- Der Handschlag als Waffe
Der Handschlag ist üblich seit dem Mittelalter. Jetzt legt er eine wohlverdiente Pause ein. Wird er jemals wiederkommen oder etabliert sich etwa gerade schon ein neues Ritual? Von der Kunst der Begrüßung in Zeiten wie diesen.
Vor dem Virus leitete diese Frage fünf Sechstel aller Handy-Gespräche ein: „Wo bist du gerade?“ Es war die frohgemute Fanfare im Zeitalter der Totalmobilität: Wo in der Stadt, auf dem Globus steckst du? Die am wenigsten erwartete Antwort lautete „zu Hause“, und wer sie ausnahmsweise gab, zog sich den Verdacht zu, ein stoffeliger Mobilitätsverweigerer zu sein. Jetzt ist das Telefon dorthin zurückgekehrt, wo es seinen Ausgang genommen hat, in die eigene Behausung des Sprechers, und die Wo-bist-du-Frage nähert sich der Sinnlosigkeit an, leitet einen unerfreulichen Austausch über Quarantäne oder drohende Arbeitslosigkeit ein. Die Easyjet-Generation – zur Landung gezwungen.
„Wie geht’s?“ Die zweite Standardfrage war bar jeder Bedeutung, man durfte sich bei ihr entspannen, das Gehirn in angenehmen Leerlauf versetzen. Heute gibt sie dem Gespräch gleich zu Beginn eine ominöse Note, und erst wenn beide Seiten sie glimpflich beantwortet haben, dürfen sie sich dem Leerlauf zuwenden. Dass die Phrase an Ernst gewinnt, eine ehrliche Antwort erfordert, dürfte vielen recht sein; denn es entspricht der guten deutschen Art, in Fragen der Höflichkeit auf Verstellung zu verzichten. Gesellschaftliche Sprechblasen werden bei uns für heuchlerisch gehalten, worüber sich bereits Schopenhauer lustig machte: „Alle Nationen schließen den Brief mit votre très-humble serviteur, – your most obedient servant, – suo devotissimo servo: bloß die Deutschen halten mit dem ‚Diener‘ zurück, – weil es ja doch nicht wahr sei!“
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