- Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten
«Die neuen Archivisten», so nennt Moritz Baßler die deutschen Popliteraten der letzten zehn Jahre. Autoren wie Max Goldt, Christian Kracht, Thomas Meinecke oder Benjamin von Stuckrad-Barre komme es weniger darauf an, eine Erzählung zu entfalten, als auf das Sammeln und Ordnen von Dingen. Stuckrad-Barres «Soloalbum» nimmt die Geschichte einer Trennung nur als Vorwand, um Elemente zu einem Paradigma zusammenzustellen.
«Die neuen Archivisten», so nennt Moritz Baßler die deutschen Popliteraten der letzten zehn Jahre. Autoren wie Max Goldt, Christian Kracht, Thomas Meinecke oder Benjamin von Stuckrad-Barre komme es weniger darauf an, eine Erzählung zu entfalten, als auf das Sammeln und Ordnen von Dingen. Stuckrad-Barres «Soloalbum» nimmt die Geschichte einer Trennung nur als Vorwand, um Elemente zu einem Paradigma zusammenzustellen. Zum «Freundeskreis» etwa fällt ihm ein: «Mitbewohner oder eine Haushaltskasse, ein Etagenklo oder ein Fernsehraum. Eine Mitfahrgelegenheit, was auch immer.» Wenige Worte reichen aus, um ein ganzes Milieu zu skizzieren, das in Studentenwohnheimen zuhause ist. Es gehe, so Baßler, bei der Erkundung der Grenzen dieses Archivs um die Frage, was noch zu dieser «Melange aus Intimität und Zwangsgemeinschaft» passe. «Der Text ist ein Gewebe von Zitaten, die den unzähligen Bereichen der Kultur entstammen», wird Roland Barthes zustimmend zitiert. Aber dies gilt für jeden Text, für Thomas Mann und für Christian Kracht. Den Unterschied zur Popliteratur bestimmt Baßler mit Boris Groys, der das kulturelle Archiv, das sozusagen die gepflegte Semantik enthält, vom «profanen Raum» unterscheidet, in dem sich jene Dinge befinden, die «nicht eigens aufbewahrt» und daher schließlich vergessen werden. Popliteratur wird als ein Mechanismus bestimmt, der diese Dinge aus dem profanen Raum ins kulturelle
Archiv einspeist und zwar, indem sie von der Popliteratur selbst archiviert werden. Überall stößt Baßler auf ihre Kataloge und Paradigmen. Auf den ersten hundert Seiten von «Glamorama» geht Victor Ward etwa Prominentenlisten von A bis Z durch, um Einladungen für einen neuen Club zusammenzustellen. Die Funktion der Listen ist nicht narrativ, sondern archivarisch: Jemand/ etwas passt hinein – oder wird ausgesondert. «Paradigmen dieser Art», so lautet Baßlers These, «sind das Herzstück aller popliterarischen Verfahren zwischen Sammeln und Generieren.» Er hat vollkommen Recht: Die Popliteratur interessiert sich nicht für grands récits, sondern sie hat Spaß am Tableau, an der stimmigen Zusammenstellung, am überzeugenden Sampling. H&M passt zu Ikea und Wohngemeinschaft wie Gucci-Anzüge zum schwarzen Saab 900 und Loft. Aber warum spricht Baßler von den «neuen Archivisten»? Ich vermute, weil barocke Speicher und Kombinatoriken ganz ähnlich funktionieren. Gemeinplätze und Allegorien der Barockliteratur entsprechen den Markennamen und Stars der Popliteratur. Raider heißt jetzt Twix und Thesaurus Archiv.
Moritz Baßler
Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten
C. H. Beck, München 2002. 222 S., 12,90 €
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