- Flüchtlingshelfer, die sich für unfehlbar halten
Die Verbreitung einer Falschmeldung zum Tod eines syrischen Flüchtlings in Berlin hat der Hilfsorganisation „Moabit hilft“ ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsproblem beschert. Der Fall offenbart darüber hinaus generelle Probleme der Helferszene
Es war das, was man einen medialen Super-GAU nennt: Am vergangenen Mittwoch verbreitete ein Unterstützer der Initiative „Moabit hilft“ die Nachricht, dass ein 24-jähriger Syrer, der vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gewartet hatte, in einer Klinik an den Folgen einer Unterkühlung gestorben sei. Obwohl der Informant inzwischen abgetaucht war und keine Verifizierung erfolgen konnte, forderten nicht nur Aktivisten der Helferszene sondern auch Oppositionspolitiker wie die grüne Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus, Ramona Pop, den Rücktritt des für das Lageso zuständigen Senators Mario Czaja (CDU).
Der Informant habe lediglich aufrütteln wollen
Mehrfach erklärten Senatsverwaltung, Polizei und Feuerwehr in den folgenden Stunden, dass es trotz intensiver Recherche keinen Hinweis auf einen toten Flüchtling gäbe, dennoch beteuerten die „Moabit hilft“-Sprecherinnen die Glaubwürdigkeit des Informanten. Auf der Seite von „Moabit hilft“ wurde eine „Traueranzeige“ veröffentlicht, im Forum der Verdacht geäußert, dass der Fall „vertuscht“ werden soll. Am Abend gab der inzwischen von der Polizei vernommene Informant schließlich zu, die ganze Geschichte erfunden zu haben, um „ein Signal zu senden“. Zerknirscht gestanden die Sprecherinnen nunmehr ein, „getäuscht“ worden zu sein, während auf der Seite der Initiative eher trotzig gemutmaßt wurde, der Informant habe „aufrütteln“ wollen. Außerdem zeige die breite Verbreitung der Falschmeldung ja schließlich, dass ein solcher Vorfall angesichts der Zustände am Lageso allgemein für möglich gehalten werde.
Letzteres mag stimmen, dennoch ist so viel geballte Hybris schwer erträglich. Doch sie ist Ausdruck einer in der Helferszene weit verbreiteten Geisteshaltung. In den Foren von „Moabit hilft“ bezeichnet man sich gerne gegenseitig als „wunderbare Menschen“, „Helden“ oder gar „Engel“. Häufig kokettieren die Helfer mit dem eigenen Einsatz bis zur Erschöpfung („habe jetzt 40 Stunden nicht geschlafen“). Zwar wird die Flüchtlingspolitik des Senats immer wieder kritisiert, doch die eigene Rolle als dauerhafter Lückenbüßer für das offenkundige Versagen der Behörden am Lageso hat man offensichtlich akzeptiert – denn es geht einfach immer weiter, und das seit nunmehr fast einem Jahr. Da fällt es dem Senat natürlich leicht, „Moabit hilft“ stetig in den höchsten Tönen zu loben und deren Sprecherin Diana Henniges ist längst begehrter Gast in den großen Talkshows.
„Moabit hilft“ wird fehlende Transparenz vorgeworfen
Aus der im Sommer 2013 gegründeten kleinen Gruppe ist längst ein riesiges Netzwerk mit über 1000 Unterstützern und erheblichen Geldflüssen geworden. Nachdem die Essensversorgung und die medizinische Betreuung am Lageso mittlerweile einigermaßen geregelt sind, ist die Akquise und Verteilung von Sachspenden an Flüchtlinge mittlerweile das zentrale Aufgabengebiet von „Moabit hilft“. Inzwischen wurde auch ein gleichnamiger Verein gegründet, begleitet von heftigen Querelen. Vor einigen Monaten verließ die damalige Mehrheit der Mitglieder den Verein und erhob gegen einige Vorstandsmitglieder schwere Vorwürfe in Bezug auf den Umgang mit Spendengeldern und fehlende Transparenz. Der ursprünglich regelmäßig veranstaltete „Runde Tisch“ zur Flüchtlingsarbeit in Moabit findet schon seit Monaten nicht mehr statt („wegen des hohen Arbeitsaufkommens“).
Entsprechende Nachfragen stoßen allerdings auf Empörung; schnell wird man als „Nestbeschmutzer“ oder „U-Boot“ abgestempelt. Einige Helfer haben mittlerweile feste, bezahlte Stellen für die Arbeit am Lageso, aber das System der dauerhaften unbezahlten Arbeit in erheblicher Größenordnung wird bewusst nicht in Frage gestellt, als Lohn reicht offenbar der Impetus der grenzenlosen moralischen Überlegenheit (Zitat: „Wenn alle Menschen so wären, dann hätten wir eine bessere Welt“). Weit verbreitet ist dort auch die Losung „Bleiberecht und offene Grenzen für Alle“, ohne auch nur eine Sekunde über die ungeheuren sozialen Verwerfungen nachzudenken, die das zwangsläufig mit sich bringen würde.
Ehrenamtliches Engagement darf den Staat nicht ersetzen
Niemand kann ernsthaft in Frage stellen, dass Gruppen wie „Moabit hilft“ mit ihrer tätigen Hilfe Großartiges geleistet haben und immer noch leisten. Ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge sollte aber stets nur eine unterstützende Funktion haben, und darf den Staat nicht seiner Verantwortung entheben, die Versorgung und Integration der Flüchtlinge zu organisieren und zu gewährleisten. Das muss beharrlich eingefordert werden, denn wer sagt, „Wir schaffen das“, der muss gefälligst auch dafür geradestehen und einige Nachfragen beantworten: Wer sind „wir“? Und was ist „das“? Doch Initiativen wie „Moabit hilft“ entwickeln über ihre eigentliche Arbeit hinaus ein Eigenleben und ein Selbstverständnis, das mitunter an Erweckungssekten erinnert.
Die eigenen Überzeugungen und das eigene Tun werden zum allgemein verbindlichen Maßstab für humanitäre Gesinnung und zivilisatorische Reife erhoben, die Selbstverleugnung bis hin zur -kasteiung zur Lebensaufgabe. Dabei wähnt man sich fast schon unfehlbar. Wenn ein Helfer, der nach eigenen Angaben im Laufe der Zeit schon 24 syrische Flüchtlinge zeitweise in seiner kleinen Wohnung aufgenommen hat und bei „Moabit hilft“ eine Art Heldenstatus genoss, in einem Facebook-Post verbreitet, gerade sei ein von ihm begleiteter Flüchtling vor seinen Augen gestorben, dann muss das so sein, Zweifel sind unangebracht. „Wir sind uns keiner Schuld bewusst“, erklärte denn auch eine Sprecherin nach dem Auffliegen des Schwindels.
„Moabit hilft“ hat jetzt ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Man darf gespannt sein, was daraus für Konsequenzen gezogen werden.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.