Kurz und Bündig - Richard Wagner: Das reiche Mädchen

Das Malen nach Zahlen und das Schreiben nach Vorlage setzen der künstlerischen Kreativität enge Grenzen. Zudem sind in letzter Zeit mehrere aus dem Leben gegriffene Vorlagen gerichtlich an der Veröffentlichung gehindert worden. Gleichwohl hat Richard Wagner die Geschichte der Katrin Reemtsma aufgegriffen, einer Ethnologin und Tochter aus reichem Hause, die 1997 von ihrem Lebensgefährten, einem jugoslawischen Rom, erstochen wurde.

Das Malen nach Zahlen und das Schreiben nach Vorlage setzen der künstlerischen Kreativität enge Grenzen. Zudem sind in letzter Zeit mehrere aus dem Leben gegriffene Vorlagen gerichtlich an der Veröffentlichung gehindert worden. Gleichwohl hat Richard Wagner die Geschichte der Katrin Reemtsma aufgegriffen, einer Ethnologin und Tochter aus reichem Hause, die 1997 von ihrem Lebensgefährten, einem jugoslawischen Rom, erstochen wurde. Abgesichert durch eine Rahmenhandlung, in der ein Drehbuchschreiber die Geschichte nachzeichnet, bleibt Wagners Roman dem Vorbild verhaftet, auch wenn er in einer Vorbemerkung bestreitet, sich an realen Personen orientiert zu haben. Aus Katrin Reemtsma ist zwar Sibylle Sundermann geworden, und das Vermögen hat man während der NS-Zeit auch nicht mit Zigaretten, sondern mit von Zwangsarbeitern gebauten Maschinen gemacht, doch im Kern entspricht der Roman einem Exposé, das man der Prozessberichterstattung entnehmen konnte: Reiche Frau schmeichelt ihrem Gewissen, indem sie sich für unterdrückte Völker engagiert, sucht sich einen Vorzeige-Asylanten zum Lebenspartner, dessen Abhängigkeit von ihr schließlich in Aggressivität umschlägt. Dabei zeigt sich der 1952 im rumänischen Banat geborene Wagner als Kenner der südosteuropäischen Männerseele. Sein «Reiches Mädchen» aber bleibt im Klischee gefangen. Der Roman weist ihm keinen Ausweg aus ihrem kommoden Irrglauben, an allem sei irgendwie ihre Familie schuld oder zumindest mitschuldig. Wenn Sibylle mit ihrem Dejan durch die «Welt der Seminare» zieht, schwankt die Stimmung zwischen freundlicher Verständnislosigkeit und abfälligen Nebenbemerkungen über die auch aus methodologischer Sicht fragwürdige Beziehung zwischen der privilegierten Frau und dem Rom – schließlich sollte man die teilnehmende Beobachtung doch nicht zu weit treiben. Dejan wiederum wundert sich über den Anspruch der Ethnologen, sich das Fremde mit Fremdwörtern näher- bringen zu wollen. Verständnis glaubt er nur im Kreise seiner Schicksalsgenossen zu finden, die ihn um seine gute Partie beneiden, ihn aber auch spüren lassen, dass er nicht der Herr im Haus ist. Leider ist der Ich-Erzähler kein sehr begabter Schreiber und füllt lediglich die vorgegebenen Konturen aus. So muss die Geschichte böse ausgehen. Die Geduld des Lesers wird dann mit einem Schluss belohnt, den er schon kennt. Und mit der Frage, warum Richard Wagner – statt sich kaltblütig der Wirklichkeit zu stellen – die Freiheit der Dichtung ausgerechnet für einen Roman in Anspruch nimmt, dessen Erzähler so geringe literarische Ambitionen hat.

 

Richard Wagner
Das reiche Mädchen
Aufbau, Berlin 2007. 255 S., 19,95 €

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