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Doktorandenvertreter - „Schavan ist als Ministerin nicht mehr tragbar”

Annette Schavan ohne Doktortitel: Im Gespräch mit Cicero Online erkärt der Vorsitzende des Promovierendennetzwerkes „Thesis“ Dr. Norman Weiss, warum die Bundesbildungsministerin nun zurücktreten sollte und was sich in der Wissenschaft ändern muss

Autoreninfo

Julian Graeber hat Sportwissenschaft und Italienisch in Berlin und Perugia studiert.

So erreichen Sie Julian Graeber:

Herr Dr. Weiss, die Universität Düsseldorf hat Bundesministerin Schavan den Doktortitel aberkannt. Einige Wissenschaftler sind jedoch der Meinung, die Zitierfehler würden eine Aberkennung nicht rechtfertigen. Wie bewerten Sie den Fall?
Ich kann diese Aussagen nicht nachvollziehen. Aus heutiger Sicht sind die gefundenen Stellen hochproblematisch. Punkt! Darüber muss man gar nicht diskutieren. An vielen Stellen wurden Fremdquellen einfach nur umgeschrieben und nicht einmal erwähnt. Das ist ein klassisches Zeichen. Aus heutiger Sicht handelt es sich um ein Plagiat.

Galten denn vor dreißig Jahren andere Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens?
Ich war vor 30 Jahren fünf und kein Erziehungswissenschaftler. Daher kann ich das selbst nicht beurteilen und mich nur auf Aussagen anderer Wissenschaftler beziehen. Es gibt Kollegen, die sagen, dass die Richtlinien für das wissenschaftliche Arbeiten seit 200 Jahren klar sind. Andere sagen, dass vor dreißig Jahren noch andere Maßstäbe galten. Ich finde es sehr gut, dass jetzt der Leitfaden mit damaligen Zitierregeln aufgetaucht ist, bei dem Schavans Doktorvater Mitherausgeber war. Das hat klar gemacht, dass es ihr bekannt gewesen sein müsste, wie ordnungsgemäße Zitation aussieht.

Bei dieser Faktenlage war die Aberkennung des Doktortitels also unumgänglich?
Bei dem eingeleiteten Verfahren ist sie auf jeden Fall folgerichtig. Das Gutachten, die Zitierregeln und das Fehlen einer klaren Erklärung von Frau Schavan lassen keine andere Entscheidung zu.

Frau Schavan hatte sich im Fall Guttenberg noch sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Als jemand, der selbst promoviert hätte, schäme sie sich. Nun wurde ihr selbst der Doktor aberkannt. Was unterscheidet die beiden Fälle?
Bei Guttenberg war es sehr einfach. Wenn ich meine Einleitung und andere Teile meiner Arbeit eins zu eins aus einer großen Tageszeitung abschreibe, ist das, als wenn ich mit einem Fernseher unter dem Arm an der Kasse vorbei spaziere und draußen steht die Polizei. Auf frischer Tat ertappt. Wenn es nur Indizien gibt, ist es natürlich schwerer, ein Vergehen nachzuweisen. Das ist vor Gericht aber trotzdem gang und gäbe. Da Schavan sich zu den Vorwürfen kaum geäußert hat, sind ihre Beweggründe völlig unbekannt.

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Hätte Frau Schavan den Schaden mit einer besseren Kommunikationspolitik begrenzen können?
Die Kommunikationspolitik ist für eine Wissenschaftsministerin katastrophal. Als die Vorwürfe das erste Mal bekannt wurden, kamen diese von einer anonymen Person. Daraufhin forderte sie, dass sich der Betreffende erst einmal outen solle, da sie sich mit anonymen Vorwürfen nicht beschäftigt. Das zeugt in meinen Augen von einem tiefen Unverständnis des Wissenschaftssystems, das mich geradezu schockiert hat. Wenn es sich bei der anonymen Person um einen Wissenschaftler handelt und der gibt sich zu erkennen, ist die wissenschaftliche Karriere danach doch vorbei. Derjenige befindet sich in einer deutlich schlechteren Position als sie und riskiert seine Existenz. Frau Schavan scheint eine Vorstellung vom Wissenschaftssystem zu haben, die mit der Realität nichts zu tun hat.

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Wie wirkt sich die Aberkennung der Doktorwürde auf Schavans Glaubwürdigkeit in der Wissenschaft aus? Ist sie als Ministerin überhaupt noch zumutbar?
Allein aufgrund der Kommunikationsstrategie ist sie für mich als Wissenschaftsministerin nicht mehr tragbar. Außerdem geht es hier um Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens wie Zitation und geistiges Eigentum. Wenn ich dazu als zuständige Ministerin nichts sage und mich nicht einmal rechtfertige, kann ich nicht im Amt bleiben. Selbst ohne Entzug des Doktortitels gibt es da schon genug Gründe. Spätestens seit der Aberkennung des Doktortitels sollte sie jedoch auch politisch nicht mehr vermittelbar sein.

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Es gab in den vergangenen Jahren einige prominente Plagiatsfälle. Wie groß ist das Ausmaß an Plagiaten abseits der öffentlich bekannten Fälle?
Die statistische Datenlage im Bereich der Promotionen ist eine Katastrophe. Wir wissen noch nicht einmal, wie viele Personen in Deutschland promovieren. Daher gibt es auch für Plagiate höchstens grobe Schätzungen. Ich glaube, dass man in vielen Doktorarbeiten ein kleines Haar in der Suppe finden kann, was aber nichts mit Plagiaten zu tun haben muss. Dreiste Plagiate sind meiner Meinung nach recht selten, da diese meist schon vorher auffliegen. Das System der Promotionsprüfung lässt in der momentanen Form aber immer noch genug Lücken.

Sollte man das System der Promotionsprüfung dann nicht überdenken?
Das Thema Qualitätssicherung in der Promotion war früher nicht existent. Nun gibt es dazu zahlreiche Konferenzen und eine große Diskussion.

Dann haben die prominenten Fälle der letzten Jahre in der Wissenschaft ja doch etwas Positives bewirkt.
Natürlich. Allein, dass die Diskussion in Gange ist, ist schon positiv. Das wird jedoch von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. Intern ist das aber ein großes Thema.

Rechnen Sie denn mit weiteren prominenten Plagiatsfällen?
Nach dem Rücktritt von Guttenberg hätte ich gesagt, dass sich das Problem in engen Grenzen halten wird. Bei der Masse an Fällen, vor allem im politischen Bereich, die wir in den vergangenen Jahren gesehen haben, gehe ich aber davon aus, dass da noch mehr kommen wird. Die prominentesten Beispiele sind damit wahrscheinlich abgehandelt, da wird aber sicherlich weiter gegraben werden.

Herr Dr. Weiss, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Norman Weiss ist Bundesvorsitzender von THESIS, einem interdisziplinären Netzwerk für Promovierende und Promovierte. Seit Februar 2010 ist er Dekanatsgeschäftsführer des Fachbereiches Mathematik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik der Universität Hildesheim.

Das Gespräch führte Julian Graeber. Fotos: picture alliance, Petra Coddington (Porträt)

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