- Gabriel rettet Oppermann
Mit einer abenteuerlichen Gedächtnis-Akrobatik holt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel den Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann in der Edathy-Affäre aus der Schusslinie
Es müssen zwei schwere Stunden für Thomas Oppermann gewesen sein. Während er am Donnerstag im Reichstag zwischen Plenarsaal und Büro pendelte, saß sein Parteivorsitzender Sigmar Gabriel als Zeuge im Untersuchungsausschuss und redete den Chef der SPD-Fraktion um Kopf und Kragen.
Natürlich habe er im Oktober 2013 auch Oppermann in die Causa Edathy eingeweiht, nachdem ihn Hans-Peter Friedrich, seinerzeit amtierender Bundesinnenminister, darüber informierte, dass der Name des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy auf der Liste eines internationalen Kinderporno-Ringes stand, der in Kanada aufgeflogen war. Vermutlich sei dies am späten Nachmittag des 17. Oktober gewesen, nuschelte Gabriel ins Mikrophon. Vielleicht aber auch erst am Tag danach.
„Gabriel belastet Oppermann“ hieß es daraufhin in den ersten Medienberichten, die direkt aus dem Saal 3.101 des Marie-Elisabeth-Lüders Hauses verbreitet wurden. Dort mühte sich der Untersuchungsausschuss am Donnerstag lange 13 Stunden, die noch offenen Fragen der Affäre vor der Sommerpause aufzuklären. Und wäre Gabriel bei seiner Version geblieben, hätte Oppermann in der Tat seinen Hut nehmen müssen.
Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion hätte dann nämlich vor der unlösbaren Aufgabe gestanden, den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses eine Ungereimtheit zu erklären: Wie konnte er an jenem 17. Oktober 2013 schon um 15.29 Uhr mit Jörg Ziercke, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), über angebliche Verfehlungen des damaligen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy telefoniert haben, wenn doch sein Parteivorsitzender Gabriel ihn erst am späten Nachmittag, am Abend oder am nächsten Tag darüber informiert hatte?
Hatte er etwa andere Quellen und damit den Innenausschuss des Bundestages bei früheren Befragungen belogen?
Gabriel revidiert seine frühere Aussage
Erst gegen Ende seiner Befragung half Sigmar Gabriel dem in Bedrängnis geratenenen SPD-Fraktionschef aus der Schusslinie. Er revidierte seine frühere Aussage und ersetzte sie durch eine neue: „Es ist theoretisch auch möglich, dass ich Oppermann am 17. Oktober 2013 direkt nach meiner Unterhaltung mit Frank-Walter Steinmeier angerufen habe.“
Das war zwar nur eine kleine, scheinbar nebensächliche Klarstellung des SPD-Vorsitzenden. Aber dem Fraktionschef Thomas Oppermann rettete die unverhoffte Gedächtnis-Akrobatik des Vizekanzlers das politische Überleben. Denn nachdem Gabriel endlich das Hintertürchen aufgeschlossen und eingeräumt hatte, dass er den Spitzengenossen – damals Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und neben Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der einzige Mitwisser – sehr viel früher informiert haben könnte, war die Luft raus.
In einem ausgefeilten Statement konnte Oppermann am späten Abend nicht nur den Zeitpunkt seines Telefongesprächs mit Ziercke schlüssig fixieren. Er konnte nun auch den Widerspruch entwirren, warum er in einer späteren Erklärung mitgeteilt hatte, Ziercke habe den Verdacht gegen Edathy „bestätigt“ – was dieser umgehend dementiert hatte.
Es sei vielmehr so gewesen, erzählte Oppermann, sichtlich erleichtert über die Erinnerungsarbeit seines Vorsitzenden, dass er – unmittelbar, nachdem er selbst kurz nach 15 Uhr von Gabriel informiert worden sei – Ziercke angerufen und ihn gefragt habe, ob das denn alles stimme, was der Innenminister seinem Parteivorsitzenden berichtet habe. Ziercke habe daraufhin nur gesagt: „Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich das jetzt kommentiere.“ Und er, Oppermann, habe dies als eine Bestätigung empfunden. Als er dann im Februar 2014 glaubte, den genauen Hergang der Informationskette in einer Pressemitteilung schildern zu müssen, weil erste Anfragen aus Zeitungsredaktionen ihn vermuten ließen, dass die Causa Edathy nicht länger unter der Decke zu halten sei, habe er – leider, leider – den BKA-Präsidenten vor Veröffentlichung nicht erreicht, weswegen es zu der irreführenden Behauptung kam, Ziercke habe ihm die Angelegenheit bestätigt.
Edathy wusste sehr früh von den Ermittlungen gegen ihn
Auch auf andere noch offene Fragen konnte Oppermann jetzt derart einleuchtende Antworten geben, dass selbst den hartnäckigsten Fragestellern Irene Mihalic (Grüne) und Frank Tempel (Linke) die Lust am Fragen verging. Da die Mehrheit des Ausschusses beschlossen hatte, nur noch eine Fragerunde zuzulassen und sich dann zu vertagen, verzichteten die beiden Oppositionspolitiker trotz erkennbarer Zweifel darauf, ihr knapp bemessenes Zeitkontingent von jeweils acht Minuten pro Frage zu nutzen. Beide wollen Oppermann bei der Fortsetzung der Befragung am 1. Juli lieber „am Stück“ befragen.
Die Zeugenvernehmungen der drei SPD-Oberen – Gabriel, Steinmeier und Oppermann waren in dieser Reihenfolge geladen – und vorab die des früheren CSU-Innenministers Hans-Peter Friedrich waren als politisches Finale geplant. Sie sollten am Donnerstag eigentlich die Arbeit eines Untersuchungsausschusses krönen und beschließen, der zunächst gegen den Willen von Union und SPD auf Betreiben der Linkspartei und der Grünen installiert worden war.
Sein Auftrag: Er sollte herausfinden, ob und wenn ja, durch wen Edathy seinerzeit von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen informiert worden war. Anfangs glaubten Union und SPD, der Ausschuss sei völlig überflüssig. Er passte gar nicht in die groß-koalitionäre Landschaft. Inzwischen geben auch die Regierungsparteien zu, dass sie jetzt weitaus mehr über die Hintergründe der damaligen Affäre wissen, als sie es selbst je für möglich gehalten hätten.
Dank der Recherchen des Ausschusses steht jetzt zum Beispiel fest, dass Edathy sehr früh ziemlich genau darüber Bescheid wusste, dass gegen ihn wegen des Verdachts ermittelt wurde, sich Fotos nackter Jungen von dem Pornoring beschafft zu haben. Von wem er das erfuhr, ist immer noch offen. Er selbst behauptet, sein Fraktionskollege Michael Hartmann sei der Informant gewesen, was dieser vehement bestreitet. Die Frage, ob der Besitz der Knabenpornos strafbar war oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Edathy hat das Mandat niedergelegt. Das gegen ihn eingeleitete Gerichtsverfahren wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt.
Je länger es dauerte, desto weniger wollte die Union der SPD helfen
Zurück blieb ein unappetitliches Knäuel von wechselseitigen Beschuldigungen, Verdächtigungen und Gerüchten. Die SPD-Führung machte keine gute Figur und je länger die Befragungen im Ausschuss dauerten, desto geringer war die anfängliche Neigung der Unions-Abgeordneten, ihr aus der Patsche zu helfen. Armin Schuster, der Obmann der Union, vertrat zum Schluss sogar die Ansicht, nicht der Minister Friedrich habe die SPD-Führung über das Verfahren gegen Edathy informiert, sondern Oppermann und Co. hätten schon vorher – aus welchen Quellen auch immer – davon gewusst. Friedrich habe sich also – streng genommen – keiner Verfehlung schuldig gemacht, weil das, was er verriet, der SPD-Spitze schon vorher bekannt gewesen sei.
Schusters Hoffnung, der damals über die Affäre gestrauchelte Ex-Minister könnte diese Version stützen, verflog schnell. Denn Friedrich berichtete freimütig, er habe den sicheren Eindruck gehabt, dass Gabriel keineswegs vorgewarnt war. Er habe überrascht und entsetzt auf die Information reagiert. Er selbst, betonte Friedrich, habe es damals für richtig gehalten und tue das immer noch, den SPD-Vorsitzenden über den Verdacht zu informieren. Dass dies später dazu führte, dass er den Hut nehmen musste und dass Gabriel die Information keineswegs für sich behielt, sondern Steinmeier und Oppermann einweihte, nimmt der CSU-Politiker nicht übel. „Es ist so, wie man bei uns in Bayern sagt: Shit happens“ meinte der Ex-Minister und erntete damit einen der wenigen Lacher des Tages.
Warum Gabriel so lange brauchte, um Oppermann aus der Bredouille zu helfen, bleibt sein Geheimnis. Vielleicht lag es wirklich daran, dass an jenem 17. Oktober 2013 unglaublich viel passiert ist: SPD und CDU/CSU hatten sich an diesem Tag nach langen Sondierungsgesprächen darauf verständigt, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Am Rande der Sondierungsgespräche hatte der noch amtierende Innenminister den SPD-Chef über den Verdacht gegen Edathy informiert. Gabriel hatte daraufhin Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und auch Oppermann eingeweiht – alle drei hatten striktes Stillschweigen vereinbart.
Das BKA weiß: Oppermann rief Ziercke um 15.29 Uhr an
Bei einer früheren Befragung durch den Bundestags-Innenausschuss hatte Gabriel offen gelassen, wann er Oppermann angerufen und über die Ermittlungen informiert hatte. Es könne am späteren Abend auf der Rückfahrt von Berlin zu seiner Wohnung in Goslar gewesen sein oder sogar erst am nächsten Tag. Auch Steinmeier war sich in seiner früheren Aussage vor dem Innenausschuss nicht sicher, ob Oppermann ihn am 17. Oktober oder erst einen Tag später von seinem Telefongespräch mit Ziercke informierte. Inzwischen steht allerding fest, dass Oppermann das Telefongespräch mit Ziercke am 17. Oktober um 15.29 Uhr führte – ein Beamter im BKA hatte die genaue Uhrzeit registriert.
Deshalb war die Frage, wann genau er von Gabriel informiert wurde, für Oppermanns Glaubwürdigkeit von entscheidender Bedeutung. Es musste auf jeden Fall vor 15.29 Uhr passiert sein, sonst hätte das Gespräch mit Ziercke keinen Sinn gehabt. Aber erst als die Grünen-Obfrau Irene Mihalic ihm vorhielt, dass er Oppermann unmöglich erst am Abend oder gar am nächsten Tag informiert haben könnte, weil der schließlich schon um kurz vor halb vier mit Ziercke telefonierte, räumte der SPD-Chef die theoretische Möglichkeit ein, dass dies früher geschehen sei.
Steinmeier hatte sich nie genau festgelegt und er hatte auch an diesem Donnerstag keine Mühe, seine früheren Äußerungen und die später gewonnenen neueren Erkenntnisse in Deckung zu bringen. Oppermann sei bei ihm erschienen und habe ihm berichtet, das Gespräch mit Ziercke habe nichts Neues gebracht. Er habe damals den Eindruck gehabt, dass dies ziemlich zeitnah geschehen sei.
„Wir glauben Oppermanns Aussage nicht“
Auch Gabriel hatte plötzlich eine einleuchtende Erklärung, warum er sicher sei, dass er Oppermann unmittelbar nach Steinmeier informiert haben müsse: „Dafür spricht, dass wir damals sehr schnell reagieren mussten. Und dafür spricht auch, dass ich das Problem Edathy möglichst rasch loswerden und delegieren wollte.“
CDU-Obmann Schuster gab sich allerdings nach Gabriels Auftritt noch nicht geschlagen: „Er wirkte als Zeuge sehr glaubwürdig, weil er eigentlich die ganze Zeit bei der Aussage blieb, die er vor dem Innenausschuss gegeben hatte. Jetzt hat er eine neue Variante geliefert, die passt zwar besser zu Oppermanns Aussage. Aber wir glauben sie nicht.“
So wird man am 1. Jui vermutlich eine höchst ungewöhnliche Koalition im Untersuchungsausschuss erleben: CDU, CSU, Grüne und Linkspartei werden ziemlich geschlossen versuchen, Oppermanns Statement doch noch zu widerlegen. Die Aussichten, dass ihnen das gelingt, sind freilich denkbar gering.
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