- „Rösler ist ein Hemmschuh”
Im Gespräch mit CICERO ONLINE erklärt der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Oskar Niedermayer, was für Auswirkungen die Landtagswahl in Niedersachsen auf den Bund haben könnte, warum Philipp Rösler eine Belastung für die FDP ist und ob Peer Steinbrück die Wende noch schaffen kann
Herr Professor Niedermayer, die FDP hat in Niedersachsen
9,9 Prozent der Stimmen erhalten. 80 Prozent davon sollen jedoch
„Leihstimmen” von CDU-Anhängern sein. Ist das Wahlergebnis
überhaupt ein Erfolg für die FDP?
Das ist ganz klar ein Erfolg und das wird von den FDP-Politikern
auch so gesehen werden. Aber es ist genau betrachtet natürlich ein
Erfolg, der nicht aus eigener Kraft errungen wurde. Er ist nur
dadurch zustande gekommen, dass sehr viele CDU-nahe Wähler der FDP
ihre Stimme gegeben haben, um David McAllister im Amt zu
halten.
Gab es jemals eine so große strategisch bedingte
Wählerwanderung wie gestern in Niedersachsen?
Wählerwanderungen gibt es immer. Diese sind mal stärker und mal
weniger stark. Auch bei der Bundestagswahl 2009 gab es eine
eindeutige Wanderung von vielen wirtschaftsliberal orientierten
CDU-Wählern zur FDP hin. Deswegen war das damalige Ergebnis der FDP
kein Resultat eigener Kraft. In Niedersachsen hat es meiner Meinung
nach die bisher stärkste Bewegung dieser Art auf Landesebene
gegeben.
Ist eine ähnliche Wählerwanderung auch bei der
Bundestagswahl zu erwarten und was würde das für Angela Merkel
bedeuten?
Ich vermute, dass die Union ihre Eigenständigkeit beim
Bundestagswahlkampf sehr viel stärker betonen wird als in
Niedersachsen und um jede Stimme kämpfen wird. Die FDP wird es
möglicherweise wieder probieren, da es für sie sehr erfolgreich
war. Beide Parteien müssen allerdings erkennen, dass eine reine
Leihstimmenkampagne nichts bringt. Denn dabei geht es ja nur um
eine Umverteilung der Stimmen. Notwendig ist eine
Mobilisierungskampagne, die beide Parteien stärker werden
lässt.
Die CDU bleibt in Niedersachsen zwar stärkste Kraft,
muss nach zehn Jahren jedoch wieder in die Opposition. Wird die CDU
auf Bundesebene weiter an der FDP als Koalitionspartner festhalten
oder ist eine Umorientierung in Richtung Schwarz-Grün
denkbar?
Bei der Bundestagswahl werden die Karten neu gemischt. Auch die
Linkspartei ist dann mit im Spiel, weil sie allein durch ihre
Direktmandate auf jeden Fall in den Bundestag kommen wird. Daher
sind alle Parteien gut beraten, ihre Präferenzen sehr eindeutig zu
nennen. Sie sollten aber vorsichtig damit sein, bestimmte
Koalitionsvarianten strikt auszuschließen. Ich kann mir durchaus
vorstellen, dass man sich vor der Wahl klar zu Schwarz-Gelb und
Rot-Grün bekennt und sich danach doch zumindest zu Verhandlungen
zusammensetzt, wenn die einzige Alternative eine Große Koalition
ist. Das geht aber nur, wenn man vor der Wahl nicht alle anderen
Optionen definitiv ausgeschlossen hat.
Die FDP hat ihren Parteitag auf März vorgezogen und
Philipp Rösler hatte sogar seinen Rücktritt als Parteivorsitzender
angeboten. Nach einem Gespräch mit Rainer Brüderle soll Rösler nun
doch Parteivorsitzender bleiben und Brüderle als Spitzenkandidat in
den Wahlkampf gehen. Überrascht Sie dieser Schritt nach dem guten
Wahlergebnis?
Einerseits hatte man gestern Abend noch den Eindruck, dass Rösler
dieses Ergebnis auch als eigenen Erfolg einordnet und daher keinen
Anlass zum Rücktritt mehr sehen würde. Wenn er das jetzt doch
angeboten hat, ist das natürlich der Tatsache geschuldet, dass er
sich seines schlechten Images auf Bundesebene bewusst ist. Außerdem
haben die letzten beiden Landtagswahlen, die für die FDP auch gut
ausgegangen sind, an seinem negativen Image nichts geändert. Daher
besteht die Gefahr, dass dies auch nach der Niedersachsen-Wahl der
Fall ist, und so wäre Rösler eher ein Hemmschuh für einen
FDP-Erfolg als ein Positivum.
Könnte eine reine Personalentscheidung der FDP denn
überhaupt nachhaltig helfen?
Personalentscheidungen allein reichen natürlich nicht aus. Man muss
aber klar sehen, dass die FDP auf Bundesebene von den Wählern schon
fast abgeschrieben war und da hilft eigentlich nur ein glaubwürdig
vermittelter Neustart. Der muss ein neues Personaltableau
enthalten. Diesem kann auch Rösler angehören, wenn andere Personen
in wichtigen Rollen mit eingebunden werden. Insbesondere natürlich
Rainer Brüderle, dem die Kernklientel der FDP als einzigem zutraut,
die liberale Fahne hochzuhalten. Dazu bräuchte man in meinen Augen
aber auch Christian Lindner, um eine verjüngte und nach vorne
schauende FDP zu verkörpern. Das allein wird allerdings auch nicht
reichen.
nächste Seite: Liberalismus ist mehr als nur Steuersenkungen
Wo muss die FDP thematisch anknüpfen, um die Wähler
wieder zu überzeugen?
Die FDP muss wirklich alles versuchen, um den Wählern wieder
deutlich zu machen, dass Liberalismus auf dem ökonomischen Sektor
mehr ist als Steuersenkungen, und dass man auch auf dem
gesellschaftspolitischen Parkett etwas zu bieten hat. Das ist jetzt
etwas einfacher, weil die Piraten eine deutliche Niederlage
erlitten haben und man deswegen in Bezug auf Bürgerrechte,
Freiheitsrechte und Netzpolitik nicht mehr so sehr zwischen Grünen
und Piraten zerrieben wird.
Rot-Grün hat die Wahl in Niedersachsen äußerst knapp für
sich entschieden. Wie stabil kann solch eine minimale Mehrheit im
Landtag sein?
Auf jeden Fall werden es SPD und Grüne miteinander versuchen, das
haben sie vor und nach der Wahl ja sehr deutlich gemacht. Ob diese
sehr knappe Mehrheit fünf Jahre hält, ist durchaus mit einem
Fragezeichen versehen. Es gibt aus der Vergangenheit ja genügend
Beispiele, wo knappe Mehrheiten dazu geführt haben, dass
Ministerpräsidenten erst gar nicht gewählt wurden oder dass während
der Legislaturperiode etwas schief gehen kann.
Cem Özdemir sprach im Hinblick auf die Bundestagswahl
von „Rückenwind” für Rot-Grün. Kann dieser Erfolg die Chancen von
Peer Steinbrück nachhaltig verbessern?
Durch den knappen Wahlsieg ist Peer Steinbrück zumindest mit einem
blauen Auge davongekommen. Wenn der Machtwechsel nicht gelungen
wäre, wäre er mit Sicherheit stark dafür verantwortlich gemacht
worden. Und das ist ja auch der Fall, es gab bundespolitischen
Gegenwind bei dieser Wahl. Steinbrück wird jetzt versuchen, die
Fehler, die er in der Vergangenheit gemacht hat, zu vermeiden und
stärker auf Inhalte setzen. Zudem hat die SPD jetzt das Argument
auf ihrer Seite, zum fünften Mal eine schwarz-gelbe Regierung
abgelöst zu haben. Man darf aber nicht vergessen, dass es für
Rot-Grün im Bund nach den bisherigen Umfragen deutlich schlechter
aussieht. Die SPD liegt dramatisch weit hinter der CDU. Insofern
wird es für Rot-Grün auf Bundesebene weit schwieriger, einen
Machtwechsel herbeizuführen als in Niedersachsen.
Kann die neue Mehrheit der Opposition im Bundesrat
Rot-Grün weiteren Schwung geben?
Wenn es gelingt, die sehr unterschiedlichen Landesregierungen
inhaltlich unter einen Tisch zu bringen, kann das zumindest zu
öffentlicher Aufmerksamkeit führen. Man kann natürlich ohne die
Bundestagsmehrheit keine Politik gestalten. Politik anzuschieben
und wichtige Themen auf die Agenda zu setzen, kann sich in der
öffentlichen Wahrnehmung jedoch auch positiv auswirken.
Kann es denn für Peer Steinbrück überhaupt noch reichen
bis zur Wahl?
Auf jeden Fall. Es ist noch sehr lange hin bis zur Bundestagswahl
und die Deutschen sind in ihrem Wahlverhalten relativ flexibel. Es
kann also noch Ausschläge in beide Richtungen geben, die wir uns
jetzt noch gar nicht vorstellen können. Es ist für Steinbrück
selbstverständlich kein Selbstläufer. Rot-Grün sollte jetzt
natürlich nicht glauben, dass sie die Bundestagswahl nach diesem
Zittersieg in der Tasche hat.
Herr Professor Niedermayer, vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Oskar Niedermayer ist Parteienforscher und Leiter des Otto-Stammer-Zentrums an der Freien Universität Berlin.
Das Interview führte Julian Graeber.
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