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Zerstörung von Kulturerbe durch den IS - Die zynische Empörung in den deutschen Feuilletons

Ohne Zweifel: Die Zerstörung von Kulturgütern durch den IS ist barbarisch. Barbarisch ist es aber auch, wenn die Empörung im deutschen Feuilleton über zerschlagene Götterstatuen größer ist als das Entsetzen über die vielen Toten. Ein Kommentar

Autoreninfo

Judith Hart ist Ressortleiterin Weltbühne bei Cicero

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Deutschland ist stolz auf seine Kultur. Wenn Kultur bedroht ist – ob in der deutschen Provinz oder in der Levante -, dann sind es Deutsche, die besonders laut zu deren Rettung aufrufen. So wie jetzt, da die Milizen des „Islamischen Staates“ das syrische Palmyra erobert haben. Palmyras Ruinen aus den ersten Jahrhunderten nach Christus gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die einstige Handelsmetropole gilt als einer der bedeutendsten Bauten im Nahen Osten.

„Weltkulturerbe bedroht“
 

„Zivilisationsbruch als perverser Machtbeweis“, titelte die Süddeutsche Zeitung, auf der Website von n-tv hieß es „Weltkulturerbe bedroht“, Spiegel online fragte: „Wo bleibt der Aufschrei im Westen über die drohende Zerstörung von Palmyra“, und auf Zeit online schrieb Nicolas Flessa: „Die Vorstellung, mit der griechisch-römischen Wüstenstadt ginge der Welt nach Nimrud und Hatra noch ein weiteres unwiederbringliches Kulturgut verloren, ist schwer zu ertragen.“ Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums Berlin, konstatierte: Falls Palmyra vom „Islamischen Saat“ zerstört werden sollte, wäre dies „ein unersetzlicher Verlust für die Menschheitsgeschichte“. Schließlich sei die Oasenstadt nicht nur „Identitätsort“ für die Bevölkerung, sondern potenziell auch ein zentrales touristisches Ziel.

Die Sorge ist nicht unbegründet. Bereits Anfang dieses Jahres hatten Kämpfer des „Islamischen Staates“ die Ruinen des über 2.000 Jahre alten Hatra mit Bulldozern dem Erdboden gleich gemacht; in der archäologischen Stätte Nimrud aus dem 13. Jahrhundert vor Christus zerschlugen sie triumphierend grinsend über 3.000 Jahre alte Statuen und Götterfiguren mit Vorschlaghammern. Als „Kriegsverbrechen“ bezeichnete Irina Bokowa, Direktorin der UN-Kulturorganisation UNESCO, diese absichtliche Zerstörung von Kulturerbe.

Ohne Frage: Die Zerstörung von Kulturgütern, die zum Gedächtnis der gesamten Menschheit gehören, ist barbarisch. Barbarisch ist es aber auch, wenn die Empörung über zerschlagene Götterstatuen größer ist als das Entsetzen über die wahren Kriegsverbrechen.

Ausmaß von Völkermord
 

Einem Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte vom 19. März 2015 zufolge hat die vom „Islamischen Staat“ verübte Gewalt das Ausmaß von Völkermord erreicht. Ziel ihrer mörderischen Kampagne sind vor allem die Jesiden, die zu tausenden ermordet, vertrieben, deren Frauen (und Mädchen) zigfach vergewaltigt und zwangsverheiratet wurden. 220.000 Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen vom März 2011 bis März 2015 in Syrien getötet worden, mehr als 76.000 Menschen waren es allein im vergangenen Jahr, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die in Großbritannien ansässige Organisation registrierte unter den Todesopfern im vergangenen Jahr 17.790 Zivilisten, darunter 3.500 Kinder und fast 2.000 Frauen. Syriens Regierungschef Baschar al-Assad bombardiert weiterhin Zivilisten mit Fassbomben. Rund 9 Millionen Syrer haben ihre Heimat verloren: Mindestens 2,4 Millionen Syrer retteten sich in die Nachbarländer, 6,5 Millionen sind innerhalb Syriens auf der Flucht.


Ein unersetzlicher Verlust ist es, dass nach einer Studie der Menschenrechtsorganisation Minority Rights Group International im vergangenen Jahr im Irak mehr als 12.000 Zivilisten getötet wurden. Neben den Jesiden führen die Kämpfer des „Islamischen Staates“ ihre Mordkampagne hauptsächlich gegen Christen und Turkmenen. Die älteste christliche Gemeinschaft der Welt in Syrien und Irak droht die vollkommene Vernichtung. Wo bleibt angesichts dieser Gräuel der „Aufschrei des Westens“?

Der Respekt für das Erbe der Menschheit ist das Gegenteil von Barbarei; die Erhaltung und Pflege von Kulturgütern ist ein Zeichen der Kultiviertheit von Gesellschaften. Aber: Bedrohten, Verfolgten und Flüchtlingen zu helfen, Menschen zu schützen, das ist die höchste Form von Kultiviertheit.

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