- Mit Europopulismus in den Bundestag
Nun also noch eine Partei: 2013 wollen die Freien Wähler in den Bundestag ziehen. Mit der Ablehnung des ESM-Vertrages hoffen sie, die eurokritische deutsche Bevölkerungsmehrheit für sich zu gewinnen. Ob das als Parteiprogramm reicht?
Wo Argumente nicht mehr helfen, greift Politik gern auf Sprachbilder zurück. Je drastischer, desto besser. Im Streit um den permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hat diese Logik eine neue Dimension erreicht: Nachdem Deutschland erst aus Italien, dann vom unterlegenen Chef der griechischen Syriza-Partei Alexis Tsipras an seine „historische Verantwortung“ erinnert wurde, bedienen sich deutsche Eurogegner zur Verteidigung nun auch aus dem NS-Waffenarsenal.
Beatrix von Storch, die im Internet die „Zivile Koalition“ gegen den ESM gegründet hat, sieht den „autoritären Staat“ kommen. Der Ex-Chef des Industrieverbands BDI, Hans-Olaf Henkel, spricht sogar von einem „finanziellen Ermächtigungsgesetz“. Die dünne Aktivistin und den lauten Eurokritiker verbindet aber nicht nur die Ablehnung des ESM, sondern auch ihre politischen Sympathien: mit den Freien Wählern.
Diese Wählergemeinschaft, bisher nur im bayerischen Landtag und in mehreren Kommunalparlamenten vertreten, meldet nun bundespolitische Ansprüche an. Am Montag luden sie mit anderen Anti-ESM-Initiativen zu einer ersten Pressekonferenz in Berlin. Das Interesse war gewaltig, rund die Hälfte der Journalisten musste in dem winzigen Raum stehen oder auf dem Boden sitzen. Henkel stellte klar, dass hier „kein Populist, kein D-Mark-Chauvinist und kein Anti-Europäer“ anwesend sei.
Der Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger sprach lieber von einer „Partei mit gesundem Menschenverstand“. Erst am Wochenende hatte Aiwanger seinen Auftritt bei der Bundesmitgliederversammlung im bayerischen Geiselwind. Rund 350 Teilnehmer waren gekommen, um die Freien Wähler für die Bundestagswahl 2013 fit zu machen. Und sie alle setzten auf ein Trendthema: den Europrotest.
[gallery:Prominenter Protest: Köpfe gegen den ESM]
Reicht das, um aus dieser Provinz-Truppe eine Bundespartei zu machen? Mit dem Linksruck der Christdemokraten in wichtigen konservativen Themenfeldern war immer wieder über die Gründung einer Partei rechts der CDU spekuliert worden. Nicht zuletzt mit den Piraten hat sich das Parteiensystem weiter aufgesplittert. Doch bislang hat sich außer der Linken noch keine der Bundestagsparteien gegen die Euro-Rettungsmaßnahmen gestellt.
Dabei würde der ESM, fragte man die Bevölkerung, nie eine Mehrheit finden. Mehr als zwei Drittel der Deutschen plädiert für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, wie das Meinungsforschungsinstitut YouGov in der vergangenen Woche bekannt gab. Im September sprachen sich 55 Prozent gegen weitere Eurohilfen aus – und glaubt man der nicht-repräsentativen Umfrage von Cicero Online, würden ganze 84 Prozent den ESM ablehnen. Eine entsprechende, von den Freien Wählern unterstützte Bundestagspetition gegen ESM und Fiskalpakt im Bundestag fand bereits mehr als 8.000 Mitzeichner.
Weit mehr Protest noch hagelte auf die Bundestagsabgeordneten selbst herein, wie die Internetaktivistin Beatrix von Storch zu berichten wusste. Bundesweit hätten Bürger mehr als 970.000 E-Mails an ihre Parlamentarier geschickt, um sie zu einem Nein zum ESM zu bewegen.
Seite 2: Wie Konrad Adenauers Enkel die Freien Wähler schmücken soll
Die Freien Wähler fühlen sich nicht nur von der Mehrheit der Bevölkerung bestätigt, sondern waren am Montag auf dem Podium auch um einen kompetenten Auftritt bemüht. Da saß etwa ein Vertreter des Bundes der Steuerzahler – mit dem klangvollen Namen Rolf Baron von Hohenhau – und erklärte, der ESM sei „de facto eine Bank“ mit 700 Milliarden Euro Eigenkapital. Doch die 17 Mitglieder des Gouverneursrats hätten keine Bankausbildung, unterlägen keiner Rechenschaftspflicht und könnten sogar ihre eigenen Kontrolleure bestimmen. Das Vertragswerk sei daher ein „demokratisches Ungeheuer“, schimpfte von Hohenhau.
Stephan Werhahn, ehemaliger Weltbankangestellter, rückte seine randlose Brille zurecht, um die Zahlen für die Stiftung Familienunternehmen zu verlesen. Er vertrete 180.000 Firmen. Sie alle wollten doch ein „friedliches und gesundes Europa“. Doch das Vertragswerk, was da kommen soll, sei „das Gegenteil“. Mit Werhahn konnten die Freien Wähler auch ihr erstes prominentes Mitglied gewinnen: Der 59-Jährige ist der Enkel von Konrad Adenauer – und ein Überläufer der CDU. 2013 will er in München als Bundestagskandidat antreten.
Auf die Frage, ob die Freien Wähler bereits andere Eurokritiker in CDU und FDP eingeladen hätten, hielt sich Aiwanger bedeckt. „Bei uns sind alle Leute, denen das Euro-Thema am Herzen liegt, willkommen.“ Bisher hätte er aber noch nicht aktiv um sie geworben.
Doch über das Thema Euro hinaus – was haben die Freien Wähler sonst zu bieten? Bei der Bundesmitgliederversammlung war Aiwanger mit einem Entwurf für ein Grundsatzprogramm gescheitert. Was den Piraten gerne zum Vorwurf gemacht wird, ist bei den Freien Wählern Programm: Nämlich kein Programm. Ist das piratische Grundsatzprogramm 24 Seiten lang, beschränkt sich jenes der Wählergemeinschaft auf zwei Seiten karger Stichpunkte: mehr direkte Demokratie, Kommunen stärken, Förderung des ländlichen Raumes, mehr Verbraucherschutz, bessere Bedingungen an den Schulen. Dass sie vor allem ältere Konservative und Landbewohner ansprechen, zeigt sich auch bei ihrer Netzpolitik. Die taucht vor allem dort auf, wo es um Kriminalitätsbekämpfung geht. So dürfe das Internet „kein rechtsfreier Raum“ sein, heißt es in einer Wahlbroschüre. Die Freien Wähler sprechen sich gegen „anonyme Beleidigungen“ und Killerspiele aus.
In Bayern versammelten sie vor allem enttäuschte CSU-Wähler – und erreichten so 2008 10,2 Prozent der Stimmen. Bei der Europawahl 2009 kamen sie nur auf 1,7 Prozent. Und bei den Landtagswahlen in Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen spielten die Freien Wähler quasi keine Rolle. Mit dem Euro scheint endlich ein Thema gefunden, über das sich bundespolitisches Gehör verschaffen ließe. Dabei ist dieser Bundeskurs in der eigenen Partei höchst umstritten.
So wird Aiwanger nicht nur nach außen gegen die traditionellen Parteien, sondern auch gegen starken inneren Widerstand kämpfen müssen. In Baden-Württemberg, einem traditionellen Stammland der Freien Wähler, lehnen Teile der Bewegung den Bundeskurs strikt ab. Im Gegensatz zum Aiwanger-Lager heißt es auf der Internetseite der Gegner: „Wir sind keine Partei! Wir wollen auch keine werden!“ Die Gruppe stellt sich „gegen die Verwendung unseres traditionsreichen Namens“. Die Freien Wähler zählen bundesweit gerade mal 3.000 Mitglieder – eine Spaltung würde eine solch kleine Partei wohl auszehren.
Zum Vergleich: Die Piratenpartei hat nach eigenen Angaben bereits über 32.000 Mitglieder. Seit 2009 hat sich diese Zahl verdreifacht. Und auch die Piraten entdecken langsam das Feld der Eurokritik für sich. Auf der parteieigenen Online-Abstimmungsplattform lehnte Anfang Juni eine überwältigende Mehrheit den ESM ab.
Doch Aiwanger sieht die Piraten nicht als Konkurrenz: „Ich bin überzeugt, dass sie bald ihren Glanz verlieren.“ Schließlich speisten sie sich nur aus dem „Protest in der Bevölkerung“. Interessant, dass das der Anführer einer Partei sagt, die sich dem Euro-Protest verschrieben hat.
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