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Lehren aus der Europawahl - Wer Populisten nachläuft, verliert

Nur wer von Europa begeistert ist, kann andere für Europa begeistern. Andernfalls verhilft er den Rechtspopulisten zum Sieg. Dies ist die ebenso einleuchtende wie schlichte Botschaft dieses Wahlsonntags

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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Mit atemberaubender Geschwindigkeit haben sich Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer am Montagabend in Berlin darauf verständigt, bei den nun anstehenden Personalentscheidungen in Straßburg und Brüssel an einem Strang zu ziehen. Jean-Claude Juncker, darauf läuft es hinaus, soll Präsident der Europäischen Kommission werden, Martin Schulz eine herausragende Position in Brüssel bekommen zum Beispiel Präsident des Europäischen Rates werden. Und alles soll einvernehmlich über die europäische Bühne gehen – ganz im Geist und Stil der Berliner Koalition.

Fehleranalyse? Fehlanzeige! Ursachenforschung? Nicht nötig. Das Spiel ist abgepfiffen. Populisten und Rechtsradikale, so genannte „Euro-Skeptiker“ und erklärte Feinde der europäischen Idee haben zwar überall dramatisch zugelegt. Aber unterm Strich sind sie in der Minderheit geblieben. Die Pro-Europäer haben die Mehrheit.

Wenn aber alle als Sieger vom Platz gehen, muss über die Verlierer und die Gründe ihres Scheiterns nicht lange nachgedacht werden. Das jedenfalls scheint das Kalkül der Berliner Großkoalitionäre zu sein. Aber genau das ist falsch.

Verloren wurde diese Europawahl nämlich überall dort, wo Politiker sich nicht trauten, offensiv für die europäische Einigung zu werben, wo  – aus Angst vor der eurokritischen Konkurrenz – deren Parolen übernommen oder nachgebetet wurden. Am Ende wird immer das Original gewählt, nie die Kopie.

Europagegnern nach dem Munde geredet


Tories und Labour-Partei in Großbritannien wurden zu Recht dafür abgestraft, dass sie den Gegnern Europas nach dem Munde redeten. Ebenso Konservative und Sozialisten in Frankreich und die CSU in Bayern. Sie alle haben in diesem Wahlkampf nicht europäisch argumentiert, sondern nationalistisch. Sie haben nicht die wirtschaftlichen, die politischen und die kulturellen Errungenschaften dieser historischen Allianz einst verfeindeter Völker in den Mittelpunkt ihrer Reden gestellt, sondern Gurken, Glühbirnen und ganz generell die Brüsseler Bürokratie. Sie haben versucht, den Gegnern Europas mit deren Parolen Stimmen abzujagen. Und das konnte nicht funktionieren.

Es funktionierte nicht in England, wo man sich hinter den offen EU-feindlichen Propagandisten der United Kingdom Independence Party (UKIP) versteckte. Es verfing nicht in Frankreich bei den Anhängern des rechtsradikalen Front National (FN) und in Deutschland nicht bei der Alternative für Deutschland (AfD). Das Ergebnis der Anbiederei war überall das gleiche: Die erklärten Feinde Europas gewannen, ihre Epigonen verloren – dramatisch. In Frankreich kam hinzu, dass die Wähler den Urnengang nutzten, um ihre tiefe Enttäuschung und Unzufriedenheit mit dem sozialistischen Präsidenten François Hollande zum Ausdruck zu bringen.

Dass es auch anders geht, hat sich in den Niederlanden gezeigt. Dort war Geert Wilders’ rechtspopulistische und europakritische „Partei für die Freiheit“ (PVV) die große Verliererin der Wahl. Sie bekam weitaus weniger Stimmen, als sie selbst und ihre Propagandisten erwartet und vorhergesagt hatten. Die linksliberale D-66-Partei hingegen, die sich deutlich zu Europa bekannt hatte, fuhr ihr bisher bestes Wahlergebnis ein und konnte sich als Siegerin feiern lassen.

Nur wer von Europa begeistert ist, kann andere für Europa begeistern. Dies ist die ebenso einleuchtende wie schlichte Botschaft dieses Wahlsonntags.

Das gilt auch für Deutschland. Martin Schulz, dem SPD-Spitzenkandidaten, nahmen die Wähler ab, dass er für die europäische Idee brennt. Erstens ist er in einer Region im Landkreis Aachen aufgewachsen, wo man das Verschwinden der Grenzen nach zwei schrecklichen Weltkriegen vielleicht noch besser und unmittelbarer als anderswo zu schätzen weiß – nicht weit weg von den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, im äußersten Westen Deutschlands, ganz nah bei Frankreich, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, wo nach dem Zweiten Weltkrieg der Traum vom vereinten Europa erstmals Gestalt annahm.

Und zweitens ist er mehrerer Sprachen mächtig und als langjähriger Präsident des EU-Parlaments in Straßburg und Brüssel als Strippenzieher hinter den Kulissen bestens verdrahtet. Er ist, kurzum, die polyglotte Inkarnation des Europa-Politikers schlechthin (was übrigens in gleichem Maße auch auf seinen Herausforderer, den Luxemburger Ex-Premier Juncker zutrifft).

Die Sozialdemokraten jedenfalls profitierten von der Europa-Begeisterung ihres Spitzenkandidaten und konnten erstmals seit vielen Jahren wieder zulegen. Die CDU konnte ihr Ergebnis nur deshalb halten, weil sie der Versuchung widerstand, Europa als bürokratisches Monstrum zu denunzieren. Auch sie profitierte von ihrem Spitzenkandidaten, obwohl sie ihn auf den Plakaten hinter der Kanzlerin versteckte.

Union hat jetzt Konkurrenz am rechten Rand


Die Schwesterpartei CSU hingegen, deren Protagonisten im Wahlkampf glaubten, sie könnten der Alternative für Deutschland (AfD) mit deren Parolen Wähler abjagen, fuhr das schlechteste Ergebnis aller bundesweiten Wahlen ein. Die wirklich eurokritischen Wähler in Bayern entschieden sich für das Original und gegen die Kopie. Dass die deutschen Liberalen trotz ihres Bekenntnisses zu Brüssel beim Wähler nicht verfingen, hatte weniger mit Europa zu tun als mit dem desaströsen Zustand der FDP, die sich noch lange nicht von ihrem Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit erholt hat.

Was folgt daraus? Die Gewinne der AfD sind ein Alarmsignal für die Union. Unterm Strich haben die deutschen Euroskeptiker – die vergeblich versuchten, sich von den agressiven Europafeinden aus England, Frankreich und Holland abzugrenzen – zwar „nur“ zwei Millionen Stimmen geholt, genau so viel wie bei der Bundestagswahl. Und selbst wenn sie sich mit den Rechts- und Linksextremisten verbündeten, die jetzt ins Europaparlament einziehen, blieben sie dort in der absoluten Minderheit.

Trotzdem aber steht zu befürchten, dass die Unionsparteien bei den nächsten nationalen Wahlen genau die Fehler wiederholen, über die sie jetzt nicht mehr reden wollen, dass sie den Euroskeptikern immer wieder und so lange nach dem Munde reden, bis die sich auch im deutschen Parteienspektrum dauerhaft etablieren.

Dann aber hätte die CDU-Vorsitzende Merkel das gleiche Problem wie alle SPD-Vorsitzenden der SPD seit Gründung der Grünen und der Linkspartei: Abspaltung und Konkurrenz – nicht am linken, sondern am rechten Rand.

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