Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Spielbergs „Lincoln“ - Porträt eines menschlichen Übermenschen

Sage und schreibe zwölf Oscarnominierungen hat sich Regisseur Steven Spielberg mit seinem Politepos „Lincoln“ bereits gesichert. Und tatsächlich: Ein Kinobesuch lohnt sich. Spielberg zeichnet das Porträt der politischen Ikone Abraham Lincoln und erzählt die historische Wegmarke der Sklavenbefreiung als Gutenachtgeschichte – samt Happy End

Autoreninfo

Sarah Maria Deckert ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt u.a. für Cicero, Tagesspiegel und Emma.

So erreichen Sie Sarah Maria Deckert:

Wenn Sie sich im schwer erkämpften Kinosessel wiederfinden (Mitte, mittig), gemütlich niedergestreckt und ohne einen dieser unpassend hochgewachsenen Menschen vor sich, wenn das Popcorn handwarm, das Bierchen kühlschrankkühl und die Freude darüber, dass Sie keine 3D-Brille über der naseneigenen tragen müssen, enorm ist, wenn sich dann der Vorhang öffnet und ein junger Abraham Lincoln nach gut fünf Minuten beginnt, mit einer glänzenden Axt Vampire zu jagen, dann, lieber Cineast, sitzen Sie im falschen Film! (Außer natürlich, Sie gucken Lincoln Vampirjäger absichtlich... Dann sitzen Sie richtig. Hüstel.)

Jedenfalls, wenn Sie dann also nach Minute sechs das Kino etwas entsetzt verlassen haben, um den Versuch ein paar Tage später erneut zu wagen – diesmal mit der Lincoln-Variation von Steven Spielberg (!) –, dürfen Sie sich leise gratulieren: Es erwartet Sie ein abendfüllendes Epos von bändigen 149 Minuten – ganz ohne Vampire.

Wie das Aufblenden des „Lincoln“-Schriftzuges auf der Leinwand zu Beginn eindrücklich klärt, beherrscht Spielbergs szenisch arrangiertes Porträt des sechzehnten amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln diesen Film. Und nur er. Angesiedelt im Jahr 1865, vier Monate vor seiner Ermordung im April desselben Jahres. Der Sezessionskrieg geht gerade in seine finale Runde, gemäldeartig, geradezu lyrisch wiegen sich in der ersten Einstellung unendlich viele kämpfende Körper in einer der verlustreichen Schlachten zwischen Nord und Süd. Kälte, Blut, Dreck und Schreie fühlen sich förmlich über die Leinwand hinweg. (Es bleibt eine der wenigen, dafür aber wirksam gestreuten Kampfszenen.)

[gallery:Martin Scorsese]

Sowohl die in der Wahl verheerend unterlegenen demokratischen Kräfte als auch das konservative Lager in Lincolns Republikanischer Partei drängen auf baldige Friedensgespräche mit den Konföderierten. Verhandelt wird die Beilegung der Gefechte, die Einigung des Landes durch eine vollständige Wiedereingliederung des Südens in die Nation. Aber mehr noch: Es geht um die endgültige Abschaffung der Sklaverei in allen Bundesstaaten durch einen Zusatzartikel zur Verfassung, den sogenannten 13th Amendment. Lincoln steht vor einer Zerreißprobe, die in der US-Historie einzigartig ist. Seinerzeit traute ihm niemand zu, diese zu bestehen.

Im Repräsentantenhaus stößt der eben erst wiedergewählte Präsident auf Ablehnung und selbst in den eigenen Reihen findet sich Gegenwehr. So wird den gesamten Film über also taktiert und geplant, es wird verhandelt und überredet – gerne auch mit listigem Hinterzimmer-Lobbyismus – um die Einheit Amerikas letztendlich mittels Korruption herzustellen, um aus „these United States“ „THE United States“ zu machen. Und so sollte es schließlich auch geschehen.

Lincoln erinnert dadurch in weiten Passagen an ein Bühnenstück. Großgestische Reden werden gehalten – darunter die Gettysburg Address, Lincolns Antrittsrede zu seiner zweiten Amtszeit, und auch das dreizehnte Amendment erklingt im Wortlaut. Überraschend dabei ist der Kontext, in den die Texte eingegliedert und vor allem von wem sie rezitiert werden. Und auch wenn man in typisch deutscher Manier reflexhaft versucht, sich dem zu erwartenden amerikanischen Pathos zu verwehren, die Gänsehaut überkommt einen dennoch.

Nächste Seite: Das Ende des Bürgerkrieges und der Sklaverei – eine Gutenachtgeschichte samt Happy End

Die Legende des sechzehnten Präsidenten ist überlebensgroß. Der Mensch ein Monument einer noch jungen Populärkultur. Und trotzdem gelingt es Spielberg, diesen monumentalen Lincoln von seinem Sockel zu heben und ihn dem gemeinen Mann auf Augenhöhe zu präsentieren (sofern das bei 1,93 Körpergröße nun mal möglich ist). Dafür wird Lincoln als begnadeter Redner gezeigt, dessen feinsinnige, sehr kluge, bestimmte, teilweise sogar humoristische Gleichnisse – die markante Kunstpause stets an der richtigen Stelle – sich wie ein roter Faden durch den Film ziehen. Als Zuschauer lauscht man Lincolns Ausführungen über Euklids mathematisches Gesetz der Gleichheit dabei ebenso gebannt, wie die eigentlichen Adressaten im Film. Das liegt zweifellos an der bestechenden Präsenz von Lincoln-Darsteller Daniel Day-Lewis. Vom Backenbart über die gebückte Haltung seiner hohen Gestalt, seinen bedächtig geneigten Kopf, über den eigentümlich stapfenden Gang bis zur näselnden Tenorstimme, ist Day-Lewis eine meisterlich kontrollierte Mimese gelungen.

Spielberg konzentriert sich auf die letzten Wochen in Lincolns Amtszeit, wobei sich die konsequente Beschränkung auf diese dramatische Phase von vier Monaten, zwischen Wiederwahl und Tod, als dankbarer und raffinierter Kunstgriff erweist. So wird eine liebevoll inszenierte Innenwelt der Lincoln-Regierung gezeichnet, das Weiße Haus als intimes, familiäres Heim, der Präsident als treusorgender Vater eines kleinen neugierigen Sohnes, aber auch einer bald geeinten Nation. Die historische Wegmarke des Endes des Bürgerkrieges als auch der Sklaverei wird zu einer Gutenachtgeschichte samt Happy End. Dadurch wird die Legendenhaftigkeit Lincolns zwar forciert, sie wird aber gleichzeitig auch heruntergebrochen, auf ihren menschlichen Faktor innerhalb dieses Politepos.

Mit der Filmpremiere wartete Steven Spielberg übrigens bis nach der Präsidentschaftswahl in den USA im November 2012, um nicht zwischen die verhärteten Fronten des tatsächlichen Kampfes um das Weiße Hause zu geraten. Das in Lincoln brillant offengelegte Taktieren hinter den historischen Kulissen kommt uns im Rückblick auf den Wahlsieger Barack Obama so nur allzu vertraut vor. Und wie Obama auf den quer durch Amerika tapezierten, blau-weiß-roten „Hope“-Plakaten, so stilisiert Spielberg seinen ganz persönlichen Lincoln zur Leinwandikone.

Ach ja: Mehr noch als man Daniel Day-Lewis den Oscar für den besten Hauptdarsteller gönnt, wünscht man sich, dass das goldene Männlein für die beste Nebenrolle in die Hände von Tommy Lee Jones als Kongressabgeordneter und Sklavereigegner Thaddeus Stevens wandern möge. Aber das nur am Rande. Lincoln Vampirjäger wurde übrigens nicht nominiert. In keiner Kategorie!

____________________________________________________________

Jetzt den Newsletter von Cicero Online abonnieren!

Liebe Leserinnen und Leser, gerne informieren wir Sie regelmäßig über das aktuelle Angebot von Cicero Online. Bitte tragen Sie hier Ihre E-Mail-Adresse ein und wir schicken Ihnen montags bis freitags unseren täglichen Newsletter.
____________________________________________________________

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.