- Ein Walser-Roman, möglicherweise (II)
Martina Zöllner geht ein «Näheprojekt» ein und wird zur Entblößungsbeauftragten
Das Buch erreicht den Rezensenten mit der Nachricht, es handle sich um eine Abrechnung. Um die Darstellung einer Affäre der jungen Autorin mit dem viel älteren deutschen Großschriftsteller Martin Walser. Um den beherzten Versuch, ein Skandalbuch zu präsentieren voll Material von einer Schlüpfrigkeit, die Autoren verbotener Enthüllungsbücher wie Maxim Biller oder Alban Nikolai Herbst vor Scham erröten lassen würde. Kurz: um den Literaturbetriebsknaller. Martina Zöllners Roman «Bleibtreu» wird diesen Erwartungen oft gerecht und schlägt mit dem Kochlöffel voll in die Pampe. Wir wollen nicht so tun, als täten wir das nicht auch genießen.
Die Autorin ist Fernsehredakteurin beim SWR. Ihre Heldin Antonia Armbruster ist 36 Jahre alt, stammt aus der Vorderpfalz und arbeitet für eine Produktionsrma, die Fernsehsendern immer weniger Kulturprogramme zuliefert. Bei einem Interview-Termin verfällt sie der Intelligenz und herrischen Eitelkeit des zum Telefonsex begabten deutschen Großschriftstellers Christian Bleibtreu, der vier Jahre älter ist als ihr Vater. Sofort entsteht der Plan, die Affäre ins Schriftstellerische zu überhöhen, als gemeinsames «Näheprojekt». Die heimliche Geliebte schreibt, der große Schriftsteller lobt oder krittelt, die Ehefrau zetert, Züge werden verpasst, es kommt zu grotesken Vereinigungen im Freien und zu langen Wartestunden im Hotel. Zu Erniedrigungen. Erniedrigt werden beide Frauen, die Geliebte und die Ehefrau, durch den Mann, aber auch durch dieses Buch.
Die Hotels tragen Klarnamen, anderes wird verräterisch verschlüsselt, ohne dass große Geheimhaltungspflichten auf der Autorin zu lasten scheinen. Das Hauptkennzeichen des Liebhabers Christian Bleibtreu ist seine Feigheit, die er leider der Geliebten aufbürden muss, da ihm nicht zugemutet werden kann, seine Triebe zu kontrollieren. Hier herrscht eine Rücksichtslosigkeit, die ihm einfach a priori zusteht. Der Rest ist weinerliches Lavieren. Die kleinen Herzen, das klägliche Paar.
Man soll nicht schamhaft umgehen mit diesem Buch. Dies ist kein Anschlag auf die Ehre Martin Walsers, eher das Ergebnis eines Abkommens zur wechselseitigen Promotion in der Spaßgesellschaft. Man soll die exhibitionistischen Impulse Bleibtreus und möglicherweise auch Walsers ernst nehmen, die sich in seinem Auftrag an die Geliebte zeigen, mitzuarbeiten an einem «Näheprojekt», das ihn entblößt. Martina Zöllner ist eine Entblößungsbeauftragte. Sie kann wertvolle Bausteine zur Interpretation des Walserschen Werks liefern, eines Œuvres voll hypochondrischer, untreuer männlicher Helden auf ihrem Weg durch die korrupte, erst junge, dann alternde Bundesrepublik, an deren Korruption sie weinerlich teilhaben. Kristlein ist in hohem Maße Bleibtreu. Die Wirklichkeit ist beschreibbar.
Affäre zwischen Mann und Frauchen Im Ausbuchstabieren der Bedingungen des oft unterirdisch banalen Liebes-Alltags gewinnt das Buch seine Schärfe, im Hinzufügen anderer Erniedrigungsgeschichten aus Antonias Bekanntenkreis gewinnt es über die Verarbeitung einer schmerzhaften Privat-Erfahrung hinaus Gestalt. Vor allem aber pflegt es von der ersten Seite an beharrlich einen zufriedenen Frauenzeitschriften-Ton. Am ausdauerndsten werden die Erniedrigungen vor dem Spiegel diskutiert, die quälende Unzufriedenheit mit der eigenen Figur ist die Grundlage der Bereitschaft, sich von einem Mann erniedrigen zu lassen. Die Herangehensweise der Autorin an die Geschlechterrollen und -beziehungen ist herzhaft volkstümlich, geprägt von prä-feministischer Folklore: die zänkischen Weiber, der Hahnrei im Korb.
Hier schalten wir zurück ins Jahr 1972. Kämpferischster Hochfeminismus versucht, in die herrschenden Diskurse hineinzuregieren. Die Künstlerin Valie Export verfasst ein Manifest mit dem Titel «Woman’s Art»: «der mann hat für mann und frau das bild der frau bestimmt. Die sozialen und kommunikativen medien werden von männern geschaffen und kontrolliert. Ihr bild der frau haben die männer auf diese medien abgebildet, diesen medialen mustern entsprechend haben sie die frauen geformt und die frauen sich.»
Martina Zöllners Roman bezeugt die Richtigkeit der Export-Thesen spät, aber eindrücklich: Sie hat im Jahr 2003 die Bekenntnisse eines Kultur-Dienstmädchens vorgelegt, das von der Herrschaft ins Bett vorgelassen wurde. Schwangerschaft kommt ins Spiel, ist aber heutzutage nicht mehr tragisch, sonst wäre aus der Ich-Erzählerin noch eine Kindsmörderin geworden.
Die herrschenden Machtverhältnisse zwischen Mann und Frauchen werden hier allerhöchstens augenzwinkernd bekräftigt. Bleibtreu/Walser/Kristlein, der Mann an sich, bleibt selbst im Versuch der Abgrenzung das schriftstellerisch umsorgte Zentrum weiblichen Strebens. Ihm gelten alle schönen und hässlichen Affekte mindestens zweier Frauen. An ihm ist es, sie ganz auf sich zu beziehen, ohne die Frauen, die sie ihm schenken, wirklich als Subjekte zu erleben. Und an ihm ist es auch, das alles zu verarbeiten. Anders als im Fall Biller oder Herbst schickt Walser nicht den Staatsanwalt. Er sitzt, wie man hört, an einer schriftstellerischen Antwort auf «Bleibtreu», um das «Näheprojekt» ganz zu seinem eigenen zu machen. Er lässt sich darstellen. Er stellt sich dar. Er ist Gott.
Der Vorwurf der Schlüpfrigkeit lässt sich gegen «Bleibtreu» nicht ernsthaft erheben. Es ist Walser, der sich selbst eine schlüpfrige Rutsche gebaut hat, auf der ihm jedes Wort, das über ihn gesagt wird, zur Selbstbefriedigung entgegenrast. Er ist der Kriegsgewinnler aller Schlachten, die um seinetwillen toben. Man kann nun, Martina Zöllners Untersuchung zur Bedeutung des Schlüpfrigen bei Walser sei Dank, auch die geradezu pornograschen politischen Äußerungen dieses bedeutenden Autors noch einmal neu bewerten.
Martina Zöllner Bleibtreu. Roman DuMont, Köln 2003. 374 S., 19,90 €
Die Autorin ist Fernsehredakteurin beim SWR. Ihre Heldin Antonia Armbruster ist 36 Jahre alt, stammt aus der Vorderpfalz und arbeitet für eine Produktionsrma, die Fernsehsendern immer weniger Kulturprogramme zuliefert. Bei einem Interview-Termin verfällt sie der Intelligenz und herrischen Eitelkeit des zum Telefonsex begabten deutschen Großschriftstellers Christian Bleibtreu, der vier Jahre älter ist als ihr Vater. Sofort entsteht der Plan, die Affäre ins Schriftstellerische zu überhöhen, als gemeinsames «Näheprojekt». Die heimliche Geliebte schreibt, der große Schriftsteller lobt oder krittelt, die Ehefrau zetert, Züge werden verpasst, es kommt zu grotesken Vereinigungen im Freien und zu langen Wartestunden im Hotel. Zu Erniedrigungen. Erniedrigt werden beide Frauen, die Geliebte und die Ehefrau, durch den Mann, aber auch durch dieses Buch.
Die Hotels tragen Klarnamen, anderes wird verräterisch verschlüsselt, ohne dass große Geheimhaltungspflichten auf der Autorin zu lasten scheinen. Das Hauptkennzeichen des Liebhabers Christian Bleibtreu ist seine Feigheit, die er leider der Geliebten aufbürden muss, da ihm nicht zugemutet werden kann, seine Triebe zu kontrollieren. Hier herrscht eine Rücksichtslosigkeit, die ihm einfach a priori zusteht. Der Rest ist weinerliches Lavieren. Die kleinen Herzen, das klägliche Paar.
Man soll nicht schamhaft umgehen mit diesem Buch. Dies ist kein Anschlag auf die Ehre Martin Walsers, eher das Ergebnis eines Abkommens zur wechselseitigen Promotion in der Spaßgesellschaft. Man soll die exhibitionistischen Impulse Bleibtreus und möglicherweise auch Walsers ernst nehmen, die sich in seinem Auftrag an die Geliebte zeigen, mitzuarbeiten an einem «Näheprojekt», das ihn entblößt. Martina Zöllner ist eine Entblößungsbeauftragte. Sie kann wertvolle Bausteine zur Interpretation des Walserschen Werks liefern, eines Œuvres voll hypochondrischer, untreuer männlicher Helden auf ihrem Weg durch die korrupte, erst junge, dann alternde Bundesrepublik, an deren Korruption sie weinerlich teilhaben. Kristlein ist in hohem Maße Bleibtreu. Die Wirklichkeit ist beschreibbar.
Affäre zwischen Mann und Frauchen Im Ausbuchstabieren der Bedingungen des oft unterirdisch banalen Liebes-Alltags gewinnt das Buch seine Schärfe, im Hinzufügen anderer Erniedrigungsgeschichten aus Antonias Bekanntenkreis gewinnt es über die Verarbeitung einer schmerzhaften Privat-Erfahrung hinaus Gestalt. Vor allem aber pflegt es von der ersten Seite an beharrlich einen zufriedenen Frauenzeitschriften-Ton. Am ausdauerndsten werden die Erniedrigungen vor dem Spiegel diskutiert, die quälende Unzufriedenheit mit der eigenen Figur ist die Grundlage der Bereitschaft, sich von einem Mann erniedrigen zu lassen. Die Herangehensweise der Autorin an die Geschlechterrollen und -beziehungen ist herzhaft volkstümlich, geprägt von prä-feministischer Folklore: die zänkischen Weiber, der Hahnrei im Korb.
Hier schalten wir zurück ins Jahr 1972. Kämpferischster Hochfeminismus versucht, in die herrschenden Diskurse hineinzuregieren. Die Künstlerin Valie Export verfasst ein Manifest mit dem Titel «Woman’s Art»: «der mann hat für mann und frau das bild der frau bestimmt. Die sozialen und kommunikativen medien werden von männern geschaffen und kontrolliert. Ihr bild der frau haben die männer auf diese medien abgebildet, diesen medialen mustern entsprechend haben sie die frauen geformt und die frauen sich.»
Martina Zöllners Roman bezeugt die Richtigkeit der Export-Thesen spät, aber eindrücklich: Sie hat im Jahr 2003 die Bekenntnisse eines Kultur-Dienstmädchens vorgelegt, das von der Herrschaft ins Bett vorgelassen wurde. Schwangerschaft kommt ins Spiel, ist aber heutzutage nicht mehr tragisch, sonst wäre aus der Ich-Erzählerin noch eine Kindsmörderin geworden.
Die herrschenden Machtverhältnisse zwischen Mann und Frauchen werden hier allerhöchstens augenzwinkernd bekräftigt. Bleibtreu/Walser/Kristlein, der Mann an sich, bleibt selbst im Versuch der Abgrenzung das schriftstellerisch umsorgte Zentrum weiblichen Strebens. Ihm gelten alle schönen und hässlichen Affekte mindestens zweier Frauen. An ihm ist es, sie ganz auf sich zu beziehen, ohne die Frauen, die sie ihm schenken, wirklich als Subjekte zu erleben. Und an ihm ist es auch, das alles zu verarbeiten. Anders als im Fall Biller oder Herbst schickt Walser nicht den Staatsanwalt. Er sitzt, wie man hört, an einer schriftstellerischen Antwort auf «Bleibtreu», um das «Näheprojekt» ganz zu seinem eigenen zu machen. Er lässt sich darstellen. Er stellt sich dar. Er ist Gott.
Der Vorwurf der Schlüpfrigkeit lässt sich gegen «Bleibtreu» nicht ernsthaft erheben. Es ist Walser, der sich selbst eine schlüpfrige Rutsche gebaut hat, auf der ihm jedes Wort, das über ihn gesagt wird, zur Selbstbefriedigung entgegenrast. Er ist der Kriegsgewinnler aller Schlachten, die um seinetwillen toben. Man kann nun, Martina Zöllners Untersuchung zur Bedeutung des Schlüpfrigen bei Walser sei Dank, auch die geradezu pornograschen politischen Äußerungen dieses bedeutenden Autors noch einmal neu bewerten.
Martina Zöllner Bleibtreu. Roman DuMont, Köln 2003. 374 S., 19,90 €
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