- Facebook ist der bessere Geheimdienst
Der BND plant eine groß angelegte technische Modernisierung zur detaillierten und schnelleren Auswertung von Nutzerdaten aus sozialen Netzwerken. Vor allem in der Opposition sorgen die Pläne für Widerstand. Dabei geben die Nutzer von Facebook, Twitter und Co. längst ihre Geheimnisse freiwillig preis
Von Helmut Schmidt stammt der Ausspruch, statt der vielen geheim gestempelten Berichte, die ihm die westdeutschen Auslandsspione vom Bundesnachrichtendienst tagtäglich ins Kanzleramt schickten, lese er lieber gleich die Neue Zürcher Zeitung, aus der sie abgeschrieben hätten. Schmidt hielt die damals noch im bayrischen Pullach angesiedelte Geheimtruppe für entbehrlich. Abschaffen mochte aber auch er sie nicht.
Jetzt lasen wir am Wochenende die Schreckensnachricht, dass eben dieser BND nicht mehr nur aus Zeitungen abschreiben, sondern auch in die so genannten „sozialen Netzwerke“ wie Twitter und Facebook eindringen will. Mitlesen und mitschneiden wollten die Spione, was Hinz und Kunz und Krethi und Plethi einander mitzuteilen haben, hieß es. Und zwar in „Echtzeit“ während die Plaudertaschen online sind. Dafür müsse der Dienst aber digital aufrüsten und verlange daher vom Bundestag für neue Software und Spähprogramme insgesamt 300 Millionen Euro extra.
Riecht das nicht gleich nach NSA und ganz großer Verschwörung? BND schnüffelt die Facebook- und Twitter-Gemeinde aus! Und will dafür noch Geld vom Steuerzahler! Unerhört. Der für Verschwörungstheorien aller Art stets zuständige Christian Ströbele von den Grünen war sofort zur Stelle und überhaupt nicht überrascht, dass der BND seine Kapazitäten ausbauen will „gerade in dem Bereich, den wir bei der NSA und dem NSA-Skandal immer wieder kritisiert haben.“ Im Deutschlandfunk wurde die Frage erörtert, ob man nun neben dem NSA- auch noch einen BND-Untersuchungsausschuss braucht. Auch im Netz breitete sich Unruhe aus. Haben wir da etwa schon wieder einen neuen Skandal?
Privatsphäre in Eigenregie
Geheimdienste interessieren sich bekanntlich für alles. Geheimnisse aufzudecken, ist ihr Auftrag. Und solange sie nur mitlesen und aufzeichnen, was die Bewohner und Nutzer des Internets via Facebook und Twitter einander freiwillig offenbaren, tun sie nichts Unrechtes. Nicht die Geheimdienste sind in diesem Fall das Problem, sondern die offenherzigen Nutzer des World Wide Web.
Ein früherer Stasioffizier wurde von einem Interviewer gefragt, was ihm heute, wäre er noch aktiv in seinem Gewerbe, fehlen würde. Er antwortete mit entwaffnender Offenheit: „Was soll da noch fehlen? Es ist ja alles da.“ Facebook sei dank. Mehr Datenspeicherung geht nicht. Zur Überwachung braucht man heute gar keine Geheimdienste mehr. Wir überwachen uns selbst.
Wer ohne Not wildfremden Menschen mitteilt, welche Bücher er liest, welche Reisen er plant und was ihn tagtäglich beschäftigt, der muss sich nicht wundern, wenn nicht nur die Werbewirtschaft aus seinen Vorlieben und Leidenschaften Profile erarbeitet, um den Konsum zu erhöhen, sondern auch die Geheimdienste mitlesen. Diskretion gibt es nicht in den sozialen Netzen. Wer sich ihnen anvertraut, verzichtet auf das vom Grundgesetz geschützte Post- und Fernmeldegeheimnis.
Angeblich geht es dem BND – seinem Auftrag gemäß – selbstverständlich nicht um Informationen, die im Inland ausgetauscht werden, sondern ausschließlich um solche, die außerhalb der Republik weltweit online anfallen. Das allerdings wirft die interessante Frage auf, wie man im globalen Netz zwischen Inland und Ausland unterscheiden will. Insofern lohnt es sich also schon, sehr genau hinzuschauen, was der Bundesnachrichtendienst mit den 300 Millionen Euro anstellen will, die er jetzt vom Parlament für die „digitale Aufrüstung“ verlangt. Vielleicht wäre es billiger und auch ergiebiger, sich ein gutes Zeitungsarchiv zuzulegen oder auch in Zukunft lieber gleich die Neue Zürcher Zeitung zu abonnieren.
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