- Mama Facebook soll's richten
Wenn es um Überzeugungsarbeit geht, schickt Mark Zuckerberg die „Mama“ vor, die ihm abnimmt, wozu er weder Lust noch Talent besitzt. Sheryl Sandberg ist die Nummer 2 im Facebook-Imperium. Nach dem verpatzten Börsengang startet sie nun eine Charme-Offensiv
Als sie ans Rednerpult tritt, ruhen tausend Augenpaare auf der Frau im blauen Etuikleid. Selbst der Wind, der eben noch in den alten Ahornbäumen neben der Freilichtbühne raschelte, hat sich gelegt. Spannung liegt in der Luft: Jetzt muss Sheryl Sandberg, die Nummer zwei bei Facebook, in ihrer Festansprache an der Harvard Business School Farbe bekennen. Wird sie eine Erklärung finden, warum der Aktienkurs seit dem umjubelten Börsengang auf unter 28 Dollar gerutscht ist? Wird sie erklären, warum das soziale Netzwerk die Daten seiner Nutzer so lange speichern will, wie es das für „notwendig“ hält? Mit einem Scherz beiseitewischen, dass ihr Chef, der milliardenschwere Netzwerkgründer Mark Zuckerberg, in einem römischen Restaurant kein Trinkgeld gegeben hat, worüber gerade ganz Amerika spottet?
Von wegen. Die 42‑Jährige setzt auf charmante Ablenkung. Einmal den dunklen Lockenschopf nach rechts, einmal nach links gestrudelt, ein flirtender Augenaufschlag – und dann die Überraschung: Sie klatscht einfach los. Bis in die hintersten Reihen trägt das Mikrofon das Stakkato – ihren Beifall für die „stolzen Eltern“ der 900 frisch gebackenen Master. In den folgenden 22 Minuten spricht sie als Coach und Ratgeberin zu den Absolventen und macht ihnen Beine.
Eine Karriere sei nämlich keinesfalls eine Leiter, sondern eher eine Art Fitnessstudio: „Da geht es mal runter, mal hinauf, mal seitwärts. Bleibt in Bewegung und schaut euch um, wo sich etwas tut!“ Und: „Wenn euch ein Platz in einer Rakete angeboten wird, fragt nicht lange, welcher Platz für euch vorgesehen ist. Steigt ein.“
Wer ist diese Frau, für die es immer nach oben ging, egal wo sie einstieg? Vom Posten der Stabschefin des US‑Finanzministers Larry Summers wechselte sie zu Google. Als ihr dort nach dem erfolgreichen Börsengang der Hechtsprung durch die gläserne Decke in den Vorstand verwehrt wurde, erlag sie Zuckerbergs Werben. Bist du des Wahnsinns, fragten ihre Freunde, bei diesem Nerd anzuheuern? Rasch erkannte sie, woran es bei dem Startup hakte: an einer plausiblen Geschäftsidee und einer intelligenten Werbestrategie. Um das zu ändern, lotste sie etliche Google- Mitstreiter nach Palo Alto.
Dass sie kühle Professionalität mit einer Kuvertüre von Emotionalität versieht, hat ihr den Titel „Facebook’s Mom“ eingetragen. Sie gibt die ideale Komplementärfigur zu ihrem Chef ab. Wenn es draußen um Überzeugungsarbeit geht, bleibt Zuckerberg im Hintergrund und schickt die Mama, die ihm abnimmt, wozu er weder Lust noch Talent besitzt: Marketing, Personalentwicklung und alles, was mit Politik zu tun hat. Dass Facebook bei einem Umsatz von 3,7 Milliarden Dollar 2011 einen Gewinn von einer Milliarde einstreichen konnte, ist auch ihr zu verdanken. „Das Besondere an Sheryl ist“, lobt ihr Boss, „dass sie sich wirklich die Hände schmutzig machen und arbeiten will, statt ständig im Vordergrund zu stehen.“
Aber im Hintergrund hält es sie auch nie lange. Mit einer Mischung aus Genugtuung und Koketterie verweist sie darauf, dass sie im Job ständig mit Menschen umgehe, die „viel jünger und cooler sind als ich“. Wenn die eine neue Anwendung testen, wird sie herangewunken: „Hey Sheryl, komm doch mal eben – wir müssen testen, wie dieses neue Facebook-Feature bei älteren Leuten ankommt …“ Auch das Unternehmen hat inzwischen seine Coolness verloren. Analysten schreiben, die Nutzer verbrächten weniger Zeit auf der Seite, die Werbung habe weniger Erfolg als behauptet, und das Wachstum verlangsame sich.
Unbeeindruckt davon: Sheryl Sandberg, Role Model, Außenministerin, Netzwerk- Queen. 2012 hat sie noch einmal Gas gegeben. Kaum ein Tag ohne Medienauftritt: World Economic Forum in Davos. Ein Dinner für Sponsoren von Obamas Wahlkampf. Und ABC News ernannte sie gerade zu einer der „most powerful moms“. Frauen, gebt Gas, macht Karriere, lasst euch nicht entmutigen! Ihr ständiges Petitum. So häufig, dass mancher schon die Augen verdreht, wenn Sandberg darauf zu sprechen kommt. Als sie kürzlich in einem Interview erklärte: „Ich gehe abends um halb sechs nach Hause, um mit den Kindern zu Abend zu essen“, bemerkte eine Freundin: „Hättest du jemanden mit der Axt erschlagen, wäre das Echo kaum größer gewesen.“
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