- Warum die CDU am Ende allein dasteht
Eine rechnerisch fehlende rot-grüne Mehrheit, Katrin Göring-Eckart als bürgerlich-mittiger Brückenkopf – und fertig ist Schwarz-Grün: Was simpel und auf den ersten Blick plausibel klingt, erweist sich auf den zweiten Blick als Illusion
Ein kurzer Blick zurück ins Jahr 2008. In Frankfurt regiert Petra Roth die Stadt seit zwei Jahren erfolgreich mit einer schwarz-grünen Mehrheit im Magistrat. In Hamburg schmiedet Ole von Beust das erste schwarz-grüne Bündnis auf quasi-Landesebene. Und im August 2009 zog das Saarland, unter Hinzuziehung der FDP, nach. Was schon 2004 in der Inszenierung des Parsifal durch Christoph Schlingensief auf dem Bayreuther Hügel uraufgeführt wurde, jenes Zusammentreffen klassischer mit neuer, einst rebellischer Bürgerlichkeit, breitete sich in der Republik aus.
Schwarz-Grün war plötzlich große Oper. Ganz anders als die Regierung Merkel/Westerwelle, die schnell zeigte, dass dem klassischen bürgerlichen Lager der Bonner Republik in Berlin der gemeinsame Kompass längst verloren gegangen war. Doch dann kam vieles anders. Binnen weniger Monate zerstörte die Union das noch nicht ausgehärtete Fundament schwarz-grüner Projektionen. Der Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg, das in Kauf genommene Scheitern der Bildungsreformen in Hamburg, die Konfrontation im Stuttgarter Schlossgarten, das Monitum der grünen Dagegen-Partei – vieles hat dem schwarz-grünen „Projekt“ die Grundlage entzogen.
[video:Meyers Monolog: „Die Grünen sollten weniger Ordnungspartei sein“]
Doch kaum hat sich die grüne Basis für eine ostdeutsche Protestantin als Spitzenkandidatin entschieden, sprießen sie wieder, die schwarz-grünen Blütenträume. Dabei ist man im Jahr 2012 weiter weg von einem solchen Bündnis als 2008/2009. Dazu muss man gar nicht das wenig ernst zu nehmende Getöse eines Christean Wagner im Vorfeld des CDU-Parteitages heranziehen, der den Grünen neosozialistische Tendenzen vorwirft, weil sie eine würdevolle Altersrente fordern oder die niedrigen Tarife in kirchlichen Einrichtungen kritisieren. Schließlich wirft der hessische Fraktionsvorsitzende, einer der last man standing eines CDU-pur-Konservatismus, Merkel bisweilen ähnliches vor.
Nur zur Erinnerung: CDU pur war das Konzept, mit dem Stefan Mappus und Christoph Ahlhaus in Baden-Württemberg und Hamburg komfortable Regierungsmehrheiten in Rekordniederlagen verwandelten. Ein Konzept, mit dem man die Maximaldistanz zu den Grünen zeigen wollte und eine große Distanz zum bürgerlichen Lager erntete. Aber jenes Scheitern ist nur der oberflächliche Prozess, der sich in den vergangenen Wochen und Monaten nicht allein in Baden-Württemberg beobachten lässt: Kretschmanns Wahl war keine Ausnahme. Die verlorenen OB-Wahlen von Stuttgart und Karlsruhe sind Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels im deutschen Bürgertum.
In den vierzehn deutschen Großstädten mit einer Einwohnerzahl von über 500.000, den melting pots künftiger gesellschaftlicher Entwicklung, zugleich politischen Experimentierfeldern, stellt die CDU nur noch in Dresden und Düsseldorf den Oberbürgermeister. Frankfurt, Köln, Hamburg, Essen, Duisburg, Stuttgart – die Liste der verlorenen Großstädte seit 2009 ist lang und offenbart, dass die Union in der Zukunft ein Problem bekommen wird. Gleiches gilt für ein Bündnis mit den Grünen. Die Großstädte, die urbanen Zentren, in denen sich die beiden Spielarten von Bürgerlichkeit am nächsten kommen, sind doch das eigentliche Experimentierfeld von schwarz-grün.
Seite 2: Abschied von der Mitte der Gesellschaft
Doch immer öfter zieht die Union im urbanen Raum gegen die vermeintlich Neubürgerlichen den Kürzeren. Ein Blick auf die Wählerwanderungen seit 2009 zeigt, dass die Union Wählerschaften an die Grünen verliert. Das grüne Postulat, die Wähler der Union bekommen zu wollen, nicht aber die Partei, hat den Realitätstest doch längst bestanden. In Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen hat es deshalb für Grün-Rot und Rot-Grün gereicht; Niedersachsen könnte folgen. Im Bund wird diese Entwicklung noch abgefedert durch den Merkel-Bonus. Wird aber die solide Krisenkanzlerin beschädigt, wird die Union das Platzen der eigenen demoskopischen Blase wehrlos hinnehmen müssen.
Programmatisch abfedern können wird sie es nicht, dafür ist das bürgerlich Lager inzwischen in Fragen von Ökologie, Ökonomie und gesellschaftlichem Zusammenleben zu tief gespalten. Die jüngsten Beschlüsse für das Betreuungsgeld und gegen die Homo-Ehe mögen an manchem Stammtisch ankommen. Aber sie entsprechen kaum mehr den Lebenswelten der urbanen Milieus, von denen aus Schwarz-Grün in die Republik getragen werden sollte.
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Nicht mal jenseits der urbanen Räume kommt die Politik der Union an, sämtliche demoskopische Erhebungen verweisen auf eine große Distanz zwischen gesellschaftlicher Mitte und den Themen der Union. Aber auch im Kern erodiert das Konservative: Wulff und zu Guttenberg stehen hierfür ebenso Pate, wie die vollkommen erratische und begründungslose Melange aus Öffnungen und Schließungen der Union in allen Politikfeldern.
Aber wie soll ein Bündnis funktionieren, das keine gesellschaftliche Entsprechung besitzt, auch keine politischen Befürworter hat? Die Grünen verweigern sich. Und die Liste der an grün denkenden Unionspolitiker wird immer kürzer, hat mit Röttgen zudem ihren führenden Kopf verloren. Sein Nachfolger Peter Altmaier ist weder programmatisch noch faktisch in der Lage, Brücken zu bauen. Eher noch nehmen die Grünen den Minister in Schutz vor seiner Koalition.
Auch die Brückenthemen fehlen gänzlich. Weil Merkel nicht von ihrer falsch verstandenen, ideengeschichtlich auch nicht nachweisbaren, Ludwig-Erhard-Orthodoxie lassen kann, wird sie sich auf grüne Sozialpolitik nicht einlassen können. Gleiches gilt für die Klimapolitik. Die Energiewende lässt sie allerorten torpedieren, die einst als Klimakanzlerin Gefeierte schickt ihren machtlosen Umweltminister nach Doha und akzeptiert so ex ante das Scheitern der Gespräche. Familien- und gesellschaftspolitisch könnten die Gräben kaum tiefer sein.
Einzig auf Basis der Werte gäbe es Möglichkeiten der Übereinkunft. Die Grünen haben hier mit Göring-Eckart ein überzeugendes Angebot gemacht. Aber wenn die Antwort auf Claus Klebers im heute-journal gestellte Frage, was das Alleinstellungsmerkmal der CDU sei, lautet, man wolle leistungsbereiten Menschen nicht so viel wegnehmen, klingt das nicht nach christlichem Menschenbild. Schon gar nicht nach Ludwig Erhard. Sondern nach Westerwelle, Rösler und der Krise des Liberalismus. Die Grünen tun gut daran, hier auf Distanz zu gehen und jene bürgerlichen Wähler mitzunehmen, die hieran auch schon längst nicht mehr glauben.
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