- ...warum sie keine Patriotin sein kann
Als Kind schämte sie sich für ihre Nationalität, heute fragt sich Amelie Fried: Darf sie stolz auf Deutschland sein?
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Januar-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.
Ich will mein Land gern lieben. Aber welches ist mein Land? Ist es das Deutschland, in dem jeder seine Meinung sagen kann, in dem Menschen per Verfassung nicht diskriminiert werden dürfen und das alljährlich reumütig seiner Nazi-Verbrechen gedenkt? Oder ist es das Deutschland, in dem 20 Prozent der Bevölkerung latent oder offen rassistisch und antisemitisch denken, in dem Menschen anderer Religion oder Hautfarbe sich nicht wirklich sicher fühlen können und in dem eine rechte Mörderbande jahrelang unbehelligt töten konnte?
Als junge Frau schämte ich mich, Deutsche zu sein. In Italien oder Griechenland gab ich mich als Skandinavierin aus. Da war es fast eine Erleichterung, als ich vor einigen Jahren erfuhr, dass große Teile meiner jüdischen Familie väterlicherseits den Nazis zum Opfer gefallen waren: Wenigstens bin ich nicht Tochter oder Enkelin von Mördern. Meinen Patriotismus hat diese Erkenntnis allerdings nicht gefördert.
Man kann Deutschland für vieles bewundern. Für seine Wirtschaftsleistung, seine soliden und in aller Welt begehrten Produkte, seine stabile Demokratie. Für viele seiner Sozialleistungen, ein ordentliches – wenn auch viel zu teures – Gesundheitssystem, ein Bildungssystem, das besser als in vielen Ländern ist, wenn auch längst nicht gut genug. Deutschland ist erfolgreich, weil es zielorientiert, leistungsstark und effizient ist. Aber mit denselben Tugenden wurde auch der Massenmord an den Juden organisiert.
Ein paar Wochen lang, im Sommer 2006, gelang es mir, mein Land, sagen wir: gern zu haben. Als die Welt zu Gast bei Freunden war, das Wetter wunderschön, die Menschen freundlich und die schwarz-rot-goldenen Fahnen harmlose Partydeko, da gefiel es mir hier ganz gut. Aber Deutschland zu lieben, ist schwer. Italien, Spanien oder Frankreich zu lieben, scheint einfacher. Andererseits ziehen dann doch die wenigsten Deutschen dorthin um. Auch ich nicht. Was mich mit meinem Land verbindet, ist eine Vernunftehe: Ich schätze seine Qualitäten und bin ihm in kritischer Zuneigung verbunden. Vielleicht ist das ja besser als eine Liebe, die blind macht.
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