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Abgeordnetendiäten - Angst vor dem Sturm der Entrüstung

Bundestagspräsident Norbert Lammert will den Abgeordneten eine angemessene Bezahlung ermöglichen und gleichzeitig sicherstellen, dass sie für die Erhöhung ihrer Diäten nicht öffentlich verprügelt werden – aber beides geht nicht

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Hartmut Palmer ist politischer Autor und Journalist. Er lebt und arbeitet in Bonn und in Berlin.

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Der Testballon, den Bundestagspräsident Norbert Lammert in der Osterpause hat aufsteigen lassen, ist schneller geplatzt, als er selbst es vorhergesagt hatte. Sein Vorschlag, der noch amtierende Bundestag solle schon vor der Wahl die von einer Kommission ausgearbeiteten Grundsätze übernehmen, nach denen die Abgeordneten der kommenden Legislaturperioden bezahlt werden, wurde umgehend von Michael Grosse-Bröme zurückgewiesen – und man darf unterstellen, dass der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion dies nicht ohne Rückendeckung seines Chefs Volker Kauder getan hat. Die Entscheidung über ihre Diäten solle man lieber den künftigen Abgeordneten überlassen, sagte der Fraktionsmanager, der Sachverhalt sei zu komplex, um vor der Wahl entschieden zu werden.

Das ist barer Unsinn. Die Abgeordneten wissen genau, über was sie entscheiden sollen, schließlich geht es um ihr Geld. Nicht die „Komplexität der Sache“ schreckt die Führung der Unionsfraktion, sondern die Angst vor dem Wähler. Sie befürchtet – wahrscheinlich zu Recht – dass die von Lammert befürwortete Reform der Politiker-Bezahlung, die im Prinzip auf eine stufenweise, aber im Ergebnis sehr beachtliche Erhöhung der Diäten hinausliefe,  im Wahljahr einen nicht mehr beherrschbaren Sturm der Entrüstung auslösen würde. Und es stimmt ja auch: Wenn es ums Geld der Politiker im allgemeinen geht, oder auch nur um die einfache Frage, ob ein Sparkassendirektor mehr verdienen darf als die Bundeskanzlerin, reagiert die veröffentlichte Meinung hierzulande hysterisch. Dass Politiker ihre Bezüge selbst festlegen, gilt als unappetitliche Bereicherung und wird entsprechend skandalisiert.

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Allerdings ignorieren die meisten Kommentatoren, die sich darüber in schöner Regelmäßigkeit empören, dass das von ihnen kritisierte Ärgernis unausweichlich, weil vom Grundgesetz vorgeschrieben ist. Dort steht nämlich geschrieben, dass die finanzielle Entschädigung der Abgeordneten deren Unabhängigkeit sicherstellen soll, die genaue Höhe dieser Entschädigung aber per Gesetz von den Abgeordneten selbst festgelegt werden muss. Die angebliche Selbstbegünstigung ist also ein Verfassungsgebot. Und das Bundesverfassungsgericht hat dieses Gebot im Jahr 1975 nicht nur bestätigt, sondern bekräftigt: Keine Instanz – weder der Bundespräsident noch der Bundestagspräsident noch irgendeine überparteiliche Kommission oder sonst irgendein Gremium – dürfe dem Bundestag die Entscheidung über die Höhe der Diäten abnehmen. Er müsse sie selbst treffen und öffentlich verantworten. Gerade weil er aber verpflichtet sei, in eigener Sache zu entscheiden, müsse sein Handeln nachvollziehbar und transparent sein. Mit anderen Worten: Es kann die Besoldung der Parlamentarier nur Sache der Parlamentarier sein.

Dieser Verfassungsgrundsatz gilt – ob man ihn für richtig oder falsch hält – immer noch. Aber nachdem er vor nunmehr bald 38 Jahren bekräftigt wurde, haben sich nahezu alle seitdem amtierende Bundestagspräsidenten (egal welcher Couleur) bemüht, dem unausweichlichen Dilemma zu entkommen: Mit immer neuen Tricks versuchten sie, einerseits eine angemessene Bezahlung der Parlamentarier sicherzustellen, andererseits aber dafür zu sorgen, dass die Abgeordneten für die Erhöhung der Diäten nicht verprügelt werden. Dies konnte so wenig gelingen wie die Quadratur des Kreises.

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Auch Norbert Lammert hat sich daran versucht. Die von ihm eingesetzte „Unabhängige Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts“, der einige ehemalige Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Verfassungsrichter und Gewerkschafter angehören und deren Vorsitzender der frühere FDP-Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig ist, hat jetzt Vorschläge gemacht, wie der Bundestag dem ständigen Vorwurf der Selbstbereicherung entkommen und trotzdem die Bezüge der Abgeordneten erhöhen kann.

Grob vereinfacht laufen sie darauf hinaus, die Diäten – zur Zeit sind es 8252 Euro – künftig so zu erhöhen, dass sie dem Gehalt eines Bundesrichters der Besoldungsgruppe R 6 oder R 7 entsprechen. Der verdient derzeit 8520 Euro im Monat, ab August werden es 8726 Euro sein. Verheiratete Richter bekommen einen Familienzuschlag von 124 Euro, der nach Meinung der Kommission bei der Berechnung der Diäten ebenfalls berücksichtigt werden soll. Die monatliche steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 4123 Euro, die dem Abgeordneten für Büro und Mitarbeiter ausgezahlt wird, soll davon unberührt bleiben.

Nun könnte man fragen: Warum koppeln die Parlamentarier ihre Bezüge nicht einfach automatisch an die Richterbezüge? Wäre das nicht die einfachste Lösung? Richter sind angesehene Leute, ihre Bezüge stellt niemand in Frage. Wenn die Abgeordneten also eine solche Koppelung beschlössen, wären sie den Ärger los. Die Antwort ist – siehe oben – ganz einfach: Es geht nicht, weil es verfassungswidrig wäre. 1995 hat der Bundestag schon einmal vergeblich versucht, in aller Heimlichkeit die Abgeordnetenbezüge an die Richtergehälter zu koppeln. Die Sache flog auf, weil ein paar Journalisten den drohenden Verfassungsbruch gerade noch rechtzeitig bemerkten. Die automatische Ankoppelung verschwand in der Versenkung. Stattdessen war nur noch von den Richtergehältern die Rede, an denen sich die Diäten „orientieren“ sollten.  

Auch die neue Kommission hat sich an dieses Gebot gehalten. Entgegen anderslautenden Meldungen, ist eine automatische Ankoppelung der Diäten an die Richterbezüge eben nicht vorgesehen. Denn ein solcher Mechanismus würde dazu führen, dass die Höhe der Diäten verschleiert wird. Die Abgeordneten könnten sich hinter den Richtern verstecken und darauf hoffen, dass niemand es merkt. Sie müssen auch künftig Zahlen nennen. Das Richtergehalt soll nach den neuen Vorschlägen allerdings nur die Ausgangsbasis sein. Weitere Erhöhungen sollen sich dann an der allgemeinen Entwicklung der Löhne und Gehälter „orientieren“. Auch hier vermied die Jortzig-Kommission aus gutem Grund das Wort „ankoppeln“.

Sonderlich neu ist das alles nicht. Schon 1995 hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das im Prinzip auf dasselbe hinausläuft: Einmal zu Beginn jeder Legislaturperiode sollten die Abgeordneten ihre Bezüge für vier Jahre im Voraus festlegen und sich dabei ebenfalls an der Richterbesoldung „orientieren“. Das ist geltendes Recht. Das Problem ist nur: Aus Angst vor der Wut der Wähler haben sich die Parlamentarier bisher nicht getraut, ihre Bezüge an die der Richter an einem obersten Bundesgericht anzugleichen. Sie waren zu feige – und sind es, wie die Reaktion des Fraktionsgeschäftsführers Grosse-Bröme zeigt, immer noch. Und genau das ist der Kern des Problems. Solange es die Abgeordneten nicht schaffen, die Notwendigkeit einer angemessenen Bezahlung nachvollziehbar und transparent zu begründen, wird man ihnen die von der Verfassung auferlegte Pflicht, sich selbst zu begünstigen, öffentlich übel nehmen. Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein könnte nicht schaden.

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