- Der Anachronist
In der NSA-Affäre haben die Deutschen mal wieder erfahren, Geheimdienste wollen allwissend und allzuständig sein. Der MAD und sein Chef Ulrich Birkenheier fallen da ein bisschen raus
Von dem freundlichen Herrn geht keine Gefahr aus. Wie er da in seinem Büro steht, sieht er weder mächtig noch geheimnisvoll aus. Eher wie Loriot in der Rolle eines deutschen Beamten: Brille, graues Haar, akkurat gepflegter Oberlippenbart. Ulrich Birkenheiers Arbeitszimmer liegt in einer Kölner Kaserne. An den Wänden Ölbilder und Aquarelle, Landschaften und Stadtansichten, die Godesburg, der Kölner Dom, eine Fantasielandschaft. Im Regal einige sitzende Akte aus Ton. „Meine Frau hat die gemacht“, sagt der Präsident, „sie malt und töpfert.“
Seit einem Jahr ist der 64 Jahre alte Jurist Chef des Militärischen Abschirmdiensts, kurz: MAD. Angesichts der Tatsache, dass sogar befreundete Staaten die Deutschen exzessiv ausspähen, kann man sich fragen, ob nicht das ganze Land einen Dienst gebrauchen könnte, der es ein wenig abschirmt. Aber das wäre wohl nicht nur in technischer Hinsicht zu viel verlangt vom MAD, denn seine Zuständigkeiten sind streng auf die Bundeswehr beschränkt. In der Affäre rund um das amerikanische Abhörprogramm blieb Birkenheiers Kölner Behörde bisher außen vor. Als Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und die Chefs der Geheimdienste BND, Verfassungsschutz und MAD vor das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags zitiert wurden, schaute Birkenheier nur zu.
Hat er doch etwas von den Schnüffeleien der US-Geheimdienste gewusst? Steht in den Umlaufmappen, die auf seinem Schreibtisch liegen, irgendetwas über „Prism“ oder „Tempora“? War er überrascht? „Wir hatten und haben hierzu keine konkreten Erkenntnisse“, sagt Birkenheier, „aber wenn es in dem Umfang, wie es in den Medien steht, stattgefunden haben sollte, dann würde mich das sehr überraschen.“
Das würde zum Ruf des MAD passen. Dessen Markenzeichen war schon immer die Ahnungslosigkeit – das wurde nicht erst bei der Aufklärung der NSU-Morde klar. FDP, Linkspartei und Grüne wollen die Behörde, die Verteidigungsminister Thomas de Maizière untersteht, abschaffen. Nur die Union und die Wehrexperten der SPD halten zu den etwa 1200 Beamten, die die Truppe vor Spionen, Terroristen und rechts- und linksradikalen Extremisten bewahren sollen – neuerdings auch vor gewaltbereiten Islamisten. Verfassungsschutz und – im Ausland – der Bundesnachrichtendienst könnten das genauso gut, sagen die Gegner. Der MAD-Präsident hält tapfer dagegen. „Wir sind in die Bundeswehr integriert. Und diese Nähe ermöglicht uns Einblicke, die eine andere Behörde, etwa der Verfassungsschutz, niemals bekäme.“
Ulrich Birkenheier, im September 1949 in Bad Kreuznach als Sohn eines Malermeisters geboren, wollte nach dem Abitur raus aus dem engen Nahetal. Er kam bis Bonn. Dort gehört er heute zu den Beamten der alten Bundeshauptstadt, die man bei Premieren im Theater oder in der Oper sieht. Er liebt Musik und Kunst und hat für die Bonner Bühnen ein Jahresabonnement.
Die Beamtenlaufbahn des Juristen im Verteidigungsministerium verlief unauffällig. Personalabteilung, Rechtsabteilung, schließlich musste er als Vertreter des Ministeriums die Berliner Untersuchungsausschüsse beobachten, in denen es um den nach Guantánamo verschleppten Deutschen Murat Kurnaz und um den Luftangriff im afghanischen Kunduz ging. Seitdem kennt ihn die Spitze des Hauses als politisch zuverlässigen Juristen. Als der frühere MAD-Chef Karl-Heinz Brüsselbach 2012 pensioniert wurde, brauchte de Maizière einen skandalfreien Nachfolger.
Keiner seiner Vorgänger gab den Medien Interviews, geschweige denn Auskünfte über sich selbst. Birkenheier geht in die Offensive. „Nur wer weiß, was wir machen, kann unsere Arbeit verstehen.“ Vor einem Jahr erschien im Bundeswehrmagazin Y eine mit Comics illustrierte Titelgeschichte über „Die Welt des MAD“. Soldatinnen und Soldaten werden auf die Gefahren hingewiesen. „Jeder hat irgendeine Schwäche: Geld, Sex, Drogen, Karriere“, heißt es da. Gezeigt wird im dazugehörigen Comic eine vollbusige russische Schönheit in hauchdünner Bluse, die einen Bundeswehrsoldaten verführen will, Geheimnisse zu verraten – das passt in jeden Soldatenspind.
Nur nicht in die Zeit. In einer Welt, in der Datenströme systematisch abgegriffen und analysiert werden, klingen Warnungen vor verführerischen Agentinnen etwas anachronistisch. Allerdings hat ein so altmodischer Dienst auch das Beruhigende einer früheren Welt, etwa so, wie wenn man sich abends im Fernsehen noch mal einen James Bond mit Sean Connery anschaut.
„Geld und Sex“, sagt Birkenheier, „das ist etwas, das immer noch zieht, nach wie vor.“ Allerdings hätten Agentenfilme, in denen es fast immer um Geld, Sex und Verrat geht und die er sich auch mal gerne anschaue, „mit der Realität nichts zu tun“.
Der Alltag eines MAD-Agenten ist viel banaler. Das fängt schon mit der Frage an, ob der Verfassungsschutz zuständig ist oder der MAD. Wenn sich die vollbusige Comic-Spionin nicht dem Soldaten, sondern beispielsweise dem Ingenieur von Rheinmetall zuwenden würde, der gerade dabei ist, einer tolle neue Panzerkette zu erfinden, wäre der MAD aus dem Spiel. Für Zivilisten ist der Verfassungsschutz zuständig.
Nicht zuständig zu sein, ist manchmal aber auch nicht das Schlechteste. Mit den Drohnen, die seinem Minister gerade Verdruss bereiten, hatte er zum Glück nichts zu tun. „Es gibt Dinge“, sagt der Geheimdienstchef und lacht, „die muss man nicht unbedingt an der Backe haben.“
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.