- Obama erst kuscheln und dann prügeln, geht nicht
Der Kanzlerkandidat der SPD wird in der NSA-Affäre täglich schriller. Doch seiner Partei nützt das nichts. Denn das Volk hat ein gutes Gedächtnis. Und Merkel? Die freut sich klammheimlich.
Nun schnauben sie erbost und schwingen die Charakterkeule. Na klar, der Otto Schily, murmeln gereizte Genossen, der „rote Sheriff“, der Erfinder der „Otto-Kataloge“, mit denen nach dem 11. September 2001 viele Gesetze zur Terrorabwehr verschärft wurden, der Intimfreund von John Ashcroft, dem evangelikalen, konservativen Ex-Justizminister der USA unter George W. Bush. Na klar, dass dieser Schily jetzt wieder querschießt. Die Furcht vor dem Staat, sagte der ehemalige Bundesinnenminister, trage „teilweise wahnhafte Züge“. Die größte Gefahr gehe nicht vom amerikanischen Geheimdienst aus, sondern „vom Terrorismus und von der Organisierten Kriminalität“.
Das sind klare Worte. Außerdem weiß Schily, wovon er spricht. Er war es, der Gerhard Schröders Versprechen der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den Amerikanern nach Nine-Eleven in die Tat umsetzte. Er kennt sich aus mit Recht, Gesetz und Spionage. Ob NSA, CIA oder FBI: Der „harte Hund“ hielt stets engste Kontakte, kooperierte nach Kräften, die Weitergabe von Daten bezeichnete er als „Routinevorgang“. Sollte Schily einmal wirklich auspacken über diese Zeit, könnten seine SPD-Kollegen einpacken.
Auch deshalb ist seine Warnung an die Sozialdemokraten, den Datensammelwahn der Amerikaner wahlkampfstrategisch zu instrumentalisieren, ernst zu nehmen. Das Rezept freilich ist verlockend. Im Jahr 2002 hatte Schröder seine Wiederwahl – neben der Hochwasser-Zupackattitüde – dem Anti-Bush- und Anti-Irakkriegskurs zu verdanken. Warum es jetzt, mit Peer Steinbrück, nicht mit einem Anti-Obama- und Anti-NSA-Getöse versuchen?
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Doch wie durch ein Wunder bleibt der Effekt diesmal aus. Je schriller der Stein-Gab-Alarmismus (Steinbrück, Gabriel – Ex-Kanzleramtsminister Steinmeier hält sich wohlweislich bedeckt), desto stabiler halten sich das Umfragehoch der Union und das Umfragetief der Sozialdemokraten. Vielleicht liegt es daran, dass das Volk ein gutes Gedächtnis hat. Anfang Juni begann die NSA-Affäre. Mehr als zwei Wochen später war Obama in Berlin. Wo immer er hinkam, stand der „Schnüffelpräsident“ mit seinen „Stasi-Methoden“ am Pranger. Nur ein Treffen verlief vollkommen friedlich, das mit Steinbrück in der Repräsentanz der Commerzbank. „In lockerer und entspannter Atmosphäre“, schreibt der SPD-Kanzlerkandidat anschließend, habe man „ein sehr interessantes Gespräch führen können“. Dabei sei es um die Lösung der europäischen Schuldenkrise und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa gegangen.
Und dann: „Obama hat mich zudem gefragt, welche Themen meiner Ansicht nach die Bundestagswahl entscheiden werden. Ich habe ihm gesagt, dass es wirtschaftliche und soziale Themen sein werden, die die Lebenswelt der Menschen direkt betreffen.“ Zum Schluss gab’s noch ein Gastgeschenk und einen Buchtipp. Das war’s. Die NSA-Affäre? Nichts, nada, niente, nothing, rien.
Wenn also Steinbrück nun die Hilflosigkeit Angela Merkels gegenüber der US-Administration und ihre mangelnde Durchsetzungsfähigkeit beklagt, dann fragt sich der Zeitzeuge: Warum hat dieser Klartext-Steinbrück, dem doch ein Übermaß an Respekt eher fremd zu sein scheint, nicht seine eigene große Chance genutzt, als er 40 Minuten lang mit Obama plaudern durfte? Warum hat er nicht ein Wort des Bedenkens geäußert oder um Aufklärung gebeten? Nein, wer selbst so leidenschaftlich schmust, sollte sich über die Küsschen der Konkurrentin nicht echauffieren.
Freiheit und Sicherheit müssten ausbalanciert werden, fordert die SPD. Wer wollte dem widersprechen? Nur bedeutet das im Umkehrschluss, dass jedes Mehr an Freiheit zu einem Weniger an Sicherheit führt. Weniger Sicherheit wagen: Ob das ein guter Wahlkampfslogan ist? Für SPD-Wähler sei die innere Sicherheit immer ein wichtiges Thema gewesen, mahnt Schily, derweil Merkel ihrem Wagner lauscht und hofft, dass ihr das Thema noch möglichst lange erhalten bleibt.
Dieser Artikel wurde zuerst beim Tagesspiegel veröffentlicht.
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