- Beckenbauer, Benz und Becks
Unser Bild von China ist von zahlreichen negativen Klischees geprägt. Doch wie wird Deutschland von den Chinesen wahrgenommen?
„Woher Kommen sie?“, fragt mich ein meist müde aussehender, aber neugieriger Taxifahrer am Terminal 3 des Pekinger Flughafens kurz nach dem Einstieg. Mit meiner Antwort wird der Mann für gewöhnlich hellwach. „Ah, Beikebao’er! Benchi! Beike pijiu!“ – mit lauten Ausrufen chauffiert er mich in die Stadt. Beckenbauer, Benz und Beck’s – lässt sich so tatsächlich das Deutschlandbild im Reich der Mitte zusammenfassen? Mein Taxifahrer kennt natürlich den chinesischen Baedeker des 17. Jahrhunderts nicht. Das Zhifang waiji, das 200 Jahre lang die maßgebliche Informationsquelle für alles Außerchinesische war, hat zu Deutschland ein paar merkwürdig vertraut klingende Zeilen parat:
„Das Klima dort ist in den Wintermonaten sehr kalt. Man versteht es gut, die Zimmer warm zu machen … Die Bewohner … sind sehr treu, zuverlässig und tüchtig, kämpfen bis zum Tode und dienen nicht zwei Herren … Im Handwerk sind sie sehr geschickt und fertigen Maschinerien an, an die kein gewöhnlicher Mensch denken würde …“
Schon ziemlich nah dran, oder? Die ursprüngliche chinesische Übersetzung für „Deutsch“ – Deyizhi mit „Tugend“ (De) und „Yizhi“ (Wille) – spiegelt die Wertschätzung des chinesischen Kaiserhofes wider. Der zeigte sich Ende des 19. Jahrhunderts von der militärischen Stärke des deutschen Reiches so beeindruckt, dass er sich preußische Berater und deutsche Maschinen ins Land holte. Diese Wertschätzung macht sich heutzutage noch bemerkbar: im Straßenverkehr, im Einzelhandel, aber auch auf dem Heiratsmarkt. Deutsche Männer, die in Europa neben Spaniern und Franzosen blass wirken mögen, punkten im Reich der Mitte – ebenso wie die Fahrzeuge aus Wolfsburg oder die Messer aus Solingen – vor allem durch ihre Beständigkeit. Ob Emaille oder Ehemänner – Deutschland wird wegen Qualität, Verlässlichkeit und Treue geschätzt. Das sagt auch eine Menge über das Vertrauen in die heimischen Pendants aus.
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Deutschland genießt außerdem einen glänzenden Ruf als Vorreiter in Sachen Recht, duales System und Umweltschutz. Für die chinesische Mittelschicht sind Goethe und Schiller wie auch Bach und Beethoven alte Bekannte – besonders Letztere, da Millionen kleiner Lang Langs täglich dem großen Vorbild nacheifern müssen. Und deutsche Universitäten und Musikhochschulen sind sehr beliebt, erstere vor allem wegen der niedrigen Studiengebühren. Zugleich aber gelten Deutsche oft als humorlose, arrogante und besserwisserische Technikbolzen, die immer gleich zum Geschäft kommen, anstatt sich zunächst beim Abendessen kennenlernen zu wollen.
A propos: „Das Essen der Deutschen entspricht ihrem Charakter – langweilig und ohne Anziehungskraft“, lautet das Urteil des chinesischen Autors Liang Fengniao. Und wird von seinen eigenen Landsleuten gleich widerlegt, die des deutschen Biers und der Schweinshaxe wegen zu Hunderttausenden zum Oktoberfest pilgern, allerdings dem in Qingdao, das jedes Jahr zwei Monate vor dem Original stattfindet und gerne auch einmal australische Bands als Münchner Traditionstruppe bewirbt.
Trotz aller Katastrophen made in Germany kommen Deutsche – im Gegensatz zu den Japanern etwa – erstaunlich gut weg. Beständig, kaopu – verlässlich und präzise. Deutsche forschen nun mal gründlich. Das ist nicht langweilig, sondern wie die jüngsten schweren Zugunglücke zeigen, überlebensnotwendig. Und in China, wo vieles nach der Devise chabuduo – „passt scho’“ – abläuft, ein großer Pluspunkt. Zu tun gibt es für Deutschland dennoch immer noch genug, vor allem, wenn es darum geht, im juristischen, medialen und politischen Dialog mit China nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Meine Empfehlung für Ihre nächste Chinareise lautet daher: Schenken Sie einen Gedichtband und zwei Flaschen Flüssiggold aus Ihrer lokalen Brauerei. So lässt sich am besten verdeutlichen, dass wir Deutschen im Grunde verkappte Romantiker sind, die berufsbedingt das Träumen vergessen haben. Einen Benz wird mein Pekinger Taxifahrer wohl nie fahren können, ein Treffen mit Kaiser Franz ist ebenso unwahrscheinlich, und das Beck’s ist in Peking auch ordentlich teuer. Aber Träumen, Neugierde und den Willen, sich für seine Ziele gewaltig ins Zeug zu legen, hat er nicht verlernt. Wir sollten uns die chinesische Übersetzung von „Deutschland“ ruhig mal wieder öfter vor Augen halten.
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