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Mindestlohn - Bärendienst an der Generation Praktikum

SPD und Union haben sich in den Koalitionsverhandlungen auf einen Mindestlohn für ausgebildete Praktikanten verständigt. Damit spaltet Schwarz-Rot die Generation Praktikum in Klassen, anstatt Bildungs- mit Sozialpolitik sinnvoll zu verknüpfen

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Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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In den Koalitionsverhandlungen haben sich SPD und Union „auch über die Situation junger Menschen unterhalten“, verkündete SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nicht ganz ohne Stolz.

Und das nicht einmal ergebnislos: „Die Rechte und vor allem die finanzielle Situation der vielen Praktikanten“ sollen unter Schwarz-Rot verbessert werden. Konkret bedeutet dies: Wo ein Mindestlohn gilt, sollen ihn auch Praktikanten bekommen.

Bezahlung von Praktikanten kündigt gesetzlichen Mindestlohn an


Um die Generation Praktikum geht es bei dem Vorschlag nicht. Denn Schüler und Studenten, da sind sich die Arbeitsgruppen-Leiterinnen Nahles und von der Leyen nämlich einig, sollen weiter un- oder unterbezahlt arbeiten dürfen. Für Nahles ist klar, dass es für Praktikanten nur nach einer abgeschlossenen Ausbildung „eine angemessene Vergütung geben muss.“

Nahles und von der Leyen planen also keine Räuberleiter, um Praktikanten aus häufig prekären Arbeitsverhältnissen zu helfen. Sie machen mit dem Mindestlohn für ausgebildete Praktikanten vielmehr klar: der gesetzliche Mindestlohn für Arbeitnehmer wird kommen.  

Denn der Mindestlohn für ausgebildete Praktikanten soll einen negativen Nebeneffekt des Mindestlohns für Arbeitnehmer abblocken: Unternehmen könnten Praktikumsstellen als Schlupfloch in der Mindestlohn-Gesetzgebung nutzen und daher Arbeitsplätze von Praktikanten besetzen lassen. Mehr und mehr ausgebildete Menschen würden statt in einen Job einzusteigen in Praktika abrutschen.

Mindestlohn befeuert Klassengesellschaft unter Praktikanten


Der gut gemeinte Plan spaltet die Generation Praktikum in zwei Klassen – in die bereits Ausgebildeten, die vom Mindestlohn profitieren und jene, die noch keinen Abschluss haben.

Wollte die SPD bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch den gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn, so laufen die Sozialdemokraten mit dem neuen Haken, den sie schlagen, ihrem eigentlichen Zweck entgegen: soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

Eine Begründung für ihren Entschluss bleiben Andrea Nahles und Ursula von der Leyen schuldig. Sie ist aber denkbar: Es muss sich schlichtweg auch finanziell lohnen, eine Ausbildung gemacht zu haben. Und wenn der Markt mal wieder regelungsfaul ist, muss der Gesetzgeber aktiv werden.

Die Probleme hat man schnell beisammen: Zum einen ist ein Abschluss in der durch den Bologna-Prozess schneller getakteten akademischen Laufbahn beinahe schon als willkürlich gezogene „Bezahlgrenze“ zu verstehen. Denn ob ein Praktikant im sechsten Semester schlechtere Arbeit leistet, beziehungsweise geringer qualifiziert ist als sein Kollege, der gerade seine Bachelor-Arbeit abgegeben hat, ist eine unbewiesene Behauptung.

Unfaire Löhne von „Fair Companys“


Zum anderen klammert das schwarz-rote Vorhaben aus, dass gerade Studenten und Schüler vom System Praktikum abhängig sind. Für einige Studiengänge ist praktische Erfahrung Zulassungsvoraussetzung. Viele Studiengänge verpflichten zu Praktika. Dozenten und Professoren rufen ständig in den Hörsaal, dass es unabdinglich sei, praktische Erfahrungen jenseits des Campus' zu machen.

Die Studienordnungen und Mantras der universitätseigenen „Career Centers“ und Lehrstühle drängen die Studenten in gar nicht oder häufig schlecht bezahlte Praktikums-Verhältnisse.

Kein Wunder. Schließlich darf ein Unternehmen sich bereits eine „Fair Company“ nennen, wenn es Praktikanten mit 670 Euro monatlich entlohnt. Aber nicht alle Firmen sind „fair“: Laut Praktikantenreport 2012 verdient ein deutscher Praktikant nur 290 Euro pro Monat.

Doppelte Diskriminierung – mit unterschiedlichen Vorzeichen


Genau hier ändert die geplante positive Diskriminierung ausgebildeter Praktikanten ihr Vorzeichen. Denn es besteht schlicht kein Anreiz mehr für Unternehmen, einen ausgebildeten Praktikanten auf Mindestlohn-Niveau zu beschäftigen, den sie im Gegensatz zu einem Studenten ohnehin voll sozialversichern müssten.

Die Folge: Praktikanten, die sich noch in einem Ausbildungsverhältnis befinden, fluten als Billig-Löhner die freien Stellen. Für die Ausgebildeten, denen laut Gesetz mit dem Mindestlohn eine angemessene Entlohnung zusteht, bleiben die Schleusen geschlossen. Eine Generation, zwei Klassen.

Setzt Schwarz-Rot das Mindestlohn-Konzept um, könnten am Ende dann nur noch Schüler und Studenten Praktikumsplätze bekommen. Oder Praktikanten säßen im selben Büro wie ihre doppelt so gut bezahlten Mitpraktikanten. Beide Szenarien sind denkbar.

Fest steht dagegen: Wenn Union und SPD es ernst mit dem Mindestlohn meinten, müssten sie ihn für alle Praktikanten einführen und sich nicht nur auf jene mit Abschluss beschränken. Vielmehr müsste ein fester Sockelbetrag für alle gelten, der je nach Ausbildungsdauer und -grad aufgestockt werden könnte.

Anderenfalls leisten von der Leyen und Nahles dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und insbesondere der jüngeren Generation einen Bärendienst.

 

 

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