- Der Gast auf der Anklagebank
Guantanamo, NSA, Drohneneinsätze - die Deutschen erwarteten von Obama nichts als Erklärungen und Entschuldigungen. Deutschland ist ein schlechter Gastgeber. Eine kleine Stilkritik aus aktuellem Anlass.
Und dann stiegen die Obamas am späten Mittwochabend in ihr Flugzeug, drehten sich noch einmal kurz um, verschwanden ins Innere der „Air Force One“. Barack Obama ließ Mineralwasser kommen, besänftigte seine Frau Michelle und die beiden Kinder und murmelte nur: „Nie wieder Berlin!“
So könnte es immerhin gewesen sein, oder? Doch der Reihe nach. Der US-Präsident war schon vor langer Zeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeladen worden. Nicht er hatte sich ihr aufgedrängt, sondern sie ihn gebeten zu kommen. Einen besonderen Grund gab es nicht, sieht man einmal davon ab, dass es eine Art überfälliger Antrittsbesuch war.
Die deutsch-amerikanischen Verhältnisse sind stabil und gesund. Alles Wichtige konnte vorher am Rande des G-8-Gipfels besprochen werden. Deshalb brachte Obama seine Familie mit. Das sollte signalisieren: Wir kommen wirklich als Gast, interessieren uns für mehr als ein paar Pressekonferenzen.
Das Hauptinteresse des Gastgebers indes war nicht die Frage, wie man es schafft, dass der Gast sich in Berlin rundum wohl fühlt, sondern ob er ein guter Gast sein würde. Guantanamo, NSA-Datensammlung, Drohneneinsätze – Obama müsse sich erklären, entschuldigen, den richtigen Ton finden, uns entgegenkommen. Tausend Erwartungen lagen plötzlich in der Luft. Verdächtigungen wurden gestreut, der Gast saß da, wo man ihn in Deutschland am liebsten sieht – auf der Anklagebank. Vielleicht markiert das den entscheidenden Unterschied zu der Visite von John F. Kennedy vor 50 Jahren. Damals hatte man in Berlin noch ein Gespür dafür, was ein Gast und was ein Gastgeber ist.
Diesmal dagegen wurde der ganz große Zeigefinger ausgefahren. Obama musste sich folglich nicht mehr eingeladen, sondern herbeizitiert fühlen. Der Ton ihm gegenüber wurde fordernd. Ungeduldig, fast nervös war die Stimmung, alle Hoffnungen lagen plötzlich auf seiner Rede vor dem Brandenburger Tor. Für den amerikanischen Präsidenten war sie eine von vielen. Bereits am Anfang stellte er klar, dass nichts Aufregendes zu erwarten sei, weil nicht einmal seine Frau und die Töchter anwesend seien. Das heißt: Etwas Wohlfühlpropaganda, Friede, Wohlstand, Sicherheit, Rechte für alle, gegen Armut und so weiter. Was man in Deutschland eben so sagt, wenn man als Amerikaner gemocht werden will.
Für Obama war das ein Entgegenkommen. Natürlich hätte er mehr Mut für ein paar Zumutungen zeigen können. Er hätte an die Verantwortung der Deutschen appellieren können, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa effizienter zu bekämpfen. Er hätte ihren niedrigen Verteidigungshaushalt beklagen können. Er hätte die protektionistischen Kalküle kritisieren können, die ein Freihandelsabkommen erschweren. All das – und noch viel mehr hätte man ihnen um die Ohren hauen können. Doch Obama demonstrierte Statur, blieb höflich und galant.
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Das Publikum war dennoch enttäuscht. Das Mindeste wäre nach dessen Geschmack die sofortige Schließung von Guantanamo gewesen, die Zerschlagung der NSA und die Beendigung des Antiterrorkampfes. Alles darunter lohne den Aufwand nicht, die strengen Sicherheitsvorkehrungen, die Straßensperren.
Abgeholt worden war Obama am Dienstag in Tegel von Guido Westerwelle, am Abend danach, in brütender Hitze in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses, saß BDI-Präsident Ulrich Grillo neben ihm. Was soll man mehr sagen? Glauben wir wirklich, er habe sich bei uns rundum wohl gefühlt und als Gast willkommen? Jede Wette: Noch einmal kommt dieser Präsident nicht nach Berlin. Vielleicht ist es für alle Beteiligten sogar das Beste.
Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.
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