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Netzpolitik im Bundestag - Pimp my Parliament

Berlin anno 2013: Ein ständiger Ausschuss im deutschen Bundestag soll künftig parlamentarische Gesetzesentwürfe in Sachen „Internet und digitale Gesellschaft“ designen. Doch ist das Ü60-Politiksystem dafür schon bereit?

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Bigna Fink hat Soziologie und Philosophie studiert. Sie lebt und schreibt u.a. in Berlin.

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Sitzungsstunde im Deutschen Bundestag, die Internet-Enquete-Kommission stellt ihren Abschlussbericht vor. An der Wand des Plenarsaales beobachtet – wie aus der Zeit gefallen und ganz analog – der wuchtige Bundesadler, Staatssymbol aus dem Heiligen Römischen Reich, das Treiben zu Füßen seiner kralligen Fänge.

Während die Abgeordneten aber noch über den Weg in die virtuelle Moderne streiten, ist das Wappentier dort schon längst angekommen: Auf der Parlamentswebseite beantwortet es in Gestalt eines freundlichen Comic-Adlers Besucherfragen, rund um die Uhr.

Im Nerdflügel der Pressetribüne sitzt Markus Beckedahl, netzpolitischer Aktivist aus Berlin. Der 36-Jährige ist Gründer von netzpolitik.org, einem Blog zu Themen aus dem digitalen Zeitalter. Live bloggt er, wie die Debatte verläuft. Beckedahl war als externer Sachverständiger Mitglied der dreijährigen Parlaments-AG zum Thema „Internet und digitale Gesellschaft“.

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Drei Jahre gaben 17 Bundestagsabgeordnete und 17 Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft dem betagten deutschen Parlament ein Upload in punkto Internet. Impulse kamen zudem von Bürgern über die Online-Beteiligungsplattform „Adhocracy“. Das Ergebnis sind rund 2000 Seiten: Keine Welt-, aber nun Webliteratur, die 400 Ratschläge für eine zukunftsfähige PolitikLAN(d)schaft enthalten.

Doch bezüglich ihrer progressiven Kraft sind die To-Do-Tipps für den Bundestag vor allem eins: übersichtlich.

Nun war es auch nicht das Ziel des Gremiums, konkrete Ergebnisse vorzulegen. Denn so genannte „Enquete-Kommissionen“ haben für das Parlament lediglich eine beratende Funktion. Sie servieren politische Handlungsempfehlungen quasi auf dem Tablet(t).

Beckedahl wertet es als Erfolg, dass diese Enquete überhaupt zustande kam. „Vor wenigen Jahren dachten ja noch viele der Parlamentarier, dass das Internet wieder weg geht", bemerkt er amüsiert, „jetzt wird auch der letzte Politiker verstanden haben, dass das Netz bleibt.“

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Als geradezu „absurd“ empfindet der grüne Blogger die derzeitige Netzpolitik der Bundesregierung. Zum einen seien mit Hans-Peter Friedrich (CSU, 56), als Innenminister und Bernd Neumann (CDU,71) als Staatsminister für Kultur und Medien momentan „zwei der größten Internet-Skeptiker der Regierung für das Internet und die digitale Gesellschaft zuständig.“ Ministerposten würden nicht immer an die Fittesten vom Fach vergeben, oft spielten Standortfaktoren eine größere Rolle. Und weil die CDU noch jemanden aus Bremen brauchte, mit Ahnung von Kulturpolitik, habe Neumann den Posten erhalten, so Beckedahls Hypothese.

Internetskeptische Politiker stehen allerdings nicht alleine da: Eine digitale Kluft spaltet die deutsche Gesellschaft, und scheint verhärtet. Nach einer aktuellen Studie des (N)Onliner-Atlas ist immerhin jeder vierte Deutsche ein „Offliner“.

Ungeachtet dessen versucht Schwarz-Gelb mit der Zeit zu gehen. Indikatoren dieser Bestrebungen sind die ultimative „CDU-Media-Night“ oder das „Portal Liberal“ für alle FDP-Begeisterten. Angela Merkel veranstaltete gar ein Kamingespräch im „Google Hangout“. In dieser Video-Chat-Konferenz unterhielt sie sich vergangene Woche erstmals live mit engagierten Bürgern über das Thema „Integration“.

Dennoch mache die Kanzlerin bisweilen den Eindruck, sich mehr für den Branchenriesen Bitkom und für IT-Gipfel zu interessieren – und weniger für die Netzpolitik als das zukünftige Werkzeug der Bürgerbeteiligung, sagt Beckedahl. „Ich glaube, so vergeben wir viele Chancen.“ Gleichzeitig bestehe ein webpolitischer Wildwuchs in den einzelnen Ministerien: „Was fehlt, ist eine sinnvolle Meta-Strategie.“

Den größten Erfolg hat die Enquete-Kommission in dem geplanten ständigen Ausschuss für Internetthemen erzielt. Falls dieses e-Komitee denn überhaupt Realität wird. Bislang gibt es lediglich eine Unterabteilung „Neue Medien“ des Kultur- und Medienausschusses.

Die Enquete-Kommission fordert aber mehr: Einen Staatsminister für Internetthemen. Darüber bestehe „interfraktioneller Konsens“, so der Kommissionsvorsitzende, Axel Fischer (CDU). Die Frage ist nur, welche Aufgaben ein solcher „Internetminister“ konkret übernehmen sollte.

Ansonsten begnügen sich die Kommissionsmitglieder damit, ihre eigene Bedeutung zu unterstreichen. Jens Koeppen (CDU) betont, es sei gelungen, die Netzpolitik von einem Nischen- zu einem Schwerpunktthema zu machen. Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagt, man habe „erfolgreich daran gearbeitet“, den Rückschritt in Sachen Internet aufzuholen. Und Gerold Reichenbach von der SPD hält das Internet-Gremium für die „unterschätzte Keimzelle für die Erneuerung des Parlamentarismus.“

Wie es sonst weitergehen soll, ist offen. Es bestehen erhebliche Unterschiede in den Positionierungen der Parlamentarier und externen Sachverständigen zu Themen wie  Breitbandausbau, Urheberrecht, Green-IT, Transparenz und Verbraucherschutz.

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„Laptops für Alle!“ fordert etwa Halina Wawzyniak (Die Linke). „Digitale Bildung voranbringen,“ ist das netzpolitische Mantra der SPD. Ähnlich wie für Ferrero das Duplo die wahrscheinlich längste Praline der Welt ist für den FDP-Politiker Jimmy Schulz „das Internet die schönste Version der Globalisierung“. „Vom Internet als Raum, um neue, spannende Unternehmen zu gründen,“ schwärmt CDU-Mann Thomas Jarzombek.

Doch wie soll dieses anarchische Unwesen „Internet“ in einen regulativen Betrieb wie das Politiksystem Deutschland passen? Wie kann die Zivilgesellschaft künftig besser digital in politische Prozesse eingebunden werden? Diese Rätsel hat auch die Internet-Enquete nicht lösen können. Nicht einmal die Piraten – die IT-Kapitäne im politischen Meinungsmeer – haben bisher eine schlüssige Strategie vorgelegt.

Unterdessen hat der Bundestag eine weitere lustige Greifvogel-Comicfigur zu bieten. Auf seinem Kinderportal erscheint der kleine Bruder des virtuellen Beraters. Hippelig, mit lässigen Sneakers und Helium-Stimme erscheint „Karlchen Adler“ und führt kleine Prä-Politiker durch das Parlamentsgebäude.

Und die Erwachsenen schauen mit Adleraugen, was für Eier wohl der künftige Internet-Ausschuss für unsere Gesellschaft legen wird.

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