Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Linken-Vorsitzende Kipping - Tschüss, Herrenclub!

Katja Kipping muss die Linkspartei retten. Ihr Trick: Die alten Chefs sind nur so wichtig, wie man sie nimmt

Autoreninfo

Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

So erreichen Sie Constantin Magnis:

Paff, das saß. Katja Kipping hat voll eins auf die Nase gekriegt. Ausgerechnet vom Chefredakteur des sozialistischen Neuen Deutschland, Tom Strohschneider, der zu heftig gestikuliert hatte. Bis ihm die Vorsitzende der Linkspartei von hinten in die Faust lief. „Autsch“, sagt Kipping. „Uups“, ruft Strohschneider erschreckt. Kipping blickt pikiert drein, dann streicht sie das rot gefärbte Haar wieder hinters Ohr und lächelt vergebend. So schnell geht ein guter Abend nicht kaputt.

Die Linke hat zum Gedenken an die Machtergreifung der Nazis ins Berliner Kino Babylon geladen, es geht weniger um damals, mehr um den antifaschistischen Widerstand an sich, einen linken Gründungsmythos. Kipping bahnt sich den Weg durch die Genossen im Foyer. Von überall bewegen sich jetzt Gesichter und Hände auf die 35 Jahre alte Frau zu, strahlen, zupfen, wollen Aufmerksamkeit. „Hey“, grüßt Kipping. Alte Männer mit fleckigen Glatzen und heiseren Stimmen machen den Diener, bitten um ein Autogramm, sie sagen: „Hallo, Frau Vorsitzende“, oder: „Dürfte ich mal eben, ein Foto mit meiner Frau und mir?“ Kipping lächelt und nickt, nicht gequält, sondern nett, als mache ihr das Spaß. Dann marschiert Gregor Gysi auf sie zu. „Darf ich ergebenst meine Chefin grüßen?“, sagt er und verneigt sich bis auf Kippings Bauchhöhe. Sie lacht milde amüsiert.

Nicht alle Parteikollegen nehmen ihr diese kindliche Leichtigkeit im Umgang mit ihrem Altherrenverein ab. Und die Herren sind ja auch anstrengend. Jeder hat mit jedem eine Menge Querelen hinter sich, eine Eifersüchtelei oder eine Verletzung. Gysi mit Lafontaine, Lafontaine mit Bartsch, Bartsch mit Gysi. Noch vor kurzem drohte die Linke unter dem ganzen Balast zusammenzubrechen. Seit vergangenem Sommer regiert nun Kipping zusammen mit Bernd Riexinger die Partei, und man muss feststellen, dass es überraschend friedlich geworden ist.

Die Linkspartei hat sich in bundesweiten Umfragen zwischen 6 und 7 Prozent eingependelt, immerhin. Doch gemessen an den fast 12 Prozent der zurückliegenden Bundestagswahl ist das dramatisch, besonders im Westen brechen die Wähler weg. Von Kipping hängt maßgeblich ab, ob die Partei wieder hochkommt oder als Regionalpartei auf den Osten zurückfällt. Schwer zu glauben, dass sie sich davon nicht unter Druck setzen ließe.

„Och“, sagt sie. „Vielleicht ist ja das, was auf den ersten Blick als Doppelbelas­tung gilt, auch ganz hilfreich: dass mein Leben nicht 24 Stunden um die Politik kreist.“ Kipping hat 2011 eine Tochter bekommen, ab 16 Uhr nimmt sie deshalb nur noch ausnahmsweise Termine wahr, so wie heute.

Nächste Seite: Ihre gefährlichste Waffe ist ihr Netzwerk

Zu der Veranstaltung im Kino Babylon ist sie auf ihrem Damenrad mit Einkaufskorb gefahren. Die Vorsitzende einer Bundestagspartei radelt durch den Schneematsch von Berlin – diese Leichtigkeit ist schon erstaunlich. Die alten Männer mit ihren bedeutsamen Anlässen, mit all ihren Verwicklungen aus der Vergangenheit sind eben nur so wichtig, wie man sie nimmt. Nach 16 Uhr müssen sich die Herren also in der Regel mit sich selbst beschäftigen.

Das heißt nicht, dass Kipping keine Ahnung von Macht hätte. Sie ist auch keine Einzelkämpferin. „Ich habe in der Partei viele Leute, mit denen ich mich sehr offen beraten kann, mit denen man nicht nur pseudomäßig vor der Kamera steht, sondern echte Freunde. Ich hatte seit meinem Eintritt noch nie das Gefühl, alleine zu sein.“ Ihre gefährlichste Waffe ist ihr Netzwerk. „Sie hat ein taktisches System von jungen Politikern, die für sie sprechen, Anhänger mobilisieren und im Hintergrund Stimmung machen, notfalls auch gegen jemanden“, sagt ein Genosse.

Katja und ihre Stammeskrieger. Ein bisschen wie in der Kindheit des 1978 in Dresden geborenen Mädchens: Indianerfilme im Zeltkino, Plastikindianer auf dem Boden der Hochhauswohnung, Winnetou-Poster im Zimmer. Die Kindheit in der DDR hat sie als glücklich und unbeschwert erlebt. Das nimmt ihr – frustriert von der Ineffizienz studentischer Graswurzelpolitik – die Hemmung, mit 20 Jahren der Linkspartei-Vorgängerin PDS beizutreten.

„Damals konnte ich das noch nicht so artikulieren, aber Engagement gehört für mich zu einem guten Leben dazu“, sagt sie. Ein Jahr später, 1999, sitzt sie als jüngste Abgeordnete im sächsischen Landtag, 2005 zieht sie in den Bundestag ein. Ziehväter hat sie nicht, die alten Herren dulden sie aber.
Sie hat wenig Radikales an sich, sie wirkt auch nicht desillusioniert. Die Politik stifte Sinn in ihrem Leben, sagt sie. Ein bedingungsloses Grundeinkommen gehört zu ihren politischen Zielen.

Noch ist sie eine Parteichefin auf Bewährung. Als Kipping am Abend der Niedersachsenwahl in die Kameras starrte, hatte sie Härte im Gesicht. 3,1 Prozent. Von Leichtigkeit war nichts mehr zu spüren. „Das hat nicht nur meine Hoffnungen, sondern auch meine Erwartungen enttäuscht“, sagt sie heute.

Wenn Kipping Stress abbauen will, treibt sie Sport – am liebsten in einem Dresdner Tanzverein. Für ihre jüngste Aufführung hat sie Michael Jacksons „Thriller“ getanzt, als Untote verkleidet, „mit Maske, damit uns niemand erkennt“.

Eine Bühne voller Zombies. Kipping muss jetzt dafür sorgen, dass die Linke so ein Stück nicht spielt. 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.