lesen: Journal - Bohren am Kern des Problems

Messias oder Verräter? Kai Bird und Martin J. Sherwin porträtieren Robert J. Oppenheimer, den Vater der Atombombe

Was ist im Laufe der Jahrzehnte nicht alles über den «Vater der Atombombe» und Leiter des Waffenlabors in Los Alamos geschrieben worden: In den sechziger Jahren gab es ein viel beachtetes Theaterstück, vorwenigen Jahren eine Oper. Robert J. Oppenheimers Geschichte entwickelte nach seinem Tod ein eigenes Leben, choreografiert von jenen, die ihn entweder grenzenlos bewunderten oder über die Maßen hassten, die einen Märtyrer aus ihm machten oder der Nachwelt einen gewissenlosen Verräter an der eigenen Sache überlieferten. Zweifellos wurden bisweilen auch moderatere Töne angeschlagen. Aber die teils unvereinbaren Widersprüche dieser Jahrhundertgestalt nach allen Seiten auszuloten, das gelingt erst jetzt.

Anzuzeigen ist nämlich nicht irgendeine Biografie Robert Oppenheimers, sondern, wie es im Untertitel zur deutschen Ausgabe in so gewagter wie angemessener Unbescheidenheit heißt, «die» Biografie. Die Autoren Kai Bird und Martin J. Sherwin wurden für das Buch mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Ein Buch, das Fragen aufwirft, die uns über das Ende der Lektüre hinaus begleiten. Sie handeln von Integrität und deren Anfechtung durch Eitelkeit, von Zivilcourage und Feigheit, kurz: von den Herausforderungen verantwortlichen Bürgersinns.

Behutsamund zurückhaltendwie Archäologen nähern sich die Autoren den Bruchstücken eines aufregenden und aufreibenden Lebens und präparieren allmählich die Konturen einesMannes heraus, der in beinahe jeder Hinsicht maßlos war: arrogant, hochmütig und gleichzeitig voller Selbstzweifel, ein linkischer Eigenbrötler mit dem Zeug zum charismatischen Wissenschaftsmanager; eine Diva, die andere verletzen konnte, aber selbst verletzlicher war als alle anderen. Hier die Balance zu halten, Schwächen beim Namen zu nennen, ohne zu verurteilen, Stärken zuwürdigen, ohne sich von ihnen blenden zu lassen – diesem höchsten Anspruch an eine Biografie werden die Autoren von der ersten bis zur letzten Seite gerecht.

Zum Verhängnis wurde Robert Oppenheimer, dass er als Staatsbürger ebenso umstürzlerisch dachte wie als Physiker. Den Einsatz der Atombombe befürwortete er zwar, gab dem Militär sogar Handreichungen zur Maximierung ihrer Zerstörungskraft. Aber was er zur Zukunft der Bombe zu sagen hatte, entzog der herrschenden «Atombombenkultur» die Grundlage. Den Mantel der Geheimhaltung wollte er lüften, mit den Russen und anderen Konkurrenten in einen offenen Austausch treten, die Kontrolle über Atomanlagen in die Hände einer internationalen Behörde legen und die Großmächte zu einem partiellen Souveränitätsverzicht bewegen. Andernfalls, so Oppenheimers Prognose, würde sich die Welt das unabwägbare Risiko eines nuklearen Wettrüstens aufhalsen.


Gegen die organisierte Niedertracht

Als er obendrein gegen den Bau der Wasserstoffbombe polemisierte, zogen seine Gegner blank. Bird und Sherwin sprechen zu Recht von der «Maschinerie einer Inquisition», die im Mai 1953 so richtig ins Rollen kam. Die Beschreibung dieser Hexenjagd bildet den Höhepunkt einer glänzenden Analyse Amerikas zwischen 1930 und 1960. Fassungslos steht man vor der moralischen Hinrichtung eines Wissenschaftlers. Siewar das endgültige Scherbengericht über den Liberalismus alter Schule und fügte der demokratischen Streitkultur bleibende Schäden zu. Dazu bedurfte es keineswegs des berüchtigten Joseph McCarthy; Kollegen aus der Wissenschaft erledigten den Job ebenso effizient.

Warum Oppenheimer überhaupt an der Überprüfung seiner politischen Zuverlässigkeit mitwirkte, gehört zu den vielen Ungereimtheiten seines Lebens. Albert Einstein nannte ihn deshalb einen Narren, verliebt in eine Frau, die seine Liebe nicht erwiderte, die amerikanische Regierung nämlich. Der Alte aus Princeton lag damit nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Der andere Teil der Wahrheit handelt von der Aufrichtigkeit Oppenheimers, der seinen Gegnern Paroli bietenwollte – und sich inmaßloser Selbstüberschätzung Chancen gegen die organisierte Niedertracht ausrechnete.

Oppenheimers Vermächtnis an die Nachgeborenen datiert aus dem Jahr 1959, als er sich während einer Konferenz im badischen Rheinfelden mit einer Frage zu Wort meldete: «Was sollen wir von einer Kultur halten, der die Ethik stets als wesentliches Element des menschlichen Lebens galt, die aber – außer in fachlicher oder spieltheoretischer Terminologie – nicht in der Lage war, über die Möglichkeit zu sprechen, nahezu alle Menschen zu töten?» Ein typischer Oppenheimer: ätzend, nicht ganz gerecht und dennoch bohrend am Kern des Problems.

 

Kai Bird, Martin J. Sherwin
Robert J. Oppenheimer. Die Biographie
Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber.
Propyläen, Berlin 2009. 672 S., 29,95 €

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