01.10.2019, Katar, Doha: Leichtathletik, IAAF Weltmeisterschaft im Khalifa International Stadium: 200 Meter, Männer, Finale. Noah Lyles aus USA jubelt über den Sieg.
Am Rande der Erschöpfung: In Doha mussten einige Sportler vor der Hitze kapitulieren/ picture alliance

Leichtathletik-WM in Doha - Die verkauften Spiele

In Doha kämpfen Leichtathleten bei der WM vor leeren Zuschauerrängen unter unzumutbaren Bedingungen. Beim Marathon der Frauen mussten von 68 Starterinnen 30 ärztlich behandelt werden. Die Globalisierung hat eben doch Grenzen. Sportgeist und Euphorie lassen sich nicht einfach exportieren

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Fußballweltmeisterschaft des Jahres 2022 wird die erste sein, bei der man Glühwein trinkt und Lebkuchen isst. Zumindest hierzulande, wo im November und Dezember Weihnachtsmärkte sonder Zahl um Kundschaft buhlen. Wenn dann zeitgleich im Emirat Katar Millionäre und solche, die es werden wollen, gegen den Ball treten, wird auch der gutmütigste Fan kapieren, was die Stunde geschlagen hat. Spitzensport unter den Bedingungen der Globalisierung ist Sport als Kulissenschieberei und Imagepflege, ist Brachialökonomie auf dem Rücken der Athleten und der Fans. Die gerade in Katar stattfindende Leichtathletik-Weltmeisterschaft zeigt es überdeutlich: Der Sport verliert seine Seele, wenn er sie an den Teufel Mammon verkauft.

In Katars Hauptstadt Doha findet die WM statt, weil Katar das nötige Großgeld zu spendieren bereit war. Doha setzte sich gegen Austragungsorte in Spanien und den Vereinigten Staaten durch. Um welchen Preis aber? In einem Stadion, das 40.000 Menschen fasst, verlieren sich mitunter lediglich 3.000 Zuschauer. Obwohl dort mit gehörigem Aufwand kommode 25 Grad Celsius hergestellt werden. Draußen, jenseits der Klimaanlage, können es 15 Grad mehr sein – mit entsprechenden Kollateralschäden: Beim Marathon der Frauen mussten von 68 Starterinnen 30 ärztlich behandelt werden. Der ehemalige äthiopische Weltklasseläufer Haile Gebreselassie sagt zurecht: „Menschen, die bei solchen Wetterbedingungen laufen, hätten sterben können“.

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Dieter Hegger | Mi., 2. Oktober 2019 - 11:02

Da kommen unsere verwöhnten Jungs vom DFB endlich mal ins Schwitzen - für die Kohle die sonst Leistung frei kassieren ;-)

Ernst-Günther Konrad | Mi., 2. Oktober 2019 - 11:04

hört man allenthalben an den Stammtischen derer, die nicht gegen körperliche Fitness sind, sondern gegen den Kommerz, gegen die Geldgier, gegen das Geschäftsmodell der Sportoligarchen.
Wer die Unsummen beim Fußball hört, wer die Werbeverträge sieht, die manche Athleten abschließen müssen, damit ihre weniger kommerzialisierten Sportarten überhaupt wahrgenommen werden oder bereits gut verdienende Fußballer und andere noch reicher machen soll, wer nur die Hälfte, vielleicht sogar nur ein Drittel dessen glaubt, was da in den Hinterzimmern und den dunklen Kanälen der Sportfunktionäre passiert, der lehnt Sport ab. Immer höher, weiter, schneller muss alles sein. Wir leben nur noch im Anspruch der Superlative. Und was nicht ist kann durch Doping bestimmt "gefördert" werden. Auf der Strecke bleibt der Sportler, der ehrlich im Geiste des Sports seine Fähigkeiten testet, verbessern will und mit anderen fair messen will. Der Sport ist in Händen skrupelloser Krimineller, denen der Sport egal ist.

Klaus Funke | Mi., 2. Oktober 2019 - 16:32

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

Alles wunderbar zutreffend beschrieben, Herr Konrad. Sport ist Mord! sagte einst Winston Churchill und sog an seiner Zigarre. Der Profisport ist ein Geschäft. Weiter nichts. Die Mafia fällt mir ein. Schon unsere heimische Bundesliga könnte man mit der Cosa Nostra vergleichen. Spieler sind Waren, sie werden gewinnbringend verkauft. Für Katar hat nur das Geld und das Renommé eine Rolle gespielt. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen aus den Zuständen dort irgendetwas lernen. Die Fußball-WM ist schon jetzt ein Skandal. Klar, Beckenbauer ist einer der Paten. Deshalb schaue ich mir diese "Weltereignisse" gar nicht erst an. Ich kriege nur Wut. Apropos: Wo ist denn unser Allround-Kommentator, Herr Frühling? Hier wird er wohl nichts schreiben. Oder hat die AfD bei der Vergabe doch irgendwie die Hand im Spiele? Ist der Beckenbauer vielleicht Sympathisant? Wer weiß? Welche Rolle spielen unsere Medien bei der Berichterstattung aus Katar? Ich höre leider nichts oder nicht viel. Warum nur?

gabriele bondzio | Mi., 2. Oktober 2019 - 11:32

Hehre Ziele der Sportes werden schon lange unter der Hand verkauft. Die deprimierenden Bilder aus Doha zeigen die Auswirkung recht deutlich.
Der Marathon der Frauen, von Läuferinnen als «Massaker» und «kollektiver Selbstmord» beschrieben. Eher ein Fall von Versuchskaninchen im Namen des Kommerzes. Da selbst die Zuschauer es für unzumutbar halten, bei über 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 85%, sitzend dabei zu sein.
In Katar folgt eine WM auf die nächste und wenn mir einer erzählen will, dass dies auf optimale Bedingungen für die Teilnehmer zurückzuführen sei. Soll er mal schleunigst die leeren Ränge auffüllen.
Der Lockruf des Geldes ist unübersehbar.

Brigitte Simon | Mi., 2. Oktober 2019 - 11:52

Bei der Rückkehr Beckenbauers von seinen zahl-reichen Besuchen seiner Freunde und Gönner in
Katar wurde Beckenbauer auf die Menschen-
rechtsverletzungen der Arbeiter und der Bevöl-
kerung befragt. Seine Antwort: "Er sah niemand in Ketten".
Schlimmer und menschenverachtender
ist nicht möglich. Ob sich Beckenbauer noch
daran erinnern kann? Nur bei Bedarf.

Marius König | Mi., 2. Oktober 2019 - 11:56

Wunderbar geschrieben Herr Kissler.
Ich kann allem zustimmen.

Danke.

Heidemarie Heim | Mi., 2. Oktober 2019 - 15:06

So wie Beckenbauer und andere ehemalige Lichtgestalten des Sports. Ihr Pech scheinbar, das es dem Publikum von Brot und Spielen der Neuzeit entweder an Interesse fehlt oder wie in genannten Fällen eben nicht egal ist, ob die Wettkämpfenden tot oder gerade noch lebendig die Arena verlassen.
Ein einst edler olympischer Wettstreit, Fairplay in globalisierten und längst politisierten Sport-Wettbewerben existiert nur noch in den Köpfen von Romantikern wie wir alle längst wissen sollten! Und wie die früheren Gladiatoren werden unsere Spitzensportler von Seelenverkäufern in Funktionärsspitzen und Politik inzwischen natürlich ganz offen instrumentalisiert, inklusive Kollateralschäden und Doping. Was interessiert da noch irgend jemand ,was etwaiges Publikum, Umfeld und sonstige Bedingungen betrifft? Ergo, mit Korruptheit und dem nötigen Schmiermittel
überwindet man alle kulturellen wie naturgegebenen sportliche Grenzen! "Ave Imperator, morituri de salutant!" "Aut non." MfG