- Käferkommandos am Hindukusch
Der Wettbewerbsbeitrag „Zwischen Welten“ erklärt uns die Lage in Afghanistan wie kein Film vorher. Die journalistische Recherche hat sich ausgezahlt
Man müsste die Kuh ersetzen, dann wäre Ruhe. Die Kuh hatte sich im Nato-Draht der deutschen Soldaten verletzt, brüllend vor Schmerz, bis ein Soldat ihr schließlich den Fangschuss gegeben hat. Jetzt will der afghanische Besitzer Entschädigung - umgerechnet 500 Dollar, das Tier war alles was er hatte. Inzwischen ist ganze Dorf samt der örtlichen Miliz in Aufruhr und tobt. Das ist schlecht, denn das Wohlwollen der Lokalbevölkerung ist für die Bundeswehreinheit überlebenswichtig.
Der schwitzende Kompaniechef funkt unter dem Geschrei der Dorfbewohner mit der zuständigen Dienststelle, die Kuh muss gezahlt werden, bitte rasch. Geht nicht, funkt es lapidar zurück. Die Kostenerstattung von beim Einsatz verletztem Vieh ist im Etat und den Richtlinien nicht vorgesehen. Ende der Durchsage.
Von den Widersprüchen der ISAF-Truppen
Es wird nicht das erste Mal in „Zwischen Welten“ sein, dass Menschen vor Ort auf unerfreuliche Weise die Konsequenzen schnöder Handbuchexekutionen zu tragen haben. Dass sie zwischen die Fronten geraten, die sich in Feo Aladags Film über den Afghanistan-Einsatz überall auftun: Zwischen „Standard Operating Procedure“ und der tatsächlichen Notwendigkeiten des Alltags im Einsatz, zwischen afghanischer Stammeskultur und deutscher Regeltreue, zwischen islamistischem Traditionalismus und den Verheißung des Westens.
Wem jetzt schon der Kopf brummt, der hat den Punkt dieses deutschen Beitrags zum Wettbewerb der Berlinale verstanden: Er handelt von den alltäglichen Wirrnissen und unlösbaren Widersprüchen der ISAF-Truppen und ihrer Verbündeten.
Der Hauptmann Jespers (Ronald Zehrfeld) befehligt eine Einheit, die ein entlegenes Dorf vor Taliban schützen soll. Die Fremdheit der Afghanen erleben die Soldaten unter Hitze und permanenter Angespanntheit als dauernde Bedrohung, schon das macht die Rolle ihres Dolmetschers, des jungen Afghanen Tarik (Mohsin Ahmady), unersetzlich. Tarik allerdings macht viel mehr als nur zu übersetzen. Unentwegt leistet er diplomatische Vermittlungsdienste zwischen Bundeswehr und Stammeskriegern. Teutonische Tollpatschigkeit verwandelt er gegenüber Milizenführern in respektvolle Floskeln, barsche afghanische Beleidigungen übersetzt er den fremden Soldaten in zuvorkommende Höflichkeit. Er wirkt so als Stoßdämpfer, wenn afghanischer Stolz und die Logik von Ehre und Loyalität auf Bundeswehrparagrafen prallen.
Berührender Essay statt formelhaftem Kriegsdrama
Der deutsche Apparat dankt es ihm nicht, ein Visum bleibt ihm verweigert, und das, obwohl sich Tarik durch seine Kollaboration mit den Deutschen in Lebensgefahr begeben hat: Er und seine Schwester erhalten Drohanrufe, sie wird von ominösen Männern verfolgt, er wird von Unbekannten zusammengeknüppelt, und natürlich kommt es noch schlimmer. Und Jespers erlebt, dass er ihm nicht helfen kann ohne seine Dienstvorschriften zu verletzten.
Was in den Händen eines anderen Filmemachers ein generisches, formelhaftes Kriegsdrama hätte werden können, ist unter der Regisseurin Feo Aladag zu einem klugen, differenzierten und berührenden Essay über die realen Umstände und Herausforderungen des Afghanistan-Einsatzes geworden. Prachtvoll hat die Kamerafrau Judith Kaufmann die Landschaften am Hindukusch eingefangen, die Uniformen im flirrenden Sand, die Panzerkolonnen die sich gespenstisch wie gigantische Käferkommandos durchs verstaubte Abendlicht wälzen.
Film mit journalistisch-dokumentarischer Qualität
Seine Eindringlichkeit aber gewinnt der Film oft erst durch die kleinen Beobachtungen, die nur jemand machen kann, der seinen Stoff wirklich durchdrungen hat. Über Jahre hinweg hat Feo Aladag in Afghanistan recherchiert, und anders als bisherige Afghanistan-Filme sogar in Kunduz und Mazar-i-Sharif gedreht, mit logistischer und fachlicher Unterstützung der Bundeswehr. Das gibt ihrem Film ein journalistisch-dokumentarische Qualität, und die Grundlage, um die eigentliche Geschichte erst souverän zu erzählen.
Und „Zwischen Welten“ stellt unser Halbwissen über das Geschehen am Hindukusch, entstanden durch unzählige Reportagen, Tagesschau-Schnipsel und Kommentare, in einen großen, narrativen Kontext. Er gibt dem Thema Gesichter mit denen wir fühlen und Angst haben, ohne dass der Film dabei je seine Komplexität und Ambivalenz unterschlagen würde. Nach einem Flugzeug nach Afghanistan ist „Zwischen Welten“ wahrscheinlich das nächstbeste Vehikel zur Ahnung der dortigen Dilemmata, inklusive der Frage: Wie hilfreich war unsere Hilfe, wenn diejenigen, die uns dabei helfen sie zu geben, dafür mit ihrem Leben bezahlen?
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