- Viel Gefühl, wenig Kenntnis
Nicht nur in den Medien herrscht eine obsessive Anteilnahme an allem und jedem. Zwanghafte Einfühlung, Sensationslust und Sentimentalität verkleistern aber die Wirklichkeit
Gelegentlich in den Zirkeln der Klugen und Kultivierten zu verkehren, ist ein zwiespältiges Vergnügen. Herzerfrischend die Ironie, die Weltläufigkeit, der Sinn für die feinen Unterschiede in Geschmack und Lebensstil, irritierend aber die totale Kritik, die nichts lässt, wie es ist, sondern alles auflöst in Schein: die Geschlechterdifferenz? Natürlich eine soziale Konstruktion vonseiten der männlich dominierten Welt. Recht und Rechtsstaatlichkeit? Selbstverständlich eine Maskierung von Unrecht und Rechtlosigkeit der Armen. Die Finanzkrise in den südlichen EU-Staaten? Ein perfides Instrument der Ausbeutung durch das Finanzkapital des Nordens.
Noch verwirrender aber die geradezu obsessive Anteilnahme, der nichts entkommt, was auf der weiten Erde sich zuträgt. Die keine sozialen oder nationalen Distanzen, keine historischen und gesellschaftlichen Differenzen kennt, sondern sich in alles und jeden einfühlt, mit allem und jedem leidet: kein Hartz-IV-Empfänger, dessen Entwürdigung durch das staatliche Almosen nicht bitter beklagt wird; kein afrikanischer Kindersoldat, für dessen gescheitertes Leben man sich nicht verantwortlich fühlt; kein Altnazi, für dessen falsche Lebensentscheidung man sich nicht in Grund und Boden schämt.
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„Hund beißt Mann“- ist keine Nachricht. „Mann beißt Hund“- ist eine Nachricht, denn dann ist die moralische Empörung, der Skandal, die Sensation besonders groß. Und irgendwas muss ja immer produziert werden, in einer Aufmerksamkeitsökonomie, nicht wahr?
Kirchen, Wohlfahrtsverbände, NGO´s leben davon, moralistische Keulen und emotionale Knock-Out-Appelle einzusetzen. Eine Zeitlang wirkt das - weil dem argumentativ nichts entgegen zu setzen ist. Irgendwann kommt dann die innere Abkehr. Und die ist tiefer und grundsätzlicher als der Anlaß.