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(picture alliance) Wirtschaftsweise Peter Bofinger

Wirtschaftsweise Bofinger - „Schlafwandelnd in die Katastrophe“

Peter Bofinger schlägt Alarm: Er warnt vor einem drohenden Kollaps der Eurozone. Cicero Online sprach mit dem Wirtschaftsweisen über eine Alternative zur Sparpolitik, den Schuldentilgungsfonds und die Risiken des „Grexit“

Herr Bofinger, der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, sagt, er werde alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten, das Geld werde ausreichen. Wird es das?
Das ist das richtige Vorgehen, weil die EZB momentan die einzige handlungsfähige Institution im Euroraum ist. Wir erleben eine schwere Marktstörung in Ländern wie Spanien und Italien, die sich massiv um ihre Haushaltskonsolidierung bemühen. Und diese Bemühungen werden wiederum durch hohe Zinsen bedroht.

Draghi deutet an, dass die EZB wieder Staatsanleihen von Krisenländern wie Spanien und Italien kaufen möchte, um so deren Zinskosten zu drücken. Hollande unterstützt ein stärkeres Eingreifen der Notenbank. Nur die Bundesregierung zeigt sich skeptisch. Warum?
Der Kauf von Staatsanleihen ist das Instrument der EZB und das sollte sie einsetzen. Was soll sie denn sonst machen? Ich bin mir nicht sicher, wie die Haltung der Bundesregierung ist. Die Politik hat keine Lösung entwickelt, um über eine Gemeinschaftshaftung dieses Problem zu lösen. Das zwingt die EZB ja gerade dazu, diese Rolle zu übernehmen.

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Aber würde das die Probleme denn wirklich lösen? In den Krisenstaaten wäre nach dem Eingreifen der Notenbanken wohl bald Schluss mit dem Reformwillen. Außerdem riskiert die EZB damit nicht auch Steuergelder, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein?
Was denn für Steuergelder? Die EZB kauft Anleihen zu 4 oder 5 Prozent Zinsen und solange diese vollständig zurückbezahlt werden – und davon gehe ich aus –, macht die EZB sogar Gewinn, weil sie sich quasi kostenlos refinanzieren kann. Dieser Gewinn landet in den Haushalten aller  Mitgliedsländer.

Gemeinsam mit 16 führenden Ökonomen haben Sie ein Gutachten verfasst, das vom Institute for New Economic Thinking in New York veröffentlicht wurde. In dem Gutachten heißt es: „Europa steuert schlafwandelnd auf eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen zu“. Sie hatten sich als akute Krisenmaßnahme auf den bereits vom Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds geeinigt. Was sieht dieser im Einzelnen vor?
Der Schuldentilgungsfonds besteht darin, dass die Schulden der Länder, die über die 60 Prozent des Vertrags von Maastricht hinausgehen, in einer gemeinschaftlichen Haftung finanziert wird, so  dass gemeinschaftliche Anleihen gegeben werden. Damit  wird für Länder wie Spanien oder Italien der Weg geöffnet, einen größeren Teil ihrer Verschuldung zu  vernünftigen Zinsen  finanzieren zu können. Das hilft, diesen Länder, ihre Verschuldung in den Griff zu bekommen. Durch das Erfordernis der Tilgung dieser Anleihen  soll die gemeinschaftliche Verschuldung innerhalb von 25 Jahren auf Null zurückgeführt werden. Ein weiteres Spezifikum ist, dass wir eine Absicherung durch Währungsreserven vorsehen und selbstverständlich auch die Einhaltung des Fiskalpakts voraussetzen.

Sie schlagen also vor, dass sich die Euro-Staaten unwiderruflich dazu verpflichten müssen, die eingelagerten Schulden nach diesem verbindlich festgelegten Tilgungsplan abzuzahlen. Ist das denn realistisch? Was wäre die Konsequenz, wenn sie es nicht schaffen?
In der fünfjährigen Aufbauphase würde die Begebung gemeinschaftlicher Anleihen sofort gestoppt werden, wenn sich ein Land nicht an seine Verpflichtungen hält. Ausnahmen wären nur im Fall einer schweren Rezession möglich, wie das auch der Fiskalpakt vorsieht.   

Seite 2: Die Risiken eines „Grexit“ sind hoch

Ist das bisher ökonomisch starke Deutschland der europäischen Schuldenkrise überhaupt noch gewachsen?
Ich sehe  kein Problem, dass wir das stemmen. Das sehen die  Märkte genauso, die trotz wachsender Garantien  Deutschland zu immer niedrigeren Zins Geld zur Verfügung stellen. Kapital zu extrem niedrigen Zinsen. Wenn ein Anleger sein Geld nicht mehr dem deutschen Staat geben möchte, wo will er es denn dann sicher investieren?

Blicken wir nach Griechenland: EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagt, Griechenland könne den Kampf gegen die Schuldenkrise gewinnen. Der Verbleib in der Eurozone sei die beste Möglichkeit für das Land, weitere Härte zu vermeiden. Glauben Sie das auch?
Ja, ich glaube, das Land kann den Kampf gewinnen. Aber nachdem die griechische Wirtschaft so dermaßen abgestürzt ist, wird eine weitere Umschuldung wahrscheinlich erforderlich sein. Denn auch nach der Umschuldung im März ist die Schuldenquote mit 160 Prozent noch zu hoch; das würde sehr schwierig für Griechenland.

Der griechisches Sozialisten-Chef Evangelos Venizelos warnte vor einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. Wer glaube, Griechenland müsse geopfert werden, der irre sich. Würde das den „Selbstmord der Euro-Zone“ bedeuten?
Die Risiken eines Austritt Griechenlands aus der Eurozone sind hoch. Und zwar nicht nur für Griechenland, sondern für den gesamten Euroraum, weil die Gefahr besteht, dass sich die Märkte generell die Frage stellen, ob auch Spanien, Italien, Portugal, ja vielleicht sogar Irland im Euro bleiben. Wir erleben ja jetzt schon eine Kapitalflucht aus diesen Ländern und der „Grexit“ würde das noch verstärken.

Ist damit die Angst vor der Spaltung in ein reiches Nord- und ein armes Südeuropa begründet?
Seit Anbeginn der Währungsunion haben wir erhebliche Einkommensunterschiede, das ist eine ganz normale Sache. Das Problem bestand darin, dass dann die Löhne in den schwachen Ländern viel zu stark gestiegen sind, während sie im wirtschaftlich starken Deutschland über Jahre hinweg nahezu konstant geblieben sind. Aktuell besteht der  wichtigste Wachstumsbeitrag darin,  so lange keine weiteren  Sparprogramme mehr zu beschließen, bis die Wirtschaft in den Problemländern wieder Tritt gefasst hat.

Ihrer Meinung nach stürze das strikte Spardiktat ohnehin schon angeschlagene Volkswirtschaften wie Griechenland oder Spanien in die Rezession, mit der Folge, dass breite Bevölkerungsschichten verarmen. Sehen Sie hier eine Gefahr für die Demokratie?
Wenn in Ländern die Wirtschaft kollabiert, ist das immer Nährboden für extreme Bewegungen. In Griechenland ist das ein Punkt, den man ernst nehmen muss. Wenn es nicht gelingt, die Lage im Land zu stabilisieren, ist das für die Demokratie gefährlich. Grundsätzlich gilt, je schlechter die wirtschaftliche Lage im Land ist, desto eher tendieren die Menschen zu extremen Parteien.

Interview: Sarah Maria Deckert

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