- So cool wie „Mad Men“
In „Frühstück bei Tiffany“ verkörperte Audrey Hepburn einen völlig neuen Frauentypus. Eine Hommage von Sam Wasson
Manche Menschen haben schon alles, und was ihnen noch fehlt, ist höchstens ein silberner Telefonwähler. Kaufen konnte man solchen Luxus angeblich im Hause Tiffany, doch das kostbarste Juwel im Hause, daran lässt John McGavin als devoter Verkäufer keinen Zweifel, ist die Liebe. So graviert er für das junge Paar im Laden einfach einen wertlosen Ring aus einer Bonbontüte. Als Blake Edwards diese unsterbliche Filmszene drehte, glichen die alten Hollywood-Studios selbst ehrwürdigen Juwelierläden, in die keiner mehr ging. Man hatte schon alles Mögliche an die Leute gebracht, um sie von ihren Fernsehern wegzulocken, außer vielleicht silberne Telefonwähler. Aber eine Neuigkeit gab es dennoch: Die fast provozierende Unbekümmertheit eines neuen Frauenideals nämlich, verkörpert von Audrey Hepburn mit ihrer mädchenhaften Eleganz und selbstbestimmten Weiblichkeit. Und es gab den Roman der Stunde über eine junge Prostituierte, die mehr als eine einzige Träne hinter der Maske ihrer Party-Launigkeit verbirgt: Holly Golightly, Truman Capotes literarische Verdichtung all jener mutigen jungen Provinzlerinnen, die er dabei beobachtet hatte, wie sie sich in New York durchschlugen, bis das Kapital ihrer Schönheit aufgebraucht war.
Der amerikanische Filmbuchautor Sam Wasson hat nun versucht, drei Entwicklungsgeschichten zugleich zu erzählen: Die eines Filmklassikers, die eines Stars und die einer literarischen Figur. Wirklich komplett wäre dieses Dreieck allerdings erst vor dem Hintergrund einer Coolness, wie sie die frühen Sechziger in allen Lebensbereichen propagierten. Und die derzeit, angestoßen durch die Fernsehserie „Mad Men“, ein phänomenales Comeback erlebt. Dieses Zeitbild bleibt im attraktiv aufgemachten und illustrierten Band leider sehr fragmentarisch. Zwar fallen die richtigen Namen wie der des französischen Designers Hubert de Givenchy, dessen Hepburn-Outfits frischen Wind in den Fundus der Hollywood-Modezarin Edith Head brachte. Oder der des Komponisten Henry Mancini, dessen jazziger Cocktailsound der alten Hollywood-Sinfonik den Todesstoß versetzte. Analysiert jedoch werden diese künstlerischen Innovationen nicht. Wasson kann sie nicht einordnen, weil er sie von der Filmgeschichte isoliert.
„Mit Audrey als Golightly“, schreibt Wasson, „kamen die Leute 1961 zum allerersten Mal – selbst wenn ihnen das vielleicht nicht bewusst war und sie es nicht als solches erkannten – mit einem schillernden Phantasieleben in Berührung, voll von wild-verrückter Unabhängigkeit und mondäner sexueller Freiheit“. Tatsächlich aber gab es schon in den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren viel freizügigere Frauenbilder – die sogenannten Flapper Girls, verkörpert von Stars wie Clara Bow, Louise Brooks und Joan Crawford. Erst die Durchsetzung des Zensurcodes der Filmindustrie setzte ihrem lustvollen Treiben um 1934 ein Ende. Eine der wichtigsten Autorinnen, die dieses Frauenideal des Jazz Age feierten, hat bei Wasson sogar einen Kurzauftritt: Anita Loos, die Vorlagen für Komödienklassiker wie „Die Frauen“ und „Blondinen bevorzugt“ lieferte, entdeckte Audrey Hepburn für die Broadway-Produktion von „Gigi“. Jedoch entgeht dem Autor dieser entscheidende Bezug. Wasson macht es sich zu leicht: Er erklärt das Phänomen Audrey Hepburn als Gegenbild zur Spießigkeit einer Doris Day und Untadeligkeit einer Grace Kelly. Tatsächlich aber hatte sich im Kino der Fünfzigerjahre einiges ereignet, das die revolutionäre Frauenfigur in „Frühstück bei Tiffany“ vorbereitete – zu nennen sind Hollywood-Dramen wie „Bus Stop“ mit Marilyn Monroe und „Verdammt sind sie alle“ mit Shirley MacLaine.
Doch auf dem Hauptschauplatz, in den Kulissen von „Frühstück bei Tiffany“, kennt Wasson sich aus, und das ist natürlich das Wichtigste. Die zentrale Frage dabei ist: Wird die glamouröse Studioproduktion Capotes Erfindung gerecht? „Liebe Audrey“, schrieb Truman Capote seiner Freundin noch im Jahre 1960. „Lass mich Dir versichern, wie sehr ich mich freue, dass Du 'F.' bei 'T.' machst… Da sowohl Audrey als auch Holly zwei wunderbare Mädchen sind, bin ich sicher, dass niemand sie kleinkriegen kann.“ Nur wenige Jahre später klagte der Autor indes im Playboy: „Holly Golightly war authentisch – ein harter Typ, überhaupt nicht vom Schlage Audrey Hepburns. Der Film wurde zu einer kitschigen Hommage an New York City und an Holly.“ Auch dieses Buch ist eine Hommage: An ein zeitloses Buch und einen Film, der jeder Wiederholung standhält. Und eine Hommage an ihre feinen, aber entscheidenden Unterschiede.
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