- Viel zu tun - und kein Geld
In seiner Rede zur Lage der Nation skizzierte der US-Präsident sein Programm für die kommenden vier Jahre. Barack Obama hat viel zu tun - aber gleichzeitig sind ihm wegen der dramatischen Finanzlage der USA die Hände gebunden. Was auch immer er vorhat, es darf nichts extra kosten. Wie realistisch sind seine Vorhaben?
Eine „State of the Union“-Rede (Sotu) hält der Präsident jedes Jahr. Die zu Beginn einer Amtszeit hat besonderes Gewicht. Er skizziert sein Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre. Traditionell gelten 90 Prozent der Innen- und Wirtschaftspolitik, das Ausland kommt nur am Rande vor.
Barack Obama hat in der Nacht zu Mittwoch im Kongress eine ehrgeizige Liste von Vorhaben ausgebreitet. Welche kann er verwirklichen – und welche erwähnt er nur, weil seine Wähler diese Bekenntnisse erwarten? Nach einer Übersicht der „New York Times“ darf es als Erfolg gelten, wenn ein Präsident ein Viertel seiner Sotu-Pläne oder mehr in die Tat umsetzen kann.
Zwei Einschränkungen machte Obama gleich eingangs. Mit einem Kennedy-Zitat nahm er die oppositionellen Republikaner in die Pflicht: „Es ist meine Aufgabe, die Lage der Nation zu beschreiben – und die Aufgabe aller, sie zu verbessern.“ Die Macht ist geteilt. Obama wurde wiedergewählt, die Konservativen haben jedoch die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verteidigt. Wo sie sich nicht einigen, herrscht Blockade.
Zudem sind die USA hoch verschuldet – die 16,4 Billionen Dollar entsprechen mehr als hundert Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) – und operieren seit Ausbruch der Finanzkrise mit einem dramatischen Budgetdefizit. Die Steuereinnahmen decken nur zwei Drittel der laufenden Ausgaben ab. Jedes Jahr ist eine Billion Dollar neuer Schulden hinzugekommen, 2013 werden es erstmals etwas weniger sein.
Obama sagte, seine Vorschläge dürften nicht einen Dollar zusätzlich kosten und müssten durch Umschichtung im Haushalt finanziert werden. An dieser Stelle applaudierten auch die Republikaner. Ansonsten war die ideologische Spaltung während der einstündigen Rede unübersehbar. Meist sprangen nur die Demokraten auf, um ihm Beifall zu spenden.
WIRTSCHAFT UND SOZIALES
Die Rezession ist überwunden, die Soldaten kehren aus den teuren
Einsätzen im Ausland zurück, berichtete Obama. Amerika habe
begonnen, den Anstieg der Ausgaben zu bremsen und die Einnahmen
durch höhere Steuern für die Allerreichsten zu steigern. Er
distanzierte sich aber vom „Sequester“: den Kürzungen beim Militär
und laufenden Sozialausgaben, die beide Lager 2011 gemeinsam
beschlossen haben und die nun im März greifen sollen.
Auch die Republikaner tun so, als hätten sie nie dafür gestimmt. Amerika steht vor dem selben Problem wie die EU-Staaten. Um die Finanzen zu sanieren, müssen die Regierungen sparen. Wenn der Staat weniger ausgibt, sinken jedoch die Wachstumsraten und droht womöglich eine Rezession. Auf diesem Gebiet wird der ideologische Streit anhalten. Beide Lager wollen das Wachstum ankurbeln, Obama durch ein Ende des Spardrucks. Die Republikaner propagieren weniger Staat und Steuererleichterungen für die Privatwirtschaft, wie ihr neuer Nachwuchsstar Marco Rubio in seiner Entgegnungsrede betonte.
Obama möchte mehr für Forschung und Bildung tun, in den Energieausbau investieren und die verschlissene Infrastruktur des riesigen Landes reparieren. Nur in wenigen Fällen lieferte er Finanzierungsvorschläge mit – zum Beispiel will er einen Teil der Einnahmen aus den Lizenzen für die Öl- und Gasförderung für ein Energiesparprogramm verwenden. Deutschland beschrieb der US-Präsident als Vorbild für Amerika, vor allem in der Berufsausbildung und indirekt auch bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch alternative Energien. Er lobte den Siemens-Konzern, der viele hundert Jobs in die USA gebracht habe.
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GESELLSCHAFTLICHE REFORMEN
Im Mittelteil der Rede hielt es die Demokraten selten auf den
Sitzen. Immer wieder gab es „standing ovations“, als Obama ihre
Lieblingsthemen ansprach. Bei der Reform des Immigrationsrechts
werden die Republikaner wohl mitmachen. Sie müssen sich für die
Latinos öffnen, wenn sie künftig nationale Wahlen gewinnen
wollen.
Die Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 7,25 auf neun Dollar pro Stunde samt einer automatischen Steigerung um die Inflationsrate fand keinen Beifall der Republikaner. Auch als der Präsident staatliche Eingriffe zur Gehaltsangleichung von Frauen und Männern und zur Gleichstellung von Homosexuellen propagierte, klatschten nur die Demokraten.
AUßENPOLITIK UND ABRÜSTUNG
Aus dem Irak sind die US-Soldaten heimgekehrt. Aus Afghanistan
wurden bereits 33 000 abgezogen; 2013 sollen weitere 34 000 folgen.
Die große Abrüstungsinitiative, die manche Medien voreilig
angekündigt hatten, schrumpfte auf einen einzigen Satz zusammen. Er
wolle mit Russland über eine weitere Reduzierung der Atomwaffen
sprechen, sagte der Präsident. Zu Nordkorea waren es zwei Sätze:
Das Land müsse seine internationalen Verpflichtungen einhalten.
Provokationen wie der Atomtest vom Montag führten nur zu weiterer
Isolierung. Der Iran müsse rasch über sein Atomprogramm verhandeln.
Sonst „tun wir, was nötig ist, um sie vom Erwerb von Atomwaffen
abzuhalten“, drohte er.
Obama kündigte Verhandlungen über eine umfassende Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft mit der Europäischen Union an und ordnete das als Exportförderung zur Sicherung gut bezahlter amerikanischer Jobs ein. In der Rede war das Abkommen mit Europa nachgeordnet. Zuerst sprach er über die transpazifische Partnerschaft.
WAFFENRECHT
Die emotionalste Passage hatte Obama für den Schluss aufbewahrt:
eine Verschärfung der Waffenkontrolle. Allein kann er da wenig
entscheiden. So steigerte er den öffentlichen Druck. In der Loge
der First Lady und in den Zuschauerreihen saßen Angehörige der
Opfer des Schulmassakers von Newtown und anderer Schießereien.
„Wenn sie mit Nein stimmen wollen, ist das ihre Wahl“, warnte er
die Republikaner. „Aber jeder einzelne Vorschlag hat es verdient,
dass darüber abgestimmt wird.“
Allein in den zwei Monaten seit dem Schulmassaker in Newtown seien mehr als tausend Amerikaner durch Waffengewalt gestorben. Es ist ein Vorgeschmack auf die Dramaturgie der zweiten Amtszeit. Um etwas zu erreichen, muss Obama teils um die Kooperation der Republikaner werben, teils sie unter Druck setzen, indem er die Öffentlichkeit für seine Vorhaben gewinnt. Am Mittwoch brach der Präsident nach North Carolina auf: zur ersten von mehreren Redeauftritten quer durch das Land.
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