- Der Staatsoligarch
Igor Setschin leitet den größten börsennotierten Energiekonzern der Welt: das russische Staatsunternehmen Rosneft. Aber freie Marktwirtschaft? Davon hält Setschin überhaupt nichts
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Oktober-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.
Grundsätzlich hat Igor Setschin nichts gegen Privateigentum. Bei einem seiner wenigen öffentlichen Auftritte hat der Präsident des staatlich kontrollierten russischen Energiekonzerns Rosneft mal den schönen Satz gesagt: „Der Sinn für Eigentum entwickelt sich bei jedem Menschen in frühester Kindheit. Und wenn ein Kind sein erstes Spielzeug bekommt, zum Beispiel einen Teddybär, will er ihn nie wieder loslassen. Der Teddybär des Rosneft-Vorstands heißt Rosneft.“
Anfang August hat Setschin selbst zur Privatisierung des russischen Energiesektors beigetragen. Der Rosneft-Boss vergrößerte sein Aktienpaket um das Elffache auf umgerechnet 45,5 Millionen Euro. Er hält jetzt 0,0849 Prozent des größten börsennotierten Energiekonzerns der Welt. Wer daraus einen grundsätzlichen Sinneswandel des engen Vertrauten von Russlands Präsident Wladimir Putin ableitet, liegt aber völlig falsch. Aus Igor Setschin wird auch in Zukunft kein Freund der freien Marktwirtschaft und des privaten Unternehmertums. Stattdessen führt er Rosneft weiterhin wie ein loyaler Staatsdiener des derzeitigen Herrschers im Kreml. Entgegen anders lautenden öffentlichen Beteuerungen setzt Putin auch weiter auf die staatliche Kontrolle des Energiesektors. Dieser sorgt nicht nur für mehr als die Hälfte der russischen Staatseinnahmen, sondern sichert aufgrund des russischen Ressourcenreichtums Putins Einfluss in der internationalen Politik.
Setschin und Putin sind alte Bekannte
Putin und Setschin kennen sich bereits aus der Petersburger Stadtverwaltung, wo sie Anfang der neunziger Jahre aufeinandertrafen, als der acht Jahre ältere Putin dort stellvertretender Bürgermeister war. 1996 wechselten beide nach Moskau in die Regierung des damaligen Präsidenten Boris Jelzin. Nach Putins Wahl zum Präsidenten stieg Setschin zum stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung auf. Während Putins Intermezzo als russischer Ministerpräsident von 2008 bis 2012 war Setschin sein Stellvertreter. Gleichzeitig übernahm er bei Rosneft bereits 2004 als Aufsichtsratsvorsitzender das Kommando.
Das damalige Unternehmen ist mit dem heutigen Rosneft-Konzern nicht zu vergleichen. 2003 war Rosneft nicht mehr als die Reste des ehemaligen sowjetischen Ölministeriums, die selbst im Privatisierungsrausch der Jelzin-Ära keiner hatte kaufen wollen. Der Aufstieg Rosnefts an die Spitze der weltweiten Energieförderer war nur möglich, weil Setschin direkt aus dem Kreml die Zerschlagung und Enteignung des Erdölkonzerns Yukos des bis heute inhaftierten Oligarchen Michail Chodorkowski organisierte. Im Dezember 2004 erhielt eine Briefkastenfirma – von der sich später herausstellte, dass sie zu Rosneft gehörte – bei einer dubiosen Auktion den Zuschlag für die wichtigste Fördertochter von Yukos.
Setschins zweiter Coup war Ende März dieses Jahres die Übernahme des russischen Konkurrenten TNK-BP. Rosneft kann jetzt nach eigenen Angaben 200 Millionen Tonnen Öl im Jahr fördern, das entspricht 40 Prozent der Förderung in Russland und 5 Prozent weltweit. 44 Milliarden Dollar musste Rosneft für die Übernahme an die bisherigen Eigentümer bezahlen, eine Gruppe russischer Oligarchen und der britische Energiekonzern BP. Die Verschuldung Rosnefts stieg auf 76 Milliarden Dollar.
Setschins Drang nach Macht und Größe scheint aber noch lange nicht befriedigt. Zurzeit expandiert er aggressiv in den Gasmarkt. Im Juli kaufte Rosneft das Gasförderunternehmen Itera. In Russland wird dies als Angriff auf Gasprom gewertet. Der ebenfalls vom Staat kontrollierte Konzern darf als bisher einziges Unternehmen russisches Gas ins Ausland exportieren, aber Gasproms Monopol wackelt, wie Putin kürzlich bei einem internationalen Wirtschaftstreffen andeutete. Im Kreml ist Setschins Rivale, Gasprom-Chef Alexei Miller, dabei, seinen bisherigen Einfluss zu verlieren. Ihm wird vorgeworfen, das Geschäft mit verflüssigtem Erdgas, das im internationalen Handel immer wichtiger wird, verschlafen zu haben. Gasprom gilt im Vergleich zu Rosneft als ineffizienter, bürokratischer Koloss. Kreml-nahe Medien kritisieren Miller hart, in einer Sendung des russischen Staatsfernsehens wurde er sogar kürzlich als „inkompetenter Idiot“ bezeichnet.
Setschin wird es freuen. Seit einer 2005 von Putin angekündigten Fusion von Rosneft und Gasprom, die Setschin verhinderte, gelten er und Miller als Erzfeinde.
Setschin selbst steht inzwischen nicht nur an der Spitze von Rosneft, sondern leitet seit mehr als einem Jahr auch die Kreml-Kommission für die strategische Entwicklung des russischen Energiesektors und kontrolliert somit ein Drittel der Wirtschaftsleistung Russlands.
Den Plan des ehemaligen Präsidenten Dmitri Medwedew, die staatlichen Rosneft-Anteile bis spätestens 2016 zu verkaufen, hat Setschin erst mal auf Eis gelegt. Er und Putin sind sich einig, dass man es mit der Privatisierung auch nicht übertreiben muss.
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