei wurde fast die Hälfte des Personals ausgetauscht, aber irgendwie blieb die Parteizentrale immer die „Baracke“, die sie vor Jahrzehnten in Bonn buchstäblich war. Die Schlagzeilen aus der guten alten Zeit, als noch ausgeschnitten und auf Papier archiviert wurde, sind vergilbt, aber sie lesen sich wie frisch gedruckt. „Blühender Frust“, „Engholms schwieriger Start in der SPD-Baracke“, „Die ausgezehrte Bonner SPD-Baracke“. Man könnte meinen, die fehlende Schlagkraft dieser Parteizentrale ist eine Erbkrankheit, die von Bonn mit nach Berlin genommen wurde.

Einzig die Zeit, als Franz Müntefering die Zentrale führte, wird von vielen Insassen und vor allem von jenen, die dem Haus achselzuckend den Rücken gekehrt haben, als Phase wahrgenommen, in der sich die Kraft einigermaßen entfaltete. 1996 hatte Müntefering als Bundesgeschäftsführer in Vorbereitung auf den Wahlkampf 1998 sogar den Klassenfeind ins Haus geholt. Eine Zürcher Unternehmensberatung nahm sich die Parteizentrale ein Jahr lang vor. Arbeitsauftrag: „Die Aufgaben einer modernen Parteizentrale zu definieren und Vorschläge zu entwickeln, wie diese Aufgaben möglichst optimal erfüllt werden können.“

Gleichzeitig quartierten Müntefering und seine engsten Mitarbeiter, allen voran der heutige thüringische Wirtschaftsminister Matthias Machnig, die Wahlkampfzentrale vorsichtshalber aus der Bonner Baracke aus. 100 Meter weiter nahm die „Kampa“ ihre Arbeit auf, an der Fassade des Hauses zählte eine große Digitaluhr die Tage, die Helmut Kohl bis zur Abwahl blieben. Es folgten Jahre, in denen die SPD in der Lage war, Wahlen zu gewinnen. 2002 war die Partei längst von Bonn nach Berlin gezogen, aber Münteferings Strategen schätzten die Kraft des Neuanfangs im neuen Haus so nüchtern ein, dass sie eine Kampa 02 für nötig hielten. Sie wurde an der Oranienburger Straße errichtet, im vibrierenden Berlin-Mitte, fern vom muffigem Parteigeruch. Dort sollten junge Leute Rot-Grün gegen Edmund Stoiber verteidigen.

Aus dieser Zeit ist die Erkenntnis geblieben, dass Erfolge der Partei woanders organisiert werden müssen, möglichst weit weg vom Willy-Brandt-Haus. Im Kanzleramt, in einer Staatskanzlei oder eben in einer Kampa. Die Münte-Boys von damals hat es in alle Winde verstreut. Sie reden heute noch mit leuchtenden Augen von diesen Zeiten und bekommen matte Blicke, wenn sie über das Heute reden. „Die sind in der Birne nicht klar gewesen“, seufzt der eine und meint die Leute in der Parteizentrale. Es habe ein gebrochenes Verhältnis zu den elf Jahren Regierungszeit und zur Agenda 2010 gegeben, konstatiert ein anderer. Außerdem habe sich das Haus seit jeher lieber als Denkfabrik verstanden – man könnte auch sagen: Bedenkenträgerfabrik. Das Adenauer-Haus der CDU dagegen funktioniere als Dienstleister: „Da steckste oben einen Befehl rein, dann rennen die!“

Als Beleg wird eine Szene des Buchautors und FAZ-Journalisten Nils Minkmar angeführt, der Peer Steinbrück über ein Jahr begleitet hat. Einmal bekam er einen Anruf aus dem Büro des Kanzlerkandidaten im Willy-Brandt-Haus. Eine Dame fragte ihn nach seiner E-Mail-Adresse. Das ist allein schon ein sonderbares Zeichen, weil solche Adressen bekannter „Kunden“ eigentlich in einem gut organisierten Haus für alle Wahlkämpfer zugänglich sein sollten. Dann aber bat die Dame Minkmar zu dessen Erstaunen auch noch um eine Handynummer – die Nummer jenes Handys, auf dem sie ihn gerade erreicht hatte.

So etwas ist ein Indiz für große Versäumnisse. Dafür, dass hier jeder vor sich hin arbeitete. Dazu kam etwas, das ein Kundiger einen „Bandsalat im Brandt-Haus“ nennt. Bandsalat, das meint die wechselseitige Lähmung der drei bis vier Kraftzentren im Haus.
Da sei zum einen der Vorsitzende Sigmar Gabriel, dessen Sprunghaftigkeit und Lust am Alleingang dem ganzen Haus den letzten Nerv rauben. Gabriel habe permanent neue Arbeitsaufträge vergeben, die ihn kurz danach schon nicht mehr interessierten. Dazu das „Lauerverhältnis“ zur Generalsekretärin Andrea Nahles, die ihm so wenig über den Weg traut wie er ihr. Das Misstrauen führte dazu, dass sich die beiden nicht einmal auf einen Bundesgeschäftsführer einigen konnten. Diese Schlüsselposition ist seit Jahren unbesetzt. So zehrte Nahles ihre Kräfte erstens damit auf, dem Aktionismus des Vorsitzenden hinterherzuräumen, und zweitens, das Haus nach innen zu führen. Was eigentlich die Aufgabe des Bundesgeschäftsführers wäre.

Das Durcheinander verstärkte sich, weil Peer Steinbrück eigene Leute mit an Bord brachte. Sie wurden von der Stammbesatzung teils wie Aussätzige behandelt, der Steinbrück-Berater Roman Maria Koidl war in Kürze erfolgreich vergrämt. In drei Lager zerfiel so das Haus. Als einzig wirkliche Macht im Wirrwarr erwies sich die Schatzmeisterin Barbara Hendricks. Sie habe in Wahrheit durch ihre Geldvergabe den Laden gesteuert, resümiert ein Zeuge die Ereignisse.

Man müsse ins Gelingen verliebt sein, hat Gerhard Schröder seiner Partei immer gesagt. Weil er ihr Wesen so genau kannte. Denn auf eine Art ist es mit der Zentrale der SPD wie mit ihrem ganzen Gestus: Sie leidet lieber, als dass sie sich ein Herz fasst, sich hinter dem Kanzlerkandidaten schart und ihn zum Wahlsieg trägt. Wenn die Generalsekretärin Andrea Nahles Ministerin wird, steht ihr Nachfolger vor einer Aufgabe in diesem Haus, so gewaltig wie der Bug, der durch die zwei Straßen von Berlin pflügt.

 

 

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