- „Ich wollte nie jemanden schockieren“
Regisseur Michael Haneke ist mit seinem neuesten Film „Happy End“ wieder für das Oscar-Rennen vorgeschlagen. Doch bei den Kritikern kam das sarkastische Stück nicht gut an. Im Interview erzählt Haneke, ob ihn das trifft und was er mit dem Film sagen wollte
Für „Das weiße Band“ bekam Filmemacher Michael Haneke 2009 in Cannes die Goldene Palme, einen Golden Globe und eine Oscar-Nominierung. Mit „Liebe“ wiederholte der 75-jährige Österreicher vier Jahre später den Erfolg und setzte ihm mit dem Oscar-Gewinn die Krone auf. Nun wurde auch sein neuester Film „Happy End“ für das Oscar-Rennen vorgeschlagen. Mit gewohnter Schärfe zeigt Haneke darin eine Familie in Calais. Die vornehme Sippe lügt und betrügt – Luxusprobleme im Kontrast zu den Flüchtlingsschicksalen, die sich dort ebenfalls zutragen.
Herr Haneke, beim letzten Oscar sagten Sie, damit bekäme man beim Metzger immerhin ein besseres Stück. Wie sind Ihre Hoffnungen diesmal mit „Happy End“?
Ich mache mir keine Hoffnungen, das habe ich auch beim letzten Mal nicht getan. Bei dieser Wahl gibt es sehr viele unberechenbare Faktoren, der Oscar ist ein bisschen wie russisches Roulette. Aber wenn es passiert, soll es mir recht sein. Ich hätte nichts dagegen. (Lacht)
Die Reaktionen, insbesondere der deutschen und französischen Kritiker bei der Premiere in Cannes, waren wesentlich weniger euphorisch als sonst. Wie erleben Sie solche Verrisse?
Es ist immer so: Wenn die Bäume in den Himmel wachsen, werden Sie zurechtgestutzt. Das habe ich schon mehrfach erlebt. Man freut sich nicht darüber, kann aber damit leben. Schlimm sind solche Reaktionen, wenn man Anfänger ist. Dann schadet das wirklich. Hinzu kommt, dass die französischen Kritiker meine französischen Filme traditionell gerne verreißen – während sie meine deutschsprachigen Filme immer lieben.
WhatsApp spielt eine große Rolle in Ihrem Film, wie gut beherrschen Sie selbst dieses Kommunikationsmittel?
Ich bin kein Experte, ich habe mich eben schlau gemacht. Dieses Wissen ist erforderlich, wenn man einen Film über Kommunikation im Internet macht. Persönlich bevorzuge ich das direkte Telefongespräch.
Der britische Guardian befand den Film „so mitreißend wie eine teuflische Soap-Opera“ – wären Sie damit einverstanden?
Mir ist jede Interpretation recht. Der Zuschauer liegt im Prinzip immer richtig, er hat den Film gesehen und seiner Meinung würde ich nie widersprechen. Meine eigene Vorstellung ist völlig belanglos. Ein Film ist schließlich nicht fertig auf der Leinwand, sondern erst im Kopf des Publikums. Das verhält sich in der Literatur ganz ähnlich: Es gibt immer so viele Bücher, wie es Leser gibt.
An einigen Stellen im Film wird gelacht – hatten Sie das erwartet?
Ich freue mich über die Lacher, weil sie etwas bewirken. Man lacht ja entweder, weil man amüsiert oder überfordert ist – und beides ist gut! Der Film ist eine Farce, die komisch und traurig zugleich ist. Es gibt etliche Stellen mit sarkastischem Humor, wobei die Reaktionen ganz unterschiedlich ausfallen. Bei einigen Vorstellungen wird kaum gelacht, bei anderen sehr viel.
Muss man sich Michael Haneke als fröhlichen Menschen vorstellen?
Fröhlich wäre vielleicht ein großer Begriff. Aber ich gehe jedenfalls nicht in den Keller, um zu lachen. Die Leute, die mich kennen, finden mich eigentlich ganz lustig. Wobei es völlig gleichgültig ist, wie ein Regisseur oder Autor privat ist. Deren Biografie scheint mir wenig hilfreich für das Verständnis ihrer Arbeit.
Wären Sie mit dem Prädikat „Moralist“ einverstanden?
Der Begriff wird meist im negativen Kontext gebraucht und geht häufig in Richtung Oberlehrer. So empfinde ich mich überhaupt nicht. Ich denke allerdings schon, dass es moralische Kriterien gibt für die Produktion von Kunst. Dazu gehört besonders, den Rezipienten ernst zu nehmen. Man darf den Zuschauer im Kino nicht für dumm verkaufen.
Wäre „Radikaler“ eine treffendere Bezeichnung?
Soll mir recht sein.
Einmal mehr fällt die besondere Titelwahl auf. Wie lange brauchen Sie, um die passende Überschrift für einen Film zu finden?
„Happy End“ kam schnell, das fiel mir bereits während des Schreibens vom Drehbuch ein. Ein sarkastischer Titel passt doch ganz gut für einen sarkastischen Film. Es ist ganz unterschiedlich, wie man zu Titeln kommt. Manchmal bekommt man von jemandem einen Tipp. Bisweilen sucht man endlos. Oder es fällt einem sofort ein. Das verhält sich wie das Schreiben von Drehbüchern: Das eine geht leicht und schnell, das andere dauert ewig – was allerdings nichts aussagt über die Qualität.
Sie sprechen von Sarkasmus. Wäre Zynismus für Sie der falsche Begriff?
Sarkasmus bedeutet, absichtlich scharf über etwas zu urteilen. Zynismus heißt, sich über alles mit Gleichgültigkeit zu erheben. Das würde mir nicht gefallen. Dass der Film eine Farce ist, ist keine Frage.
In „Happy End“ kontrastieren Sie das Flüchtlingselend von Calais mit den Luxusproblemen einer Mittelschichts-Familie. Was wollen Sie damit sagen?
Es geht um unseren Autismus und die Nachlässigkeit in Bezug auf Empathie. Und zwar auf allen Ebenen: in der Familie, im Beruf. Und eben auch vis-à-vis von Fremden. Der Film handelt nicht von Calais oder den Flüchtlingen. Ich kann gar keinen Film über Migranten machen, weil ich sie nicht kenne.
Es geht nicht nur um das Leben, sondern auch um den Tod, nämlich den selbstbestimmten Suizid im Fall einer unheilbaren Krankheit. Davon handelte zuvor auch schon „Liebe“...
Mit diesem Problem war ich in meinem privaten Umfeld konfrontiert, deswegen fühlte ich mich verpflichtet, das Thema nochmals auf eine realistische Weise darzustellen – also anders als mit einem metaphorischen Schluss wie zuvor in „Amour“.
Sind Sie dafür, dass jeder über den Zeitpunkt seines Todes selbst entscheiden können sollte?
Ich denke schon. Wenn man krank ist und selber nicht mehr leben will, dann sollte man dieses Recht haben. Zugleich ist das ein heikles Thema, zumal im deutschsprachigen Raum mit unserer Vergangenheit. Es darf auch keinen Missbrauch geben, bei dem sich Familien ihrer lästigen Angehörigen entledigen können.
Wie lange dauert das Suchen nach den geeigneten Bilder?
Die Bilder ergeben sich aus der Situation, die beschrieben wird. Ich bin kein Regisseur, der Bilder sucht. Es gibt Filmemacher, die ganz großen Wert auf die visuellen Aspekte legen. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich möchte Bilder finden, die möglichst präzise die Situation zwischen den Agierenden ermöglichen und die Spannung zwischen den Figuren deutlich werden lassen.
Wie bekommen Sie die Schauspieler zu den besten Leistungen?
Ich versuche immer, die richtige Besetzung zu finden. Das gelingt nicht immer, aber bei „Happy End“ hat es ganz gut funktioniert. Es geht nicht darum, lauter Weltmeister-Schauspieler zu versammeln. Sondern die richtigen Darsteller für die richtige Rolle zu finden. Darin liegt das Geheimnis jedes gelungenen Films. Mit der falschen Besetzung kann ein Regisseur machen, was er will und er wird immer scheitern.
Wie groß ist Ihr Interesse, bis an Grenzen zu gehen und die Zuschauer zu schockieren?
Ich wollte nie jemanden schockieren, abgesehen vielleicht „Funny Games“. Mein Interesse liegt darin, den Dingen auf den Grund zu gehen. Das ist man im Mainstream nicht gewohnt, deshalb wird es als Provokation empfunden.
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