lesen: Journal - Zuviel Abendland

Durs Grünbein poliert in seinem «römischen Zeichenbuch» wohlbekannte Oberflächen. Lyrik

In seiner «Fußnote zu Rom» brauchte der Dichter Günter Eich einst nur wenige Zeilen, um sich von der monumentalen Kultur-Zumutung der abendländischen Gründungsmetropole zu verabschieden: «Ich werfe keine Münzen in den Brunnen, / ich will nicht wieder­kommen. // Zuviel Abendland, / verdächtig.» Angesichts der traditionsschweren Ruinen-Architektur erwachte in Eich ein «Lachreiz vor Säulen». Der Dichter Durs Grünbein dagegen wird erkennbar von Ehrfurcht befallen, wenn er in den Gedichten und Prosaskizzen seines neuen Bandes «Aroma» seine Begegnung mit dem «Knotenpunkt kollektiver Memoria in der Geschichte Europas» vergegenwärtigt. Diese Ehrfurcht verwundert nicht bei einem Autor, der seit vielen Jahren seine «antiken Dispositionen» betont und in gewissem Bildungsstolz bekennt, seine «wichtigste Schreiblektion» den römischen Klassikern zu verdanken.

Welche ästhetischen Folgen es haben kann, wenn man sich im Bannkreis der Kulturmetropole allzu verehrungsbereit einrichtet, belegen auf eher unerfreuliche Weise die Gedichte in «Aroma», die hier als Ertrag des branchenüblichen Villa Massimo-Stipendiums versammelt sind. In den 53 Stücken der ersten Abteilung, in denen er in sehr locker gefügten Hexametern an den einschlägigen antiken Schauplätzen vorbeiflaniert, schlägt der Dichter jene Warnung in den Wind, die er selbst vorausschauend formu­liert hat: «Wer immer in Rom umherspaziert, ist als solcher schon Epigone.» Ein Ausnahme­dichter, den man Grünbein trotz der bildungstouristischen Tendenzen in einigen seiner Bücher immer noch nennen darf, hat zweifellos die Fähigkeit, dem Kulturgehorsam in Sachen Rom zu entgehen. Bei der Lektüre dieser «Aroma»-Notate entsteht jedoch der fatale Eindruck, dass hier ein Autor von Rang vorsätzlich eine kulturtouristische Reiseführer-Poesie zu ermäßigten ästhetischen Konditionen verfasst hat.


Dekorative Bildungsrhetorik

Es gibt glücklicherweise aber noch einige Texte, in denen die immense ästhetische Intelligenz des Dichters aufblitzt. In seiner Übersetzung der Dritten Satire der römischen Großstadt-Lästerzunge Juvenal entfaltet Grünbein jene Weltaneignungs-Geschicklichkeit, die seine besten Gedichte auszeichnet. An einer Stelle seines Essays über den «Bruder Juvenal» spricht er von der Fähigkeit der römischen Dichter, die griechische Archaik als poetische Initialzündung zu nutzen, «eine Intensivierung des Gefühls für die eigene Gegenwart». Die Gegenwart des Rom-Dichters Grünbein lässt jedoch solche Intensivierung vermissen. Fast nichts von der anarchischen Schärfe und Boshaftigkeit Juvenals oder von den radikalen Exaltationen späterer Rom-Reisender (etwa des wilden Tagebuchschreibers Rolf Dieter Brinkmann) kann der zeitgenössische Rom-Flaneur in seine eigenen Verse hinüberretten. Stattdessen kultiviert der Großstadtreisende eine deko­rative Bildungs-Rhetorik, die oft hart an unfreiwilliger Komik vorbeischrammt.

«Auf in die Stadt, die so vieles zu bieten hat für das Auge», ruft sich der Dichter der «Aroma»-Elegien zu – und findet doch nur Ansichts­karten-Kulissen, die dann mit Bildungsreminiszenzen veredelt werden. Eine banale Chartermaschine wird dann ebenso feinsinnig wie willkürlich mit Stichworten aus dem Geschichts- buch überhöht: «Gleißendes Morgenlicht weckt den Italienmüden. Ostentativ / Dreht die Maschine eine Extrarunde überm Tyrrhenischen Meer. / Ostia, die kleine Pforte, erwartet die Jumbos, Touristentransporter, / Wie Octavians Flotten nach der siegreichen Heimkehr von Actium.» In seiner Selbstverteidigung gegen einen grimmigen «Aroma»-Kritiker hat Grünbein erklärt, dass er «das Aktuell-Metropolitane neben dem Rezent-Antiken» in seine Liebeserklärung an Rom aufgenommen habe. Aber weder die metropolitane Impression noch die antike Disposition werden hier als wirkliche Bewusstseins-Herausforderung begriffen. Der Elegiendichter Grünbein begnügt sich in «Aroma» mit der lyrischen Politur von Oberflächenreizen.
 

Durs Grünbein Aroma. Ein römisches Zeichenbuch
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 186 S., 19,90 €

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.