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Fotografin Candida Höfer - Bewahrerin des analogen Raums

Candida Höfer gilt als eine der wichtigsten deutschen Foto-Künstlerinnen. Sie fotografiert Gedächtnisorte wie Museumsarchive, Hörsäle und Bibliotheken und hält sie damit fest, bevor sie ins Digitale entschwinden

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Seit tagen löst die Welt sich auf. Der Sommer schmiegt sich an die Stadt wie klebrige Firnis. Hinter dem Kölner Bayenthalgürtel, wo die Häuser kleiner werden und die Stadt sich wieder an den Fluss herantraut, verschwimmt diese Welt in einem Hitzefilm. Nur ein paar Kinder wagen sich noch in die Sonne, jauchzen und bespritzen sich mit Uferwasser. Der Rhein zeigt ein impressionistisches Flirren, wie man es von den Gemälden der Düsseldorfer Malerschule kennt: durchlässig und pointilliert, etwa bei Max Clarenbach oder Willy Lucas.

Hier also wohnt die Fotokünstlerin Candida Höfer. Schon ihr Vater, der Fernsehjournalist Werner Höfer, war an diesem Ort zu Hause, zwischen Bootspontons, Ruderclubs und einer Uferpromenade, die sich hinzieht wie eine Romanlandschaft von Heinrich Böll.

Seit Jahrzehnten fotgrafiert Candida Höfer Speicherstätten der Kultur


Köln, 16 Uhr nachmittags: Candida Höfer sieht aus wie auf den wenigen Fotos, die es von ihr gibt. Zierlich, klein, das Gesicht mädchenhaft. Über dem linken Auge hat sie eine Schwellung. „Ein Missgeschick“, sagt sie und erwähnt die Sache nicht wieder. Sie ist diszipliniert, aufgeräumt wie ihr großes Atriumhaus. An den Wänden hängen vereinzelt ein paar ihrer Bilder. Kleine Nuancen in einer sonst eher einsamen Wohnlandschaft. Als wären diese Räume nur für sich selber da. Als würden sie sich heimlich beobachten – dann, wenn Candida Höfer mal nicht hinschaut.

Sie schließt die Tür und lässt den Sommer draußen, das Flirren, das Wabern, das Zittern der Hitze. Sie macht es so routiniert wie auf ihren Fotografien. Auf diesen großen Tableaus, auf denen alles kühl und nüchtern erscheint. Seit gut 30 Jahren fotografiert Candida Höfer Innenräume: Bibliotheken, Hörsäle, Museumsdepots. Die ganzen Speicherstätten der Hochkultur. „Ich habe mein Thema nie gewechselt. Darin war ich immer sehr konsequent. Ich habe die Räume entdeckt und festgehalten.“ Sie spricht leise, aber bedacht. Den Blick hat sie zum Tisch gesenkt, als wäre das Reden ihr unangenehm.

Höfer lernte bei den Fotografen Bernd und Hilla Becher


Festhalten muss man bekanntlich, was fortlaufen will, was andernfalls weg wäre, für immer entschwunden. Das wussten schon Höfers Lehrer an der Kunstakademie, die Fotografen Bernd und Hilla ­Becher. Diese hatten in den frühen sechziger Jahren damit begonnen, Fachwerkhäuser des Siegerlands mit Großbildkameras einzufangen. Später folgten Wassertürme, Hüttenwerke, Gasbehälter. Immer auf der Spurensuche nach einer Zeit, die verschwindet.

„Sie wollten das unbedingt machen“, erinnert sich Höfer. Darin seien sie wiederum mehr als konsequent gewesen. „Damals, an der Akademie, da habe ich das vielleicht nicht verstanden. Jetzt aber kann ich das nachvollziehen.“

Denn jetzt verschwindet das Eigene: die Theater, die Museen, die Kulturarchive. All die Sujets ihrer Fotografien. Nicht immer geschieht es so laut und so tosend wie vor gut vier Jahren – damals, als einige Kilometer den Fluss hinauf das Gedächtnis der Dom-Stadt, das Archiv, in einem Erdloch verschwand. Die meisten Orte gehen eher leise. Sie ziehen sich still und heimlich aus dem Diesseits zurück.

Was heute noch plastisch und greifbar ist, entgleitet morgen ins Virtuelle. Nur eine Datenspur wird dann bleiben auf irgendeinem Großrechner am Ende der Welt. Candida Höfer will diese Entwicklung nicht kritisieren. Das sei eben der Lauf der Dinge. „Die Menschen werden die Orte auf meinen Bildern nicht vermissen.“ Diese riesigen Säle. Die Wandelhallen. Es sind Räume, in denen jedes Exponat eine Ablage hat: eine Schublade, eine Vitrine. Zusammen ergeben sie ein Abbild der Ordnung der Dinge.

„Einsamkeit schafft eine andere Form der Wahrnehmung“


Für sie sei das immer ein Privileg gewesen – die Arbeit an diesen Gedächtnisorten. Allein mit den Dingen zu sein, mit den Büchern, den Bildern, den Einlagerungen. „Diese Einsamkeit schafft eine ganz andere Form der Wahrnehmung.“ Für gewöhnlich kommt Höfer dann, wenn die anderen Besucher lange fort sind. Es falle ihr bis heute schwer, Menschen mit auf ihre Bilder zu bringen. Sie zu benutzen, zu arrangieren.

In dieser Hinsicht habe sie immer anders gearbeitet als etwa ihr Akademie-Kollege Thomas Struth, auch wenn sie den um seine Menschenbilder manchmal beneide. Aber die Menschen – sie werden ohnehin niemals fortgehen. Sie werden bleiben, auch wenn ihre Gedächtniskammern lange leer sind. Und ihre Erinnerungsstücke werden sie mitnehmen, auf Smartphones eben, Notebooks oder mittels Datenbrillen.

Candida Höfer begann aus Neugier zu fotografieren


Candida Höfer ist nicht melancholisch, auch nicht im Angesicht der Entortung der Welt. „Das war nie als melancholisches Projekt gedacht“, sagt sie über die Anfänge ihrer fotografischen Arbeit. Sie habe einfach aus Neugier begonnen. „Das ist lange her.“ Ein Satz, den sie an diesem Nachmittag mehrmals sagt. Im nächsten Winter wird Candida Höfer 70. Vorher wird das Düsseldorfer Museum Kunstpalast ihre Arbeiten in einer großen Ausstellung zeigen. Auch neue Bilder werden dann zu sehen sein. „Hier etwa sehen Sie etwas Abstraktes.“

Candida Höfer zeigt auf einen kleinen Fotoausdruck auf ihrem Tisch, ein Decken- oder Fassadenausschnitt, nicht mehr als oberflächliche Strukturen, Muster, Risse, keinerlei Tiefe. Genau ist es nicht zu erkennen. Sie räuspert sich, wirkt leicht verlegen. Vielleicht muss sie sich selbst erst noch gewöhnen – an Bilder, auf denen eigentlich nichts mehr drauf ist, auf denen die Motive entglitten sind. Abgerutscht, wie die Welt da draußen heute vor ihrer Tür.

 

 

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