- Krieg oder Kalauer im Wohnzimmer?
Dieser Tage werden Wahlwerbespots wieder so manches Fernsehvergnügen unterbrechen. Parteistrategen zerbrechen sich regelmäßig den Kopf, was beim Wähler eher ankommt: Humor oder Ernsthaftigkeit? Ein Blick auf die Clips der Bundestagswahl
Schluss mit Casting-Models, Schauspielern und unwirklichen Darstellern. Ganz normale Menschen will der Kanzlerkandidat zeigen. Deswegen kommen im Werbespot dieser Volkspartei Bürger zu Wort. Bodenständig. Na klar.
Nein, die Rede ist nicht vom 79-sekündigen Wahlwerbespot der SPD.
Es geht um drei CSU-Filme zur Bundestagswahl aus dem Jahre 1980. In jenem Jahr waren die Rollen von Regierungschef und Herausforderer vertauscht: Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef-Strauß trat als Unions-Kanzlerkandidat gegen SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine sozialliberale Koalition an.
In einem der drei CSU-Spots ist Lina Wilfingseder zu sehen – eine Münchner Rentnerin mit Dauerwelle und Hornbrille. Sie rührt in ihrem Kochtopf, neben ihr hockt ein Dackel. In der nächsten Szene sitzt sie in Strauß‘ Büro. Das kuschlige Bürgergespräch artet jedoch zur weichgezeichneten Apokalypse aus: „Herr Ministerpräsident, kriegen wir jetzt wieder einen Krieg?“
Ganz so düster sind die Sorgen der Bürger im SPD-Wahlspot, der in den kommenden Tagen überall im Fernsehen zu sehen ist, freilich nicht. Da ist die tätowierte Mutter, die keinen Kita-Platz findet, der Handwerker an der Werkbank, der einen gerechten Lohn fordert oder die Mittelständlerin, die die Zwei-Klassen-Medizin „unmenschlich“ findet.
[video:SPD-TV-Spot zur Bundestagswahl]
Die Ankündigung der SPD, in ihrem Wahlspot mal etwas anderes zu machen und die Sorgen und Ängste von Repräsentanten aus dem Volk zu zeigen, ist längst nicht neu. Im Gegenteil – wenn es darum geht, Wählerstimmen zu gewinnen, greifen die Parteien auch mal Ideen aus dem gegnerischen Lager ab. Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim beobachtet, dass die gleichen Stilmittel stets dort eingesetzt würden, „wo es passt“.
Zum Beispiel da, wo es charismatische Führungspersönlichkeiten gibt. „Das Merkel-Video hat mich etwa an die Darstellung Gerhard Schröders 1998 erinnert.“ Der aktuelle CDU-Wahlspot: 90 Sekunden Angela Merkel, nah, in Halbtotale auf einem Balkon, dann seeehr nah. In ihrem Gesicht zeichnen sich die Spuren der Kanzlerschaft ab. Personalisierung total. Der SPD-Wahlspot von 1998: Gerhard Schröder spaziert am Nordseestrand entlang, eine Idylle wie in der Jever-Werbung.
Brettschneider hält den Spot von Angela Merkel durchaus für zielführend: „Er betont so die Stärken der CDU: Stabilität, Ruhe, Vernunft. Alles Dinge, die man braucht, um die Eurokrise zu meistern.“ Während der SPD-Spot witzfrei bleibt, traut sich die Kanzlerin wenigstens einmal an einen Gag. Mit Anspielung auf ihre jüngste Bemerkung zum Internet sagt sie: „Manchmal betreten wir auch Neuland.“
[video:TV-Spot der CDU zur Bundestagswahl]
Kampagnenmacher zerbrechen sich regelmäßig darüber den Kopf, was beim Wähler besser ankommt: Humor oder Ernsthaftigkeit?
Christian Ude, SPD-Kandidat bei der bayerischen Landtagswahl, hat sich für ersteres entschieden. In seiner Wahlwerbung seufzt eine ältere Dame mit Perlenkette: „Jetzt wählts ‘n halt, damit a Ruah is.“ In einer anderen Szene wagt sich Ude an den Ultra-Kalauer. Er hält das Wort „Wort“ in den Händen – in großen, roten Lettern.
„Ob er sich einen Gefallen getan hat mit diesem Wortwitz, ist allerdings fraglich“, bemerkt Brettschneider. Der Experte hält das für eine „Infantilisierung des Wahlkampfes“. Derartige Selbstironie könne einem Politikerimage auch schaden. „Sie ist eher da angebracht, wo Kandidaten unbekannt sind und sich durch solche Aktionen erst einmal ins Gerede bringen.“ Nach dem Motto: besser schlechte Schlagzeilen als gar keine.
Nach diesem Prinzip gestaltete etwa Hartmut Koschyk aus dem fränkischen Forchheim seinen Kinospot zur Bundestagswahl 2009. Eigentlich war nicht er es, sondern seine Hündin Nora. Der Labrador-Retriever kläffte für sein Herrchen: „Bürgernah. Zuverlässig. Kompetent. Wuff. Am 27. September: Hartmut Koschyk. Macht nicht nur Hunde glücklich.“ Das tierische Gebell kam von einem regionalen Radiomoderator.
Während die Republik über den Provinzpolitiker lachte, waren die Menschen vor Ort begeistert. Viele luden sich das „Whouuuuuuuu“ sogar als Klingelton fürs Handy herunter. Koschyk wurde nicht nur wiedergewählt. Der vormalige CSU-Geschäftsführer im Bundestag wurde nach der Wahl auch zum parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium erhoben.
Tierisch geht es auch im diesjährigen Wahlspot der Grünen zu. William Cohn, bekannt aus der Serie Roche & Böhmermann , vergleicht als Zoologe die Regierungskoalition mit einer Schnecke. Während seiner Erläuterungen laufen Bilder von schwarz-gelben Spitzenpolitikern. Die Gastropoda orientiere sich „aufgrund ihres fehlenden Rückgrates nicht an einem inneren Kompass“, sondern drehe ihre Fühler „ganz einfach nach dem Wind“. Während im Hintergrund Horst Seehofer zu sehen ist, erläutert Cohn, dass es sich um ein „äußerst gemächliches Kriechtier“ handle, das „eine ausgeprägte Vetternwirtschaft“ betreibe.
[video:Grüner Werbespot 2013: Neues aus dem schwarz-gelben Tierreich]
Derartiges negative campaigning, das „augenzwinkernd“ daherkomme, könne durchaus erfolgreich sein, ist Kommunikationsforscher Brettschneider überzeugt.
Allerdings: Die Grünen wenden sich nicht nur mit ihrem Wahlwerbespot, sondern auch mit ihren hippen, alternativen „Anders“-Plakaten an die immer gleiche Zielgruppe – den Hipster. Wo bleibt die bürgerlich-konservative Gruppe, die die Basis doch mit der Nominierung Katrin Göring-Eckardts erreichen wollte? Wo bleiben die grünen Inhalte?
Die CDU-Strategen haben da wohl tatsächlich die Nase vorn. Klare Botschaften für die eigene Klientel, Personalisierung für politikferne Schichten und eine Portion Selbstironie für die eher linksgerichtete Netzgemeinde.
Vor allem aber: Harmonie. Mit Angstmache lässt sich kein Blumentopf gewinnen. Das musste auch Franz Josef-Strauß mit seinem Rentnerinnen-Spot 1980 erleben. Der CSU-Kandidat verlor die Wahl. Helmut Schmidt wurde als sozialliberaler Kanzler bestätigt.
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