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Tourismus-Albtraum - Plädoyer für die Pauschalreise

Pauschalurlaub gilt vielen als touristische Vorhölle aus Animation und Kleinkindern. Doch was spricht eigentlich gegen das gute alte Rundumsorglos-Paket aus Sonne, Strand und Meer, wenn man nichts anderes tun möchte, als eines: eine Auszeit nehmen. Ein kleines Plädoyer

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

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Pauschalurlaub. Ein Wort, so klein, so nichtig, so vielgeschmäht. Spricht man die vier Silben allein in Gedanken, so zieht sich schon unwillkürlich eine voreingenommene Augenbraue abschätzig in Richtung Haaransatz, die Mundwinkel kräuseln sich unliebsam und ein kalter Schauer fährt einem den Rücken hinab, bis in die Kniekehlen. Pau-schal-ur-laub. Ein schlimmes, schlimmes Wort.

Denn die Pauschalreise steht für all das, was der gesunde Menschenverstand (vor allem in seiner Freizeit) eigentlich von Natur aus ablehnt: Animation, geschmackloses Essen und uninspirierte Menschen an uninspirierten Orten.

Pauschalreisen, das sind grelle All-inclusive-Armbänder, die sich wie eine Fessel um die dicken Handgelenke einiger krebsgeröteter Engländer legen, während sie walfischartig auf einer Luftmatratze durch den Süßwasserpool der Clubanlage treiben und gemächlich an einem Blue Curacau samt Schirmchen nippen. Das sind aufdringliche Unterhaltungsprogramme eines gute Laune forcierenden Animationsteams mit seinen nicht enden wollenden Tanz- und Zaubereinlagen zu dem kläglichen Bum-bum-Repertoire einer einzigen (!), in Dauerschleife widerhallenden CD, die von Senioren-Reisegruppen aus dem Harz aber nicht weniger schwitzend beklatscht werden.

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Das sind unkultivierte, hungrige Horden am „kontinentalen Buffet“, die sich morgens, mittags und abends in augenschmerzend unpassender Badebekleidung hier um den letzten Krabbencocktail balgen, das transparente Strandtuch lediglich alibimäßig um die unvorteilhafte Hüftpartie geknotet. Und das sind quietschende Kleinkinder, die ihren Sand gedankenverloren und schaufelweise in den Gegenwind kippen, immer genau zwei Meter von der eigenen, eigens früh morgen behandtuchten Sonnenliege (gegen Gebühr) entfernt.

Pauschalurlaub, Inbegriff der kleinbürgerlichen Uninspiriertheit, haucht die defekte Klimaanlage im Frühbucherrabatt-Hotelzimmer, als sie ihren letzten Atemzug tut. Und in der Ferne hört man irgendwo ein Bananenboot knattern.

Soweit das gängige Klischee.

Nun kommt man aber nicht umhin, zu bemerken, dass die Pauschalreise trotz allem nicht totzukriegen ist. Durch alle gesellschaftlichen Schichten wird sie weiterhin fröhlich und mehrheitlich gebucht und erfreut sich Jahr um Jahr an ihrer mehr als fraglichen Popularität. Woran das zum Teil auch liegen mag?

Für solche, die nicht zu jenen unverbesserlichen, routinierten und gleichwohl überzeugten Pauschalreisenden gehören, dürfte das Prinzip der Kurzschlussreaktion eine entscheidende Rolle spielen. Blickt man beispielsweise zurück auf den diesjährigen Monat März – man rufe sich das historische Kältetief in Erinnerung, das ganze Gefriere und den vielen Rollsplitt im Schuh –, und auch der vergangene Mai zählt sicher nicht zu den Glanzstunden der Frühlingskunst, so lässt sich vielleicht nachvollziehen, warum sich der ein oder andere für die Flucht nach vorne entschließt.

Manchmal ist es einfach genug: Schluss mit Kalt, Schluss mit Herbst und Heizungsluft kurz vor Sommeranfang, Schluss mit der ungesunden Blässe, Schluss mit dem Zwiebelprinzip und einem Regenschirm als ständiger sperriger Begleiter sobald man vor die Haustüre tritt. Und plötzlich sieht man sich selbst entschlossenen Schrittes das nächstgelegene Reisebüro ansteuern, selbiges nur wenige Minuten später schon wieder verlassen, die Buchungsbestätigung halb fassungslos, halb erleichtert in den Händen haltend.

Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch, dass man Gefahr läuft, für einen Moment den Respekt seiner Freunde einbüßen zu müssen oder zumindest hämischem und lang anhaltendem Gelächter ausgesetzt zu sein, verkündet man etwas verlegen die frohe Botschaft von der anstehenden Reise nach XY. Doch was ist tatsächlich so verwerflich an einem Rundumsorglos-Paket? Gar nicht so viel.

Sicher, in einer streng individualisierten Gesellschaft, die sich geradezu akribisch auf die Bedürfnisse des Einzelnen ausrichtet, kann die pauschale Massenabfertigung – ganz gleich ob in der Mode-, der Nahrungsmittel- oder eben der Reiseindustrie – nur als Schimpfwort gelten. In Zeiten, in denen furchtlose Rucksacktouristen von Oslo nach Beirut trampen, von Kontinent zu Kontinent hoppen und dafür ein eigenes Kontingent an Thrombosestrümpfen besitzen, dichten selbsternannte Reiseexzentriker Pauschaltouristen vielleicht gerne fehlendes Selbstbewusstsein an. Dabei will man doch aber im Grunde genommen genau das gleiche: eine Auszeit nehmen.

Nach monatelanger Arbeit mit endlosen Wochenend- und Spätschichten möchte manch einer sich im Urlaub vielleicht nur noch eine einzige Frage stellen müssen: ob er jetzt schon aufstehen oder sich lieber noch einmal umdrehen soll. Manch einer möchte sich vielleicht nur noch fragen müssen, ob man sich tagsüber in regelmäßigen Abständen in der Sonne wendet, oder ob man den Tag schnorchelnd begeht. Manch einer möchte sich vielleicht nur noch einzig und allein zwischen Updike oder Austen, Fisch oder Steak, Rot- oder Weißwein (oder Bier) entscheiden müssen. Und das ist doch eigentlich mehr als legitim.

Im nächsten Sommer steht das Auto dann ja auch wieder bereit für den Roadtrip durch Südfrankreich. Im nächsten Herbst dürfen wieder Gabelflüge quer durch Skandinavien oder Südostasien koordiniert werden. Und in den nächsten Weihnachtsferien rufen von wieder die urbanen Klänge von Metropolis. Doch für jetzt, um Himmels Willen, lassen wir die Pauschalurlaub-Liebhaber dieser Welt doch ihre Koffer packen, für eine kostengünstige Reise nach Tunesien Schrägstrich Ägypten Schrägstrich Türkei Schrägstrick Balearen.

Das mag nicht besonders originell sein. Das ist Marmorkuchen auch nicht – schmeckt aber trotzdem. Manchen zumindest.

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