- Die Bilanz des Kabinetts
Bald wird Angela Merkel (CDU) ein neues Kabinett aufstellen müssen. Manch einer von dem alten wird dann wieder dabei sein. Doch zunächst erhalten am heutigen Dienstag erst einmal alle Kabinettsmitglieder ihre Entlassungsurkunde
1. Philipp Rösler (FDP), Vizekanzler, Wirtschaft
Als er im Herbst 2009 nach Berlin kam, wurde er Gesundheitsminister und hat sich in diesem Amt Anerkennung erarbeitet. Als er im Mai 2011 FDP-Chef wurde, glaubte Rösler, dass er als Vizekanzler unbedingt das der FDP nahestehende Wirtschaftsministerium übernehmen muss. Dort aber ist er nie wirklich angekommen, seine Beamten äußerten sich immer wieder enttäuscht. In Krisensituationen, wie der „Schlecker-Pleite“, verhielt er sich ungeschickt, als er herzlos von einer „Anschlussverwendung“ für die arbeitslosen Frauen sprach. Er agierte oft überfordert mit seinen Partei- und Staatsämtern und hinterließ den Eindruck eines Getriebenen. Nach dem desaströsen Wahlergebnis der FDP trat er von allen Ämtern zurück und wird wohl kein politisches Comeback suchen.
2. Guido Westerwelle (FDP), Auswärtiges
Tradition kann auch ein Ballast sein: Als Finanzminister hätte der neue Vizekanzler 2009 beweisen können, dass Steuersenkungen möglich sind. Doch der FDP-Chef wählte nach dem Vorbild Genschers das Auswärtige Amt. Sein polarisierender Stil („spätrömische Dekadenz“) passte nicht zur repräsentativen Aufgabe. Es dauerte lange, fast bis zu seinem Rückzug von der Parteispitze 2011, bis er sich für die Diplomatie genügend Zeit nahm. Mehr Integration in Europa, Einsatz für deutsche Wirtschaftsinteressen, Abrüstung und Aufstieg der Schwellenländer setzte er sich als Schwerpunkte, doch neben der mächtigen Kanzlerin blieb wenig Spielraum. Dazu kam das schlechte Image: Das Libyen-Desaster wurde ihm und nicht Merkel angelastet.
3. Hans-Peter Friedrich (CSU), Innen
Um das Amt gerissen hat er sich nicht. Er wäre gern CSU-Landesgruppenchef im Bundestag geblieben, aber nach dem Rücktritt von Verteidigungsminister Guttenberg (CSU) wechselte der bisherige Innenminister Thomas de Maizière ins Verteidigungsressort und das vakante Innenministerium fiel der CSU zu. Friedrich tat sich zunächst schwer. Zumal er es auch gleich mit dem Bekanntwerden der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) zu tun bekam. Er reformierte daraufhin die Strukturen und gründete Abwehrzentren, was ein überfälliger Schritt war. Friedrich bezog in der Innen- und Sicherheitspolitik klassisch konservative Positionen, ein Lautsprecher ist er aber nie gewesen. Punkten wollte er mit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung, was aber am Widerstand seiner Kontrahentin, der Justizministerin, scheiterte. Eine unglückliche Figur machte er in der NSA-Ausspähaffäre. Friedrich hat bekundet, im Amt bleiben zu wollen. Allerdings gilt das Innenressort als Verhandlungsmasse zwischen Rot und Schwarz.
4. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Justiz
„Unsere Jeanne d’Arc“ der Bürgerrechte hat Rainer Brüderle Sabine Leutheusser-Schnarrenberger genannt, weil sie sich mit aller Kraft gegen die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland gestemmt hat. Das musste sie schon aus FDP-Parteiräson tun. Aber sie tat es bestimmt aus innerer Überzeugung. Legt man das Ohr an ihr Ministerium, fragt Richter, Anwälte oder Rechtswissenschaftler, dann fällt das Urteil schwach aus: nichts falsch gemacht, aber auch nichts wirklich zum Guten gewendet. Man wird diese Justizministerin nicht vermissen.
5. Wolfgang Schäuble (CDU), Finanzen
Wenn es einen Minister gibt, der verantwortlich ist für das Ansehen der Bundeskanzlerin als seriös wirtschaftende und Europa rettende Regierungschefin, dann ist es Schäuble. Ob es um die Europapolitik ging oder die Sanierung des Bundeshaushaltes: Er nahm sein Amt ruhig und überlegen wahr. Auch als er körperlich bis an die Grenze belastet schien, war er auf dem Höhepunkt der Euro-Krise immer im Zentrum der Verhandlungen. Er war der CDU-Politiker, der der FDP die große Steuersenkung ausgetrieben hat und seither als „Liberalenfresser“ galt. Wenn Merkel ein neues Kabinett bildet, ist Schäuble der Minister, dem sie am meisten verpflichtet ist. Muss sie das Finanzministerium an die SPD geben, wird es schwer, für Schäuble einen angemessenen Ersatz zu finden.
6. Ursula von der Leyen (CDU), Arbeit und Soziales
Sie gilt als Allzweckwaffe im Kabinett Merkel: Nach dem Familienressort arbeitete sie sich schnell in die Sozialpolitik ein. Doch mit der Rentenreform, die sie sich für die letzte Wahlperiode vorgenommen hatte, ist sie nicht wirklich vorangekommen. Sie wollte Frauen und Geringverdiener besser vor Armut im Alter schützen. Das Vorhaben scheiterte, nicht nur am Widerstand der FDP, sondern auch an dem aus den eigenen Reihen. Auch das Bildungspaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien ist kein Renner geworden. Als Arbeitsministerin profitiert Leyen allerdings davon, dass die Arbeitslosigkeit wegen der guten Konjunktur nach wie vor gering ist. Mit ihrem Alleingang beim Thema Frauenquote machte sie sich in der Unions-Fraktion nicht nur Freunde. Im neuen Kabinett gilt sie als gesetzt – vermutlich aber wieder in einem neuen Ressort.
7. Ilse Aigner (CSU), Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Sie kam noch unter der Vorgängerregierung ins Amt, 2008 als Nachfolgerin für den nach Bayern abgewanderten Horst Seehofer. Doch ihr fehlte dessen Hang zum Massiv-Populismus, sie blieb politisch farblos. Getrieben von diversen Lebensmittelskandalen produzierte sie vor allem Papier und mäanderte zwischen den Zuständigkeiten von Ländern und Europäischer Union. Kein Grund zur Panik, aber auch keiner zur Verharmlosung, lautete ihr Standardsatz. Da Agrarpolitik nicht in Berlin, sondern in Brüssel gemacht wird, setzte Aigner auch hier wenig Duftmarken. Im Ärger über die Datenkrake Facebook blieb sie hilflos, der Verbrauchertäuschung durch falsche Lebensmittelkennzeichnung wurde sie nicht Herr. Erfolge verbuchte die Ministerin allerdings im Kampf gegen Internet-Abzocke und überhöhte Bankgebühren sowie bei der Antibiotika-Eindämmung.
8. Thomas de Maizière (CDU), Verteidigung
Erfahren, umsichtig, ein Vertrauter der Kanzlerin: Als de Maizière von Guttenberg das wichtige Verteidigungsministerium übernahm, zweifelte niemand daran, dass er das alte politische Naturgesetz aushebeln würde, nachdem der Bendlerblock noch jeden seiner Minister regiert hat. Und wirklich: Der Neue entschied klar und zackig und brachte es sogar fertig, die Verkleinerung der Bundeswehr durchzusetzen, ohne dass die um ihre Standorte gebrachten Bundesländer und Bürgermeister zum Sturm auf Berlin ansetzten. Dann allerdings flog de Maizière mit der „Drohne“ auf. Weil er sich (wie seine Vorgänger) lange nicht um die Milliardenbeschaffung kümmerte, musster er einen Untersuchungsausschuss überstehen. Große Koalition kann de Maizière, er war Merkels Kanzleramtschef von 2005. Vielleicht macht er ja den Job noch einmal.
9. Kristina Schröder (CDU), Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Der Regionalproporz beförderte das jüngste Kabinettsmitglied ins Amt, denn Merkel brauchte nach dem Rückzug von Franz-Josef Jung eine Ministerin aus Hessen. Zunächst bejubelte der Boulevard die 32-Jährige als Hoffnungsträgerin, doch als sie unglücklich agierte und Fortschritte ausblieben, titelte „Bild“: „Kein Mut! Keine Ideen! Kein Erfolg!“ Zudem stand Schröder, die in Zeiten knapper Kassen Familienpolitik machen sollte, im Schatten ihrer erfolgreichen Vorgängerin Ursula von der Leyen, die ihr das Leben schwermachte und die Frauenquote in der CDU (bis 2020) durchsetzte. Dass sie auch Zeit und Kraft investierte, um den Feminismus zu attackieren, war jedoch ihre eigene Entscheidung. Um das Unsinnsprojekt eines Betreuungsgeldes zu stoppen, das sie selbst für falsch hielt, fehlte ihr die Autorität.
10. Daniel Bahr (FDP), Gesundheit
Der Münsteraner war nur zweieinhalb Jahre Gesundheitsminister, allerdings zog er bereits unter seinem Vorgänger Philipp Rösler als Staatssekretär die Strippen. Aber richtig ins Rampenlicht spülte ihn das Amt auch später nicht, Bahr agierte eher fleißig-unauffällig und im Windschatten. Was für einen Gesundheitsminister nicht das Schlechteste ist. Witzigerweise profitierte er seine ganze Amtszeit hindurch von einer Entscheidung gleich zu Beginn der Legislatur, die er nicht wollte und als FDP-Politiker auch nicht wollen durfte: einer Beitragserhöhung um saftige 0,6 Punkte. Als die Konjunktur dann anzog, erbte der Minister ein System fast ohne Finanzprobleme. Dank voller Kassen blieben ihm die üblichen Verteilungskämpfe erspart, es gab keinen Ärger wegen Zusatzbeiträgen und am Ende konnte Bahr sogar die ungeliebte Praxisgebühr wieder abschaffen. Fazit: Das Gesundheitsressort mit Bahr an der Spitze hat der FDP nicht geschadet, ihr aber auch nicht groß genutzt. Dass er keine echte Pflegereform zustande brachte, lag weniger an ihm als an seiner unwilligen Fraktion und dem Widerstand aus dem Kanzleramt.
11. Peter Ramsauer (CSU), Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Baustellen hat er, um im Bild seines Ressorts zu bleiben, genug: der Pannenflughafen BER, Stuttgart 21, das Stellwerk-Chaos bei der Bahn, Witterungsprobleme bei der Bahn, aber auch die Zukunft des Mautsystems und den Betreiber Toll-Collect. Nur glänzt er bei diesen Themen oft durch geschicktes Wegducken. Akzente konnte er dort kaum setzen. Dafür tummelte er sich auf Nebenkriegsschauplätzen und wirbt für weniger Anglizismen bei der Bahn, für alte Kürzel bei Nummernschildern. Sein Lieblingsprojekt war eine Reform des Punktesystems für Verkehrssünder in Flensburg. Ramsauer hat ein Gespür für populäre Themen. Weitermachen will er, doch wie bei fast allen CSU-Ministern hängt das schwer vom Wohlwollen von CSU-Chef Seehofer ab, und der ist kein großer Fan von Ramsauer.
12. Peter Altmaier (CDU), Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Als Norbert Röttgen (CDU) in Ungnaden aus dem Amt gejagt wurde, schien Altmaier eine gute Wahl zu sein: Er kannte die Kanzlerin, er kannte praktisch jeden in der Politik, und er ist einer, der mit jedem spricht, was deeskalierend wirkt und wahrscheinlich auch zu einem einigermaßen friedvollen Atom-Endlagersuchkompromiss geführt hat. Dennoch bleibt das Fazit dünn: Der Mann verzettelte sich in unzähligen Kleinstauseinandersetzungen, kam der mächtigen Energielobby irgendwie nicht bei und hinterlässt am Ende den Eindruck, als fehle es ihm an politischem Gewicht für ein so großes Amt.
13. Johanna Wanka (CDU), Bildung und Forschung
Sie hatte nicht viel Zeit zur Einarbeitung in ihr Amt. Sie übernahm es von Annette Schavan, die wegen Plagiaten in ihrer Doktorarbeit zurücktreten musste. Wanka ist eine ruhig und konzentriert arbeitende Politikerin, die immer den Eindruck von sachlicher Interessiertheit und Kompetenz hinterlässt – keine Ministerin mithin, der man allzu großen Hang zur Selbstdarstellung nachsagen kann. Wenn es nun um Bildung und Föderalismus geht, könnten ihre guten Verbindungen nach Brandenburg und Niedersachsen, wo sie vorher Ministerin war, der schwarz-roten Koalition dienlich sein.
14. Dirk Niebel (FDP), wirtschaftliche Zusammenarbeit
Als Generalsekretär der FDP hatte Niebel das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) noch abschaffen wollen, das er 2009 übernahm. Mit aller Macht bemühte sich der Neue, dann der Skepsis neue Nahrung zu geben, indem er sich scharf gegen vermeintliche 68er und Welt-Sozialarbeiter im „selbst gestrickten Alpaka-Pullover“ (Niebel) abgrenzte und behauptete, er habe sein Ministerium komplett neu erfunden, was so nicht richtig war. Allerdings gelang ihm eine wichtige Reform: Er fusionierte die zuvor getrennten Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit zur Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ)). Schlagzeilen aber machte seine unverhohlene Ämterpatronage: So viele Parteifreunde versorgte er mit wichtigen Posten im BMZ, dass sogar die CDU protestierte.
15. Roland Pofalla (CDU), Kanzleramtschef
Beim früheren CDU-Generalsekretär luden Koalitionäre gern die Schuld ab, wenn etwas schieflief im Regierungsbündnis. Seine zuweilen ruppige Art lud dazu ein. Tatsächlich aber sind ihm bei der Steuerung der Themen kaum Fehler nachzuweisen, meist sorgte er dafür, dass der Apparat geräuschlos funktionierte und der Schaden zumindest nicht bei der Kanzlerin abgeladen wurde. Nur einmal suchte der Minister die Öffentlichkeit, nämlich als er im Sommer denVorwürfen der Kumpanei der Regierung mit der Überwachung deutscher Internetkommunikation durch den US-Geheimdienst NSA entgegentrat. Die Kritiker überzeugte das nicht, aber die Opposition war hinterher doch etwas kleinlauter.
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