- Verdi verkauft Besitzstandswahrung als Sozialpolitik
Die Angestellten bei Bund und Kommunen gönnen sich einen kräftigen Schluck aus der Lohnpulle. Die Interessen derer, die das alles bezahlen müssen, nimmt offenbar niemand mehr wahr
Gönnerhaft lobt Frank Bsirske „das faire Ergebnis“ und vermeidet jegliches Triumphgeschrei. So kann Thomas de Maizière wenigstens das Gesicht wahren und für die Fernsehkameras eine klare Niederlage zum „guten Kompromiss“ umdeuten. In Wahrheit hat die Gewerkschaft Verdi nicht nur einen Sockelbetrag von mindestens 90 Euro im Monat für alle Angestellten beim Bund und in den Kommunen durchgesetzt, sondern 90 Prozent der Gewerkschaftsforderungen. Sie geht als klarer Sieger vom Platz. Ein so leichtes Spiel hat selbst die Große Tarifkommission überrascht, die sich am Dienstag auf eine lange Verhandlungsnacht eingerichtet hatte.
Doch offenbar scheint niemandem aufzustoßen, dass der Bundesinnenminister de Maizière als Verhandlungsführer der öffentlichen Arbeitgeber einen schlechten Job gemacht hat. Man habe „Verständnis für den Wunsch nach einer sozialen Komponente gehabt“, gibt der CDU-Politiker zu Protokoll – und kein Bürgermeister widerspricht. Nicht einmal jene Stadtoberhäupter klagen über diesen teuren Tarifabschluss, die finanziell längst den Offenbarungseid leisten müssten und wahlweise nach Finanzspritzen rufen, Gebühren erhöhen oder Leistungen kürzen müssen.
Staatsbedienstete entscheiden über eigene Löhne
Warum auch? Auch sie profitieren von diesem Abschluss. Jedes ausgehandelte Zehntelprozent fließt früher oder später auch in die Gehaltsabrechnung der Stadtoberhäupter und Minister ein. Schon hat de Maizère angekündigt, das Ergebnis wirkungsgleich auf die Beamten zu übertragen – und damit auch auf die Pensionäre, die ohnehin gegenüber Sozialrentner privilegiert sind.
Damit nicht genug: Die Tarife beim Staat sind Schrittmacher bei allen halbstaatlichen Organisationen. Das reicht von den Hochschulen bis zu den Sparkassen. Selbst die Beschäftigten bei Wirtschaftsverbänden wie IHK oder Handwerkskammer ernten die Früchte, wenn Busfahrer den öffentlichen Verkehr lahmlegen und mit überzogenen Warnstreiks „Druck machen“. Und da zeitgleich auch in vielen Redaktionen gestreikt wird, gibt es auch keine kritische mediale Begleitung. ARD und ZDF sind ohnehin Teil des Staatsdienstes.
Doch während beim öffentlich-rechtlichen Gebührenfernsehen „Staatsferne“ selbst vom Bundesverfassungsgericht gefordert wird, stört sich offenbar niemand daran, dass beim Staat die Bediensteten selbst über ihre Löhne entscheiden. Hier sitzt kein neutraler Dritter am Tisch, auch kein Vertreter einer „gesellschaftlich relevanten Gruppe“. Das wäre in diesem Fall etwa der Bund der Steuerzahler oder die Vertretung der Selbstständigen.
Also können Bund, Länder und Gemeinden ungestört Tarifverträge auf Kosten Dritter aushandeln. Überzieht die Gewerkschaft IG Metall ihre Forderungen, zahlen dies die Mitglieder früher oder später mit Jobverlust, weil ihr Unternehmen nicht mehr konkurrenzfähig ist. Beim Staat gibt es dieses Regulativ nicht. Hier werden eben einfach die Gebühren erhöht oder Leistungen gestrichen. Darüber klagt dann der Bürger, der zuvor noch Mitleid mit der „armen Kindergärtnerin“ hatte, die mit rund 2800 Euro im Monat so schlecht gar nicht verdient.
Feigheit im Amt
Die sogenannten Vertreter des Staates halten es nicht einmal für nötig, sich offensiv mit den Verdi-Forderungen auseinander zu setzen. Jahr um Jahr lassen sie sich als „knausrige Arbeitgeber“ beschimpfen, anstatt die Vorzüge vorzurechnen: Sicherer Arbeitsplatz, umfassende Versorgung bis ins hohe Alter, klar geregelte Dienstzeiten und großzügige Möglichkeiten für Teilzeitarbeit bei voller sozialer Absicherung. Sie widerlegen auch nicht die Mär von den angeblichen Wettbewerbsnachteilen gegenüber der freien Wirtschaft. Gerade in den unteren Einkommensgruppen ist die öffentliche Hand um ein Vielfaches attraktiver als die Privatwirtschaft. Der Sockel von 90 Euro bedeutet, dass alle Einkommensgruppen unter 3000 Euro deutlich mehr bekommen, als die offiziell angegebenen drei Prozent. In der untersten Entgeltgruppe E 1 sind es stattliche 7,6 Prozent mehr. Hinzu kommen mehr Urlaubstage, die auch ein geldwerter Vorteil sind. Der Gehaltssprung liegt damit fast fünffach über der aktuellen Preissteigerungsrate von 1,7 Prozent.
Diese ständige Sockelei bei den Tarifen verstärkt den Privatisierungsdruck. Sie nützt nur denen, die bereits im System sind. Verdi betreibt also vor allem Mitgliederwerbung durch Besitzstandswahrung – und verkauft dies als „Sozialpolitik“. Wenn der öffentliche Dienst Konkurrenzprobleme hat, dann bei der Gewinnung von Spezialisten wie Ingenieuren oder IT-Experten. Doch die sind in der Regel nicht gewerkschaftlich organisiert. Dass die Vertreter der Bürger – Minister und Bürgermeister – diese Umverteilung zu Lasten der langfristigen Daseinsvorsorge unwidersprochen geschehen lassen, kann man auch als Feigheit im Amt bezeichnen.
In diesem Klima der Gier verwundet es nicht, dass selbst die höchstbezahlten Piloten der Lufthansa für sich eine „Gerechtigkeitslücke“ ausmachen. Die Spitzenverdiener der Lüfte sind schlicht maßlos: Beim Streik, der gleich drei Tage dauert und rund 450 000 Reisende in Geiselhaft nimmt; und bei den Forderungen, auch als Frühruheständler Traumgehälter zu beziehen. Das ist Egoismus pur: Die Piloten stellen nur zwölf Prozent der Lufthansa-Beschäftigten, beanspruchen aber über ein Drittel der Personalkosten. Aber offensichtlich hat die (mediale) Öffentlichkeit selbst dafür Verständnis. Irgendwie gehört die einstige Staatslinie ja immer noch zum Allgemeingut. Nur zum Fliegen nehmen wir dann den Billigheimer. Diese Alternative gibt es für den Steuerzahler bei Bund, Ländern und Gemeinden nicht. Aber die Mehrheit will ja eher mehr als weniger Staat. Das kostet eben.
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