- Wo endet deutsche Solidarität?
Die Angst Israels vor einem atomar bewaffneten Iran wird immer realer – und das kleine demokratische Land schließt auch einen Angriff auf den Gegner nicht mehr aus. Deutschland könnte wegen seiner Solidaritätsbekundungen bald in der Klemme stecken
Es sagt sich leicht: Wir stehen hinter Israel. Es klingt wie der Text zum Wiegenliedgut der Bundesrepublik. Seit 1949 ist es für jeden Bundeskanzler selbstverständlich gewesen, dass niemand in der Welt jemals die Existenz Israels in Frage stellen dürfe. Erstmals ist diese Existenz nun ernsthaft bedroht.
Zwar geriet der erst 1948 gegründete Staat Israel schon oft in Bedrängnis, er hat zahlreiche Kriege gefochten und gewonnen, bis heute erkennt kaum ein Nachbar das kleine Land an. Doch nur Iran hat bisher tatsächlich damit gedroht, Israel komplett von der Landkarte zu löschen.
Mutmaßlich baut Teheran derzeit fleißig an dem Werkzeug dazu – der Atombombe. Westliche Geheimdienste gehen angeblich davon aus, dass der Iran kein Jahr mehr brauchen wird, bis es ihm technisch möglich sein wird, das schmale Land am Jordan nuklear auszuradieren. Israel will dem zuvor kommen, im Zweifel um des Friedens Willen. Wohl noch 2012 will es der potenziellen Atommacht Iran den Garaus machen. Wo aber steht Deutschland, sollte es wirklich bald zum Krieg kommen?
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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das bereits vor vier Jahren eindeutig festgelegt: Vor der Knesset, Israels Parlament, hatte sie 2008 gesagt, die Sicherheit Israels sei „niemals verhandelbar“. Mit Iran ist darüber also - beim Wort genommen - nicht zu sprechen, denn das wäre ja „verhandeln“.
Kanzlerin Merkel hat damals auch klar gemacht, dass sie Israel mehr bietet als eine höfliche Gastrede: „Wenn das so ist“, fügte sie hinzu, wenn also Deutschland sich hinter Israel stellt, „dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben“, nagelte sie ihr eigenes Angebot jedem Knessetmitglied auf den Abgeordnetentisch.
Seite 2: Die Stunde der Bewährung könnte nun schlagen
Nun könnte diese Stunde der Bewährung tatsächlich schlagen. Die israelische Regierung erwägt mehr oder weniger offen den Angriff Irans. Deshalb reiste Premierminister Netanjahu jüngst zu Präsident Obama in die USA. Öffentlich wirkten die beiden distanziert im Umgang; Obama warnte sogar vor „Gerede“ über einen Angriff. Aber es wird vermutet, dass der amerikanische Präsident nur um Abwarten bat, um Aufschub bis November. Nach seiner dann erhofften Wiederwahl wäre er „flexibler“. So zumindest klangen seine wahren Worte gegenüber Russland zur atomaren Abrüstung, die das Mikrofon einer Videokamera zufällig eingefangen hat. Gut vorstellbar, dass er Netanjahu ähnlich vertröstet hat und nur vor der Kulisse den Skeptiker gab.
Netanjahus engster Vertrauter in Kriegsplänen ist Verteidigungsminister Ehud Barak. Die beiden sind ein spätes Paar. Einst waren sie erbitterte Gegner; der rechtskonservative Netanjahu verlor vor über einem Jahrzehnt sein Amt als Regierungschef an den damaligen Sozialdemokraten Barak. Doch inzwischen gelten die beiden als Zwillings-Falken. Barak steht Netanjahu politisch bereits so nahe, dass ihm viele den baldigen Eintritt in die Likud-Partei zutrauen. Seinerseits wird er von Netanjahu geschätzt wegen seiner Erfahrungen als Krieger. Barak ist Israels am höchsten dekorierter Soldat. [gallery:Der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn]
Als Verteidigungsminister war Barak nun in Deutschland – und traf auf viele Warner. Verteidigungsminister de Maizière warb für weitere Sanktionen gegen Iran; über Krieg wollte er nicht spekulieren. Bei Außenminister Westerwelle klang die Warnung vor Säbelschwingen so: „Ich rate von jeder Beteiligung an Debatten über militärische Interventionen ab.“ Die Bundesregierung fürchtet Krieg. Sie will eine politische Lösung und setzt sich ein für Atomgespräche im Rahmen „fünf plus eins“. Es sollen also die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat – USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien – und Deutschland mit Iran - wenn nicht verhandeln, so doch zumindest sprechen. Iran solle die Anreicherung von Uran aussetzen und seine Anlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) prüfen lassen. Je länger Iran sich weigere, desto heftiger sollten die Sanktionen des Westens werden.
Nun hat ausgerechnet der langjährige Direktor der IAEA, Mohammed al-Baradei, wenig Hoffnung, dass Iran mit sich sprechen lässt. Noch mehr fürchtet der Friedens-Nobelpreisträger aber Krieg. „Das würde die gesamte Region zerfetzen“, sagt der Ägypter, gewiss auch aus Sorge um sein Land. „Jeder, der Iran angreift, ist völlig verrückt.“ Dieser Satz zielt auf Netanjahu und Barak.
Seite 3: Es sei verrückt, weiter zuzusehen, wie Iran „immun“ werde
Doch Barak sieht es genau umgekehrt, wie er uns im ZDF-Morgenmagazin in seinem einzigen Interview sagte, das er während seines Deutschlandbesuchs gab. Er halte es für verrückt, weiter zuzusehen, wie Iran „immun“ werde, wie es seine Kernforschungsreaktoren immer tiefer unter Tage buddele, bald schon unerreichbar für die am tiefsten bohrenden amerikanischen Sprengbomben. Sobald Iran Atommacht sei, werde niemand mehr wagen, das Land anzugreifen. Barak erinnert an den Irak und Libyen. Hätten Saddam Hussein oder Gaddafi Atomwaffen gehabt, wäre der Westen niemals eingeschritten und den Aufständischen zur Hilfe gekommen. Mit anderen, umgekehrten Worten: Hätte Israel nicht vor drei Jahrzehnten schon die irakische Nuklearforschung bombardiert, wäre Saddam noch heute unbesiegt.
Israel rechne gar nicht damit, sofort von einer Atommacht Iran angegriffen zu werden, gibt sich Barak furchtlos. Und in der Tat scheint undenkbar, dass der Iran eine Atombombe auf das winzige Land werfen könnte, würden doch alle Nachbarn Israels zwangsläufig schwer geschädigt. Doch gerade darum würde der Einfluss der Atommacht Irans im ganzen Nahen Osten unermesslich groß werden, so fürchtet Barak. „Wer glaubt, es sei schwer, jetzt mit Iran fertig zu werden, der sollte mal einige Jahre weiter denken, wie es dann fast unmöglich würde“, rechtfertigt der israelische Verteidigungsminister seine Kriegsgedanken. Warnungen der Deutschen tut er höflich, aber bestimmt ab: „Wir haben die Verantwortung für die Zukunft Israels, und die können wir nicht einmal unseren engsten Freunden überlassen.“ [gallery:Die Proteste in Iran]
Israel rechnet im Kriegsfall fest mit deutscher Hilfe. Berlin würde wahrscheinlich umgehend Patriot-Systeme, also mobile Luftabwehrvorrichtungen entsenden, möglicherweise auch Menschen, die diese Systeme bedienen können. Sollte Israel Iran angreifen oder selbst angegriffen werden – Deutschland wäre der engste Verbündete. Barak nagelt die Bundeskanzlerin geschickt auf ihre Versprechungen fest: „Wir vertrauen ihren Worten voll!“ Die Bundesrepublik Deutschland wird Jahrzehnten von solidarischen Worten daher vielleicht bald Taten folgen lassen müssen, deren Folgen niemand absehen kann.
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