- In Deutschland verrissen, in der Welt geliebt
Die Regisseurin Helma Sanders-Brahms war eine der ganz Großen. Nur: Ihre Filme im Nachkriegsdeutschland missfielen den Kritikern. Erfolge feierte sie fast nur im Ausland
Ihre Filme sind Erinnerungen an eine untergegangene Epoche, als die Filmemacher einen langen Atem und viel Zeit für endlose, gemächliche Kamerafahrten hatten und keinen Produzenten im Nacken, der am Telefon quengelte: Der Film müsse schneller zum Ende kommen, kürzer werden, fernsehtauglich sein. Helma Sanders-Brahms, die jetzt nach langer schwerer Krankheit gestorben ist, war eine der ganz Großen des deutschen Nachkriegskinos. 16 Spielfilme, sieben Dokumentarfilme, zahlreiche Hörspiele und Hörbücher – ein beeindruckendes Gesamtwerk.
Ihre Filme liefen auf den internationalen Festivals: Cannes, Berlin, Locarno, San Francisco, Tokio, Montreal. Sie war Bundesfilmpreisträgerin, Chevalier des Arts et des Lettres de la France, Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Und all dies zu Recht. Denn sie hat Filmgeschichte geschrieben wie Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff, Wim Wenders und Werner Herzog und darf in einem Atemzug mit diesen genannt werden.
Triumphe in Paris, London, New York und Tokio
Aber anders als die berühmten Heroen des Autorenkinos wurde sie in Deutschland von der Kritik geschmäht. Ihre Triumphe feierte sie in Paris, London, New York und Tokio. Sie wurde im Ausland weltberühmt, in Deutschland blieb sie nahezu unbekannt. Diese Diskrepanz ist kränkend, und sie machte auch krank, glaubte Helma Sanders-Brahms. 1997 überstand sie die erste Krebsattacke, zwölf Jahre später die zweite, noch tückischere Variante. Trotzdem produzierte sie in diesem für sie lebensbedrohlichen Krisenjahr 2009 vier Drehbücher, als müsse sie gegen ihre Krankheit anschreiben. Vier Projekte, für die sie noch keinen Produzenten fand.
Verzweifelt war sie dennoch nicht. Eher auf eine fast schon abgeklärte Weise vergnügt. Vielleicht brauchte sie den Stress, den sie sich machte, zum Überleben. Auf jeden Fall brauchte sie Leute um sich, mit denen sie Kino machen und über Kino reden konnte, weil Kino ihr Leben war. Ihre Wohnung im fünften Stock eines Kreuzberger Altbaus ist bis unter die hohe Decke vollgestopft mit Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Fotobänden – Erinnerungen. Manchmal warf sie ihren uralten Fernsehapparat an, der schwarz und klobig vor einem winzigen, durchgesessenen Sofa steht, und zeigte Besuchern ihre alten, wunderbaren Streifen.
Der Krieg blieb das Thema von Helma Sanders-Brahms
„Ich trauere den Zeiten nach“, sagte sie dann, „als ich meine Filme wirklich so machen konnte, wie ich es gut gefunden habe.“ Sie kam mitten im Krieg zur Welt, und die Verheerungen, die dieser Krieg nicht nur in der Welt, sondern auch in den Köpfen der Deutschen angerichtet hat, blieb ihr Thema – ein Leben lang. Sie begann als bildhübsche Fernsehansagerin beim WDR und Fotomodel. 1969 wollte der WDR den Regisseur Pier Paolo Pasolini interviewen. Sie behauptete, sie könne Italienisch (was nicht stimmte) und bekam den Job. Pasolini betrachtete sie mit glühenden Augen. „Du wirst Kino machen“, sagte er und bot ihr nicht nur einen Stuhl am Set, sondern einen Platz in seinem Filmteam an.
Sie fuhr nach Köln, gab ihrem damaligen Verlobten den Ring zurück und wurde Filmemacherin. Beides zusammen, fand sie damals, Liebe und Kino, gehe nicht. Irgendwann hat sie dann trotzdem beschlossen, Mutter zu werden. Ihr langjähriger Begleiter, der Kameramann Thomas Mauch, wurde der Vater ihrer Tochter Anna. Seit deren Geburt 1977 führt Helma Sanders den Namen ihres berühmten Vorfahren Johannes Brahms hinter dem Bindestrich.
Putzfrau und Plattenpresserin
Schon als Schauspielschülerin hat sie nebenher als Putzfrau, Verkäuferin und Plattenpresserin bei der Deutschen Grammophon-Gesellschaft gearbeitet. Ihre ersten Filme beschäftigen sich mit der grauen Realität des Arbeitsalltags. Sie erntet erste Lorbeeren und Preise in Oberhausen und anderswo. „Die letzten Tage von Gomorrha“, ihren ersten Spielfilm, nannte der Spiegel herablassend „ein höchst eigenwilliges und merkwürdiges Kintopp-Spektakel“.
Ihr Durchbruch und erster internationaler Erfolg wurde „Unter dem Pflaster liegt der Strand“, eine Liebesgeschichte im revolutionären 68er-Paris. Schließlich „Heinrich“, ihr stillstes, innigstes Werk, über den homophilen, von Todessehnsucht getriebenen Dichter Heinrich von Kleist, dem auf Erden nicht zu helfen war, weshalb er sich und seine Braut Henriette Vogel am Wannsee feierlich erschoss.
Daheim geschmäht, in New York gefeiert
„Deutschland, bleiche Mutter“ heißt ihr wichtigster Film. Er erzählt die Geschichte ihrer Mutter (gespielt von Eva Mattes), die sich im Krieg und in den ersten Nachkriegsjahren allein mit ihrem Kind durchschlagen muss, bis der Vater (Ernst Jacobi) wieder zurückkehrt, den der Krieg zu einem seelischen Krüppel gemacht hat. Der Film, auf der Berlinale 1980 uraufgeführt, wurde von der deutschen Filmkritik derartig verrissen, dass die Kinoverleiher ihn zurückzogen. In Paris hingegen lief er 72 Wochen hintereinander, in London 16, in Tokio 18, in Stockholm und New York zwölf Wochen. Ein Welterfolg, der 1994 von New Yorker Filmkritikern zum „Weltklassiker“ ausgerufen wurde.
In Deutschland blieb das Interesse seltsam gering. 2007 drehte sie ihren letzten Film, „Geliebte Clara“ – über Clara und Robert Schumann und den jungen Johannes Brahms. Es ist auch eine Hommage an den musikalischen Verwandten aus Hamburg. Was sie nicht wusste und erst nach Ende der Dreharbeiten erfuhr: Jürgen Jürges, der Kameramann, mit dem sie schon die „bleiche Mutter“ drehte, hatte ebenfalls einen engen biografischen Draht zum Stoff. Robert Schumann war der Neffe seines Urururgroßvaters.
Irgendwann kehrte der Krebs doch wieder zurück. Und diesmal hat Helma Sanders-Brahms ihn nicht mehr besiegen können.
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