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Parteienforscher - „Die AfD kann zur national-konservativen Alternative werden“

Die SPD kann sich derzeit kein rot-rot-grünes Bündnis leisten, glaubt der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer. Der AfD spricht er großes Potenzial zu - wenn sie sich glaubhaft vom rechten Rand abgrenzen kann

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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Herr Niedermeyer, nach der Wahl sucht Deutschland nach einer neuen Regierung. Warum ziert sich die SPD so? Gilt das Wort von Franz Müntefering „Opposition ist Mist“ nicht mehr?

Ich glaube, für die Mehrheit gilt dieses Wort immer noch. Die SPD hat aber von der letzten großen Koalition ein Trauma davon getragen: 2009 fuhr sie das schlechteste Ergebnis ihrer bundesrepublikanischen Geschichte ein. Die SPD müsste in einer Großen Koalition aufpassen, dass sie den eigenen Anteil an möglichen Regierungserfolgen dem Wähler sinnvoll vermittelt. Denn wenn man sieht, wie es der FDP nach der Koalition mit der Union ergangen ist, weiß man: Die Angst der SPD ist nicht unberechtigt.

Sollte man der SPD davon abraten, in eine Große Koalition zu gehen?

Eigentlich stellt sich die Frage nicht, wenn die anderen beiden Koalitionsmöglichkeiten politisch nicht möglich sind. Und ich gehe davon aus, dass das der Fall ist. Also bleibt nur die Große Koalition oder die Ausrufung von Neuwahlen.

Wie stünden denn die Chancen von AfD und FDP bei Neuwahlen?

Die AfD hätte Chancen, in den Bundestag zu kommen. Wenn eine neue Partei mit gewissem Potenzial knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert, ist es immer so, dass ihr einige Leute die fehlenden Stimmen zu geben bereit sind. Bei der FDP könnte es vielleicht einen Mitleidseffekt geben. Außerdem könnten einige Unionsanhänger zu der Erkenntnis gelangen, dass es bei der Stärke der Union gar nicht so schlimm wäre, ihre Stimme der FDP zu geben. Dann könnte es eine erneute schwarz-gelbe Koalition geben.

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Müssen wir denn mit Neuwahlen rechnen?

Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Die Bevölkerung, von der eine relative Mehrheit ja eine Große Koalition möchte, würde das nicht verstehen. Wenn sich die SPD einer Koalition mit der Union verweigern würde, bekäme sie in der Öffentlichkeit die Schuld für Neuwahlen und würde vom Wähler dramatisch abgestraft. Das kann sich keine Partei leisten.

Dann pokert die SPD nur. Wollen die Genossen so möglichst viele Ministerposten herausschlagen?

Alle Politiker sagen immer, es gehe nur um Inhalte. Das ist natürlich nicht wahr. Selbstverständlich geht es auch um Personen und Machtpositionen innerhalb einer neuen Regierung. Es ist aber klar, dass die SPD nicht wie in der letzten Großen Koalition darauf beharren kann, auf Augenhöhe mit der Union zu sein – dazu sind die Ergebnisse zu unterschiedlich. Innerhalb der SPD muss man sich nun fragen: Wie muss die Verhandlungsführung mit der Union aussehen, damit man die Parteibasis und die Gegner einer solchen Koalition überzeugen kann?

Oder man schwenkt doch auf Rot-Rot-Grün um.

Damit beginge die SPD gegenüber dem Wähler Wortbruch. Die gesamte Parteispitze hat ja Rot-Rot-Grün und eine Tolerierung von Rot-Grün durch die Linkspartei definitiv ausgeschlossen. Und wie ein Wortbruch auf die Wähler wirkt, das hat die SPD ja schon in Hessen mit Andrea Ypsilanti leidvoll erfahren müssen. Aber für diese Wahl schließe ich ein Linksbündnis aus.

Ist dann Rot-Rot-Grün nur ein linker Wunschtraum?

Für die nächsten Wochen: ja. Für die nächsten Jahre: nein. Es wird in der SPD eine längere Diskussion über Rot-Rot-Grün geben.

In den Medien wird bereits über folgendes mittelfristiges Szenario spekuliert: Die SPD lässt sich auf eine Große Koalition ein, bereitet aber heimlich ein rot-rot-grünes Bündnis und regiert mit einer linken Mehrheit die Legislaturperiode zu Ende. Ist das ein Schreckgespenst oder eine reale Option?

Ich glaube, dass eine solche Möglichkeit besteht. Sie hängt aber erstens davon ab, inwieweit die SPD in den Koalitionsverhandlungen eine sozialdemokratische Handschrift durchsetzen kann. Zweitens, inwieweit der Leidensdruck in den ersten Jahren etwa ab- oder zunimmt – beispielsweise wenn die SPD in Umfragen immer schlechter beurteilt wird. Drittens hängt es davon ab, wie die Linkspartei sich nach der Wahl aufstellt und entwickelt. Es ist davon auszugehen, dass die neue Fraktion der Linkspartei stärker als bisher durch pragmatische Politiker vor allem aus Ostdeutschland geprägt wird. Dann ließen sich eine Arbeitsgrundlage und bessere Anknüpfungspunkte mit der Linksfraktion finden.

Zudem darf die Linke nicht weiterhin permanent Koalitionsangebote machen, aber andererseits immer nicht-verhandlungsfähige Punkte benennen. Es ist unsinnig zu glauben, dass sich bei einer solchen Koalition nur die SPD auf die Linke zubewegen müsste. Auch die Linke muss bereit sein, Kompromisse einzugehen.

Zurück zur wahrscheinlicheren Konstellation, der Großen Koalition. Sie hätte reale Auswirkungen auf unser parlamentarisches System. Gemeinsam käme Schwarz-Rot auf etwa 79% der Sitze. Verfassungsänderungen wären damit ein Klacks. Was bedeutet dies für die Opposition?

Man sollte hier die Kirche im Dorf lassen: Bisher haben die beiden großen Parteien auch dann, wenn sie sehr große Machtfülle hatten, wie beispielsweise mit über 90% der Mandate in den Siebzigern, diese nicht ausgenutzt. Verfassungsänderungen erwarte ich nicht – auch keine Änderung des Wahlrechts hin zum Mehrheitswahlrecht, obwohl diese Möglichkeit ja schon häufiger gegeben war. Eine systematische Herabwertung der Opposition sehe ich nicht.

Aber leicht wird es für die Opposition nicht.

Ich sehe kein Problem, wenn die Opposition lebendig bleibt und eigene Konzepte entwickelt. Sie kann ja nicht nur im Parlament Kontrolle ausüben. Sie hat vor allem die Möglichkeit, über die Medien Öffentlichkeit herzustellen und ihre Belange so in die Diskussion zu bringen.

Bedeutet das, dass die Grünen-Fraktion sich den Linken annähert, um eine schlagkräftigere Opposition zu schaffen?

Die Grünen haben zwei Möglichkeiten: Entweder bleiben sie auf Linkskurs – eine einseitige Bindung an die SPD ohne Machtperspektive führt zu einem Desaster, das hat man gesehen.  Dann müssten sie allerdings auch die Beziehungen zur Linkspartei verändern. Oder die Grünen übernehmen eine Scharnierfunktion im Parteiensystem – eine Möglichkeit, die es für die Partei schon immer gab. Dies würde bedeuten: ‚Wir machen unsere eigene Programmatik. Und je nachdem, wie die Inhalte stimmen, je nachdem, wer den höheren Preis zahlt, fällt die Koalition aus.‘ In Hessen sieht man das ja schon.

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Bisher haben sich Große Koalitionen nicht nur auf die Opposition, sondern auch auf das Parteiensystem und die Gesellschaft ausgewirkt: In den Sechzigern entstand unter ähnlichen Bedingungen die Außerparlamentarische Opposition (APO), 2009 wurden die kleinen Parteien stärker. Was passiert nach 2013?

2013 ist eine dramatische Zäsur für unser Parteiensystem. Die Bundestagswahl hat den Schlusspunkt einer negativen Entwicklung der FDP markiert. Sie wird einen personellen und inhaltlichen Neustart versuchen. Die Alternative für Deutschland hat es zwar nicht in den Bundestag geschafft, wird aber gerade auch bei der Europawahl 2014 präsent sein, wo keine Fünf-Prozent-Hürde gilt. Das AfD-Thema Euro-Rettung wird bei den Wahlen zum Europaparlament stärker im Mittelpunkt stehen. Die Partei hat also gute Chancen, Abgeordnete nach Brüssel zu schicken.

In einer Großen Koalition könnte das konservative Profil der Union weiter geschliffen werden. Könnte die AfD davon profitieren und sich auch über die Europawahlen hinaus etablieren?

Die Alternative für Deutschland positioniert sich immer stärker als national-konservative Alternative zur Union. Behält die AfD diesen Kurs bei, hat sie durchaus Chancen, sich zu etablieren.  Dann hätten wir auf der rechten Seite des politischen Spektrums das, was wir mit der Abspaltung der WASG von der SPD im Linken hatten: Wir hätten auf der konservativen Seite eine Wettbewerbspartei, die strukturell der Union Schwierigkeiten bereiten könnte.

Sie hat sich aber auch als als wirtschaftsliberale Alternative zur FDP angeboten. Wenn es die AfD nicht gegeben hätte, das kann man so sagen, wenn man sich die Wählerwanderung ansieht, wäre die FDP noch im Bundestag. Die AfD hat auf Dauer nur eine Chance, wenn sie sich für die Bürgerinnen und Bürger glaubhaft vom rechten Rand abgrenzen kann.

Die Partei hat im rechtsliberalen Milieu der FDP erfolgreich Stimmen abgefischt. Könnte die FDP nun versuchen, sich neue Gewässer zu suchen? Linksliberal zu werden?

Die Möglichkeit besteht – gerade mit Christian Lindner. Er war ja der Einzige, der versucht hat, der FDP das Grundgerüst eines neuen theoretischen Gedankens zu geben: den mitfühlenden Liberalismus. Man muss abwarten, ob das in unserem Parteiensystem noch verfängt. Denn das Problem der FDP ist ja gerade,  dass viele Versatzstücke des liberalen Gedankens in anderen Parteien bereits repräsentiert sind.

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