Bewohner Aleppos fliehen vor den sunnitischen Aufständischen, die von der Türkei unterstützt werden / dpa

Dschihadisten gegen Assad - Was in Syrien auf dem Spiel steht

Mit ihrer Unterstützung syrischer Aufständischer hat die Türkei den Konflikt in Syrien wieder aufflammen lassen. Mit den Folgen könnte sich die Türkei allerdings übernommen haben.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Syrien ist wieder einmal zum Gravitationszentrum beim Kampf um die Vorherrschaft im Nahen Osten geworden. Mit Unterstützung der Türkei haben die sunnitischen Rebellen in Syrien in den vergangenen Tagen große Erfolge gegen das Assad-Regime und seinen wichtigsten Förderer, den Iran, erzielt. Doch der Iran hat immer noch Möglichkeiten, dem türkischen Vorgehen entgegenzuwirken. Und Russland, das aufgrund seines Krieges gegen die Ukraine nur begrenzt in der Lage ist, das Assad-Regime zu unterstützen, ist nach wie vor ein wichtiger Akteur, vor allem in Bezug auf seine Luftstreitkräfte. Obwohl die Vereinigten Staaten durch ihre Unterstützung der kurdischen Separatisten, die ein bedeutendes Gebiet in Ostsyrien kontrollieren, weiterhin Einfluss im Land haben, hat Washington nach dem Führungswechsel keine klare Politik gegenüber der Region mehr. Kurz gesagt: Das Wiederaufleben der syrischen Rebellion ist für alle Beteiligten gefährlich – und von niemandem zu kontrollieren.

Die Türkei hat den Konflikt eskaliert, nachdem Israel dem wichtigsten Stellvertreter Irans, der Hisbollah, einen noch nie dagewesenen Schaden zugefügt und damit die Fähigkeit Teherans, das Assad-Regime wirksam zu unterstützen, eingeschränkt hat. Doch obwohl die Stellvertreter der Türkei weiter gegen die syrischen Regimetruppen vorrücken, bleiben die politischen, geografischen und ideologischen Spaltungen der Rebellen, die zu ihrer Niederlage 2016 beigetragen haben, ungelöst.

Die von der Türkei unterstützten Rebellen bestehen aus zwei losen Koalitionen, der dschihadistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Sham und der Syrischen Nationalarmee, die beide in Nordsyrien ansässig sind. Neben diesen Gruppen, die derzeit in die zentrale Region Hama vordringen, gibt es weitere Rebellengruppen, die südlich und südöstlich von Damaskus aktiv sind. Der türkische Außenminister erkannte die durch die Uneinigkeit der Rebellen auferlegten Grenzen an und bat seinen iranischen Amtskollegen bei einem Treffen vor einigen Tagen in Ankara um Unterstützung für Gespräche über eine Machtteilung zwischen dem Regime und den Rebellen.

Das Manöver hat die Türkei auch erneut in Konflikt mit Russland gebracht

Ein weiteres Problem für die Türkei ist, dass sie nicht nur einen Stellvertreterkrieg mit dem syrischen Regime führt, sondern auch einen direkten Konflikt mit der syrischen Kurdengruppe, den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF). Von den beiden Konflikten hat die Schwächung der SDF für Ankara die größere Priorität, da die Gruppe mit den kurdischen Rebellen in der Türkei, der Arbeiterpartei Kurdistans, verbunden ist. Erschwert wird diese Mission durch die Verbindung der SDF mit den Vereinigten Staaten. Die Türkei hofft, den designierten Präsidenten Donald Trump, der den Wunsch geäußert hat, die US-Streitkräfte aus Syrien abzuziehen, davon zu überzeugen, die Beziehungen der USA zu den SDF aufzulösen, wenn er ins Weiße Haus zurückkehrt, aber sie kann nicht sicher sein, dass dies gelingen wird.

Die Manöver der Türkei in Syrien haben Ankara auch erneut in Konflikt mit Russland gebracht, das das Assad-Regime unterstützt. Trotz ihrer engen Handelspartnerschaft wurden die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei bereits durch die Versuche der Türkei belastet, Russlands Schwäche im Schwarzmeerraum während des russisch-ukrainischen Krieges auszunutzen. Die Bemühungen der Türkei, insbesondere im Südkaukasus, sind Russlands Aufmerksamkeit nicht entgangen.

Auch der „Islamische Staat“ (IS) hat sich in Syrien neu formiert

Israel, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Vereinigten Staaten teilen den Wunsch der Türkei, den iranischen Einfluss in der Levante und – wenn möglich – im Irak zurückzudrängen. Wichtig ist jedoch, dass sie den Zusammenbruch des Assad-Regimes vermeiden möchten. Was sie ganz sicher nicht wollen, ist eine Schwächung des schiitischen Radikalismus in Syrien auf Kosten einer Stärkung der sunnitischen Islamisten. Auch der „Islamische Staat“ (IS) hat sich zumindest im vorigen Jahr in Syrien neu formiert und mehrfach bewiesen, dass er in der Lage ist, das regionale Chaos für seine Zwecke zu nutzen. Sollte sich der IS den Rebellen anschließen, würde dies die Ungunst der erneuten Rebellion nur noch vergrößern. Außerdem könnten Israel und die USA zwar damit leben, dass die Türkei den Iran als dominierende Macht im nördlichen Nahen Osten ablöst, doch die Saudis und die Emirate wollen den Iran nicht loswerden, nur damit die Türkei als Hegemon der arabischen Welt zurückkehrt.

In Anbetracht dieser Risiken wird die Türkei in Syrien vorsichtig vorgehen müssen. Zumindest kann es sich die Türkei nicht leisten, sich gleichzeitig mit den USA und mit Russland anzulegen. Höchstwahrscheinlich versucht Ankara, seine Verhandlungsposition gegenüber dem Assad-Regime zu verbessern, das die türkischen Versöhnungsversuche zurückgewiesen hat. Der türkische Präsident Erdogan hofft auch, seine innenpolitische Position zu stärken, die in den vergangenen Jahren geschwächt wurde. Doch selbst wenn die Türkei nicht die Absicht hat, das Assad-Regime zu stürzen, liegt das Ergebnis außerhalb ihrer Kontrolle. Der syrische Kriegsschauplatz wird noch lange Zeit chaotisch sein – und die Türkei hat sich möglicherweise mehr vorgenommen, als sie verdauen kann.

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Ernst-Günther Konrad | Fr., 6. Dezember 2024 - 13:43

Was sagen die Europäer dazu? Ein NATO Land zündelt in einem anderen Land und provoziert einen Krieg. Als ob es in der Region nicht schon genug Auseinandersetzungen gibt. Die Türkei hofft auf diese Weise sich des kurdischen Problems entledigen zu können und irrt sich ein weiteres Mal. Es bleibt zu hoffen, das Trump die Türkei zurück pfeifen kann, denn Biden merkt ja eh nichts mehr.

verfolg ihr großes Ziel mit "kleinen" verdeckten Schritten: Großosmanisches Reich!
Erdogan hat es selbst formuliert:
“Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.”
Die Erdogan-Türkei gehört aus der NATO ausgeschlossen. In unserem Land darf keine Türkische Wahl mehr stattfinden. Wer bei uns für Diktator Erdogan demonstriert oder Werbung für Islamisten und Erdogan macht: ausweisen und deutsche Staatsbürgerschaft entziehen. DAS muss sofort nach der Wahl mit der neuen (wirklich) konservativen Regierung passieren. Dafür muss jetzt Söder (CSU) als Kanzlerkandidat aufgestellt werden, denn Merz ist mit seinen Äußerungen (er kann sich Habeck als Wirtschaftsminister bei einer Schwarz-Roten Koalition vorstellen) nicht mehr wählbar! War der zugekifft, oder ist der verrückt geworden?
Ein "weiter so" darf es nicht geben!

Jochen Rollwagen | Fr., 6. Dezember 2024 - 14:20

Erdogan sieht an seiner Nordgrenze, wie Rußland nicht mehr in der Lage ist, den Laden in Georgien zusammenzuhalten.

Erdogan sieht im Schwarzen Meer, wie Rußland nicht mehr in der Lage ist, selbst vor der eigenen Haustür Stärke zu projezieren und wie die russische Schwarzmeer-Flotte von der Ukraine zusammen geschossen wird (heute wieder erfolgreicher ukrainischer Drohnen-Angriff auf die Krim).

Erdogan sieht in der Ukraine, wie Rußland von einem Desaster zum Nächsten irrlichtert.

Erdogan kann und will nicht warten, bis der Laden an seiner - äußerst prekären - Südgrenze zu Syrien auch noch auseinander fliegt, weil Rußland auch in Syrien fertig hat.

Daß der Westen das alles nicht sehen will ist nicht das Problem von Erdogan.

Sven G. | Sa., 7. Dezember 2024 - 14:54

Antwort auf von Jochen Rollwagen

Nicht direkt zum Thema.

Dieser Kommentierende braucht umgehend Hilfe. Egal um was es geht: Politik, Küchenrezepte, Pinguine, Frauenmedizin, … „Putin wars!“.

Er - versucht mit seinen sich ständig wiederholenden Losungen und offensichtlichen Phobien - jeden Artikel im Cicero - durch seine aggressiven einseitigen sich ständig wiederholenden(!) Kommentare zum Russen-hass-text umzudeuten!

Diesem Mann muss geholfen werden!
Bevor er sich von innen im substituierten Hass (Selbsthass?) zerfrisst!

PS.
Was haben Ihre Vorfahren zwischen 33-45 gemacht? So mal für die Anamnese …

Christoph Kuhlmann | Fr., 6. Dezember 2024 - 15:39

Die Versuche pro türkische Milizen, die von den Kurden abgewehrt wurden mit Artillerie zu unterstützen könne eventuell amerikanische Luftangriffe nach sich ziehen. Die Türkei ist also gut beraten keine regulären Truppen einzusetzen. Noch regiert Biden, aber ich denke beide Seiten sind daran interessiert sein, den Beschuss von Nato Partnern zu vermeiden. Die Rebellen rücken schnell vor. Alles was Assad noch retten kann, sind die zum Beispiel die Truppen des Irak, die habe etwas angekündigt. Ob sie es umsetzen ist eine andere Frage. Dort gibt es ja auch weitere Proxys des Iran. Möglicherweise werden sich die Kurden weiter Gebiete Syriens holen, Sie rücken jedenfalls vor und man vereinbart die Aufgabe einiger Territorien an der Grenze zur Türkei.

Ein Ziel von Erdogan wird wohl auch sein, syrische Asylanten
wieder aus der Türkei zu bringen mit möglichst sanften Mitteln
und aus eigenem Antrieb. Dieser Aspekt wäre wohl vernünftig,
ob er gelingt, ist fraglich.

Bei den vielen Playern in dem seit Jahren schwelenden Konflikt
wollen wir nur hoffen, dass unser Schnatterinchen sich nicht auch
hier noch einmischt und ihre unsinnige feministische Außenpolitik
durchsetzen will. Auf diesen Aspekt haben die Akteure sicher ganz
große Lust.

MfG