Moritz Gathmann
Moritz Gathmann in Charkiw / Moritz Gathmann

Abendpost aus der Ukraine - Kein Friedensschluss um jeden Preis

Cicero-Chefreporter Moritz Gathmann war über eine Woche in der Ukraine unterwegs, zuletzt in der Stadt Charkiw. Aus dem Zentrum der Millionenstadt meldet er sich mit einem Videobeitrag. Charkiw scheint sicher, seit die Ukrainer Putins Truppen in Richtung russisch-ukrainischer Grenze vertrieben haben. Aber wie soll normales Leben in dieser Stadt wieder möglich sein, wenn die Grenze nur 35 Kilometer entfernt liegt?

Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Die Millionenstadt Charkiw, ganz im Osten der Ukraine gelegen, stand zweieinhalb Monate unter heftigem russischem Beschuss: Die russische Armee, die in den ersten Kriegstagen bis an die Stadtgrenze vorgedrungen war, beschoss die nördlichen Stadtbezirke mit Mehrfachraketenwerfern und Artillerie. Dort sind ganze Stadtviertel verwüstet und unbewohnbar geworden. Auch im Stadtzentrum gibt es Zerstörungen.

 

Moritz Gathmanns Abendpost aus der Ukraine:

 

Inzwischen ist die Lage etwas ruhiger geworden, weil die ukrainischen Truppen die Russen in Richtung Grenze abgedrängt haben. Aber tausende Menschen wohnen noch immer in den U-Bahnhöfen der Stadt oder in den Kellern der zerstörten Häuser. Denn welche Sicherheit bietet der Abzug der russischen Truppen wirklich? Die russische Grenze ist nur 35 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt  Russland kann aus Haubitzen und mit Raketen weiter die Stadt treffen.

Von einem Friedensschluss um jeden Preis halten die Menschen in Charkiw deshalb wenig.

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Christoph Kuhlmann | Mi., 11. Mai 2022 - 19:36

Allerdings werden wir irgendwann zu dem Punkt kommen an dem wir die Frage stellen, was kostet uns dieser Krieg. Das wird nämlich noch sehr teuer. Die Ukraine wieder aufbauen, bis sie der EU beitreten kann usw. Da sind erstmal ein par Milliarden Waffenhilfe die billigere Lösung. Vielleicht ruft der Einmarsch auf russisches Territorium Putin zur Besinnung, vielleicht ruft er den großen vaterländischen Krieg aus. Wobei das Volk murren wird und die Armee? Sie murrt nicht, sie schießt, fragt sich nur auf wen. Für wen arbeitet die Zeit? Für die Ukraine, die EU oder für Russland? Für Putin mit Sicherheit nicht.

Urban Will | Mi., 11. Mai 2022 - 19:50

jeden Preis“ geht.
Das wichtigste für die Ukraine wird sein, als Staat weiter existieren zu können und diesen Preis werden sie auch nicht mehr bezahlen müssen.
Die Frage ist, in welchen Grenzen sie weiter existieren wird und wie unabhängig sie ihre Souveränität wird ausüben können.
Sollte dieser Krieg noch länger dauern, dann werden aufgrund der Fakten, die Russland in den besetzen Gebieten schafft, diese Gebiete auf jeden Fall verloren sein. Sollte die Ukraine, ausgestattet mit immer mehr Waffen, diese zurück erobern wollen, wird sie quasi Angreifer im eigenen Land und die Russen dann in der „komfortableren“ Verteidiger – Position sein. Das klingt zynisch, aber Fakten sind Fakten.
Im stillen Kämmerlein wird kein ukr. Politiker daran glauben, dass die Krim u einige andere Gebiete zurückkommen werden. Ebenso wie kein russ. Politiker, Putin eingeschlossen, noch glauben wird, die ganze Ukraine unterwerfen zu können.
Stellt sich d Frage, wer als erster aus seiner mentalen Burg tritt.

Deswegen war ich schon vor dem Krieg für einen neuen Grenzverlauf zwischen UA & RUS, da die westliche Welt nach 1990 versagt hatte.

1. RUS nach EU zu binden, auch bei Problemen. Aber immer mit KLAREN Ansagen!
2. RUS mehr die westlichen (wirklichen Werte! Aber will man dies bzw. hat man Interesse daran? Nicht einmal in D.) Vorteile gegenüber dem CHN Modell darzulegen.

Und trotz meines Glaubens (aber immer mit vielen Zweifeln) fand ich die Losung von Pfarrer Schorlemmer (in Dresden Weinbergkirche Pfarrer Wonneberger) für zu einfältig gestrickt. Ich habe nie Spiele trotz Selbstausgrenzung mit "schießen" mitgespielt, aber ich war für Schwert & Schild, solange es auch einen anderen mit Schwert & Schild gibt. Und deshalb ist mir auch Helmut Schmidt wegen seiner Art & Weise bei "Flut & den Raketen" ein aufrechter Gesell.

Und vor allem sah ich mich p. durch die Panzer der RUS in HUN & CSSR in meiner Ansicht bestätigt. "So willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein".

Ihre Haltung ist mir sehr sympathisch. Von heute aus gesehen ist die "Friedlichkeit" der "Revolution" von 1989 zwar erfolgreich gewesen, aber es war leider wohl doch nur eine historische Ausnahmesituation. Das Nationalgefühl ist damals nicht in den offenen Nationalismus und in offenen Hass auf die Besatzer umgeschlagen. Ich glaube auch, dass wir damals fast überall auf der Welt noch "bessere" Politiker am Werk waren, die den 2. Weltkrieg nicht vergessen hatten und deshalb letztlich doch am Nicht-Krieg interessiert waren.

Das hat sich verändert. Und deshalb glaube ich inzwischen auch, dass wir unsere nationale Verteidigungsfähigkeit (Zivilschutz, Katastrophenschutz, relative Autarkie, Wehrpflicht usw.) wieder herstellen müssen, nach Lage der Dinge in enger Zusammenarbeit mit Frankreich.

Kann unsere jetzige politische Elite diese schwere Aufgabe bewältigen?

Im Alter werde ich so dazu gezwungen, Luthers politische Positionen zu Krieg, Friede und Staat neu zu verstehen.

Bernd Windisch | Mi., 11. Mai 2022 - 19:54

Was bedeutet dies. Wann ist der Kampf zu Ende? Wenn die Krim befreit ist? Echt jetzt?

Das ukrainische Volk sollte gefragt werden für was es sterben möchte und für was nicht.

Die allermeisten von ihnen können nicht mal eben zurück nach Deutschland fahren, wenn das mediale Interesse erloschen ist.

Bernhard Homa | Mi., 11. Mai 2022 - 20:16

und auch wenn ich nicht alle Ihre Einschätzungen teile: vielen Dank für die Berichterstattung vor Ort

Tomas Poth | Mi., 11. Mai 2022 - 22:04

Zurückgedrängt oder einfach nur abgezogen?
Ist aber egal, Hauptsache das Leben der Menschen normalisiert sich wieder ein bißchen.
Friedensschluß um jeden Preis oder Kriegsverlängerung um jeden Preis?
Das ist eine Entscheidung die die Ukrainer treffen müssen, wenn man Ihnen die Entscheidung überläßt? Damit meine ich das Volk und nicht das Oligarchen-Regime mit der Marionette Selenskiy!!

Kai Hügle | Do., 12. Mai 2022 - 06:02

Antwort auf von Tomas Poth

Wie die meisten Ciceronen pflegen Sie Ihre Aussagen nicht zu belegen. Mich würde interessieren, auf welcher Grundlage Sie Selenskiy als "Marionette" eines "Oligarchen-Regimes" bezeichnen.
Wie praktisch alle Transformationsgellschaften in Osteuropa weist auch die Ukraine Demokratiedefizte auf. Auf dem Demokratieindex 2021 des "Economist" rangiert die Ukraine auf Platz 86, Russland auf Platz 124.
Auch auf dem Korruptionsindex CPI ("Transparency International" ) schneidet Russland (Platz 129) 2020 noch schlechter ab als die Ukraine (Platz 117). Falls das also ein Argument für irgendwas sein sollte: es funktioniert nicht.
Die russischen Angreifer haben sich nach schweren Verlusten aus dem Norden der Ukraine zurückgezogen und nun auch aus Charkiw. Wenn Sie suggerieren, dass die Soldaten möglicherweise einfach so "abgezogen" sind, so stützt das vielleicht Ihren Glauben an die Stärke der russischen Armee, mit der Realität hat das aber wenig zu tun.

Hans Schäfer | Do., 12. Mai 2022 - 12:08

Antwort auf von Kai Hügle

pflegen Ihre Aussagen NICHT zu belegen?

Ihren weiteren Ausführungen nach, doch wohl nur die sogen. Putin Versteher!

Die Kriegsbefürworter -wer weitere totbringende Waffen fordert, ist es in meinen Augen- können natürlich alles belegen.

Allerdings muss ich gestehen, ich höre mir die Nachrichten in den staatssubventionierten Medien nicht an und lese sie auch bei T-Online nicht. Sie „behaupten“ zwar, dass alles objektiv, den Tatsachen entspricht. Nachgeprüft haben sie es aber nicht, weil das meiste aus den Weltnachrichten in Wort u. Bild "ungeprüft" übernommen wurde.
Immer mal wieder aufkommende Propagandavorwürfe und eine einseitige Berichterstattung sind
an den Haaren herbeigezogen. Journalisten berichten
"immer" objektiv/wahrheitsgemäß.

Frage: Raten Sie mir, künftig die Nachrichten anzuhören, weil ich dann wahrheitsgemäß, beide Seite abdeckend, objektiv informiert bin? Gehöre ich dann zu den Ciceronen, die ihre Aussage in ihren Komm. belegen können?

Herr Poth hatte im Zusammenhang mit Corona mehrfach auf eine Studie des Leibniz-Instituts verwiesen, die exakt das Gegenteil dessen belegt, was er behauptete. Von daher ist bei ihm Skepsis angebracht, wenn er en passant die demokratische Legitimation eines gewählten Präsidenten in Frage stellt.
Sie können sich informieren, wo und wie Sie wollen, aber besonders abstruse „Erkenntnisse“ sollte man belegen, damit man überprüfen kann, woher sie stammen.
Die Beendigung des Krieges liegt allein in den Händen des Aggressors. Putin hat die Ukraine überfallen, mit einer Begründung, die derart absurd ist, dass es jeder Beschreibung spottet.
Seit gut zwei Monaten warte ich darauf, dass die Damen und Herren Wallau, Poth, Will, Bühler, Rollwagen usw. Putin aufrufen, die Kampfhandlungen einzustellen und sich nach Russland zurückzuziehen. Stattdessen werden die Ukrainer und diejenigen, die sie unterstützen als „Kriegstreiber“ bezeichnet. Woher kommt dieser Irrsinn?!

Gisela Hachenberg | Mi., 11. Mai 2022 - 23:14

Hallo Herr Gathmann, Ihr sehr bewegender Bericht aus Charkiw. Man merkt Ihnen wieder an, wie sehr Sie die Situation mitnimmt! Die bisherigen Kommentare der üblichen Foristen wie immer!
Ich mag sie nicht mehr kommentieren. Es lohnt sich nicht! Ich frage mich nur, warum sie Ihre Berichte noch lesen oder in diesem Fall noch hören?
Ich wünsche Ihnen eine gute und sichere Heimfahrt. Danke für Ihre aufschlussreichen und informativen Berichte, lieber Herr Gathmann!

Herr Gathmann fühlt sich zur objektiven Berichterstattung verpflichtet, obwohl er - ebenso wie ich - sein gutes Recht wahrnimmt, eine eigene politische Meinung zu haben. Das schätze ich sehr an ihm, obwohl ich seine politische Meinung nicht teile. Ich lese daher seine Berichte regelmäßig und kann mich mit gutem Gewissen Ihrem Dank und Ihren guten Wünschen an Herrn Gathmann anschließen.

Ich halte den Beruf des Journalisten für unverzichtbar in jedem Land mit demokratischem Anspruch. In einer Demokratie wäre es wünschenswert, wenn die unterschiedlichen politischen Akteure sich auf ein einheitliches, realistisches Bild der Wirklichkeit stützen könnten.

Ein solches tendenziell objektives Bild können nur Journalisten liefern, die ihren Beruf ernst nehmen. Sonst würden politische Entscheidungen nur noch auf meinungsgesteuerten Fake-News der beteiligten Interessengruppen beruhen. Eine Kommunikation zwischen politischen Gegnern wäre nicht mehr möglich. Diese macht aber die Demokratie aus.

Albert Schultheis | Do., 12. Mai 2022 - 00:26

Wer überzeugt davon ist, dass er trotz der Toten und der Zerstörung mit jedem Tag noch mehr gewinnen kann, der wird nicht verhandeln, will keinen Frieden, wird keinen Kompromiss anbieten! Wer sein Gesicht nicht verlieren darf vor seinem Volk, seiner Clique der Herrschenden, der darf auch den Krieg nicht verlieren, denn ein Führer ohne Kriegsglück, den will niemand. So wird es keinen Frieden geben. Zumal die da draußen auf Krieg gewettet haben, auf Sieg mit immer stärkeren, immer intelligenteren Waffen. Russland hat konventionell den Krieg bereits verloren - aber nicht die Ukraine hat gewonnen, sondern der Westen, die USA. Sie testen dort real life - real war - ihre neuesten Kreationen: die Stinger, die Drohnen und liefern die branntheißen Geo-Koordinaten von Befehlsständen, Panzern und Schiffen. Der alte Krieg der teuren Hardware ist gegen die neuen Waffen der Software nicht mehr zu gewinnen. Wir sind längst im 3. Weltkrieg - nur die heiße, die atomare Phase hat noch nicht begonnen ...

Gerhard Lenz | Do., 12. Mai 2022 - 10:00

Die Ukraine will also nicht einfach klein beigeben? Und schlägt damit den Sachverstand der Mehrheit des Cicero-Forums in den Wind?

Denn dieser Wind weht in eine eindeutige Richtung. In den letzten Tagen und Wochen versucht eine Putin-begeisterte Anhängerschaft mit aller Macht ein "Feindbild Ukraine" zu zimmern. Wonach wir Deutsche (und andere Europäer)einer fanatisierten ukrainischen Staatsführung folgen (nebst, so lernt man diese Tagen, mysteriösen Hintermännern) und Frieden und Wohlstand aufs Spiel setzt.

Wo doch die Lösung so einfach ist: Die Ukraine muss nur bedingungslos kapitulieren! Was geht uns schon Mord, Verschleppung, Zerstörung in einem Staat an, der doch "sowieso" zu Putins Machtbereich gehört?

Umso entlarvender: Keiner der Halbpazifisten hat sich bislang dazu aufgerafft, etwa von den Russen zu verlangen, die Waffen niederzulegen.

Was natürlich auch wenig Sinn macht: Warum sollte Putin das tun?
Verhandlungen? Hat er doch gar nicht nötig...

Ronald Lehmann | Do., 12. Mai 2022 - 13:33

Antwort auf von Gerhard Lenz

Weil ich in dieser Frage, wer ist Kriegs-Schuldner & wie stehe ich õffentlich dazu, (glaube zum ersten richtigen Male), Herrn Lenz Recht geben muss.

Es wird viel zu wenig darüber gesagt, dazu gestanden:

Putin, du bist ein Kriegstreiber - Ich/Wir verurteilen deine Handlung, auch wenn es vor dem Krieg Gegebenheiten hat, die ich auch verurteile.

Aber egal ob RUS oder USA, jede Anklage muss wie im Zivilprozess glasklar getrennt werden.
Das eine entschuldigt nicht das andere, denn sonst kommen wir bei Adam & Eva an

Sündenfall bzw. wer warf den ersten Stein ?

Lösungsorientiert für alle Seiten, damit man sich wieder in die Augen schaut (ohne das der eine oder andere abschalten muss), hatte ich bereits meine Meinung in vielen Kommentaren geschrieben.

Jetzt liegt es in den Händen aller Führer der Nationen, welcher Erdenweg wir alle weiter beschreiten werden.

Hopp oder Topp, das ist die Frage, mit Gott vertrauen ?

Walter Bühler | Do., 12. Mai 2022 - 10:37

Herr Gathmann schreibt aus der Sicht jener nationalgesinnten Ukrainer, die sich durch den gegenwärtigen Präsidenten vertreten fühlen. Nach Wikipedia sprachen noch 2015 in Charkow 95 % der Bevölkerung im Alltag hauptsächlich Russisch, 85 % sogar ausschließlich.

Gathmann bezieht sich daher vermutlich nur auf einen Teil der Bevölkerung, wenn er schreibt: "Die russische Grenze ist nur 35 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt – Russland kann aus Haubitzen und mit Raketen weiter die Stadt treffen. Von einem Friedensschluss um jeden Preis halten 'die Menschen' in Charkiw deshalb wenig."

Ein Frieden ist nur denkbar, wenn russische Waffen viel weiter hinter die Grenze verlegt werden.

Ist das nicht eine exakte Spiegelung von Putins Forderung, dass die NATO einen Mindestabstand zur russischen Grenze respektieren müsse?

Friede zwischen Nachbarvölkern ist nur denkbar, wenn die Sicherheitsbedürfnisse aller Beteiligten respektiert werden, und wenn ALLE auf ethnische Säuberungen verzichten.

Werfen Sie der Ukraine ethnische Säuberungen vor? Können Sie das auch belegen - Russia Today und ähnliche Quellen dürfen Sie sich sparen.

Selbst wenn in Charkiw eine große Zahl Menschen mit Russisch als erster Sprache gelebt hat bzw. lebt, begründet das automatisch ein Mitspracherecht Putins?

Gilt das dann auch für die baltischen Staaten, in denen bekanntermassen in manchen Gegenden Russischsprachige überwiegen?

Sind "Sprachgrenzen" die neuen Staatsgrenzen?