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Europa und die Krim-Krise - Der Provokateur heißt Putin

Die EU und den Westen für Putins imperiale Außenpolitik verantwortlich zu machen, greift zu kurz. Nichts rechtfertigt den Einmarsch russischer Truppen. Eine Antwort auf Gabriele Krone-Schmalz

Autoreninfo

Judith Hart ist Ressortleiterin Weltbühne bei Cicero

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Das Argument ist recht simpel: Russland werde in den westlichen Medien einseitig die Schuld zugeschoben für die Krise in der Ukraine und auf der Halbinsel Krim. In Wirklichkeit trage vor allem der Westen die Verantwortung, so die These von Gabriele Krone-Schmalz in ihrem Debattenbeitrag für Cicero Online. Schließlich habe man wieder einmal versäumt, Russland ins Boot zu holen. Wenn’s denn so einfach wäre. Tatsächlich ist die jetzige Krise wohl eher dem Umstand geschuldet, dass Russland sich nicht ins Boot holen lässt – oder nur unter der Bedingung, das Steuer selbst zu übernehmen.

Ja, die Europäische Union hat ungeschickt agiert. Im Zusammenhang mit dem Assoziierungsabkommen ließe sich der EU einiges vorwerfen. Sie hat vor allem die strategische Bedeutung unterschätzt, die ein solches Abkommen mit der Ukraine hat. Eine Reform und Liberalisierung der ukrainischen Ökonomie hätte langfristig Viktor Janukowitschs Oligarchen-Kleptokratie existenziell gefährdet. Die EU war nicht darauf vorbereitet, dass Janukowitsch mit ihr Katz und Maus spielen und das Abkommen im letzten Augenblick nicht unterzeichnen würde. Und die EU hatte in der Tat Putins Großprojekt nicht verstanden – obgleich Moskau mit handfestem „Bullying“ bereits Moldawien und Armenien in eine Zollunion gedrängt und Georgiens Annäherung an die Union verhindert hatte. Putin will eine „Eurasische Union“, deren Zweck nicht die Integration potenziell gleichberechtigter Staaten in der unmittelbaren Nachbarschaft ist, sondern die imperiale Wiederherstellung russischer Vorherrschaft.

Wer nicht für Putin ist, ist gegen ihn
 

Mitnichten hat man die Ukraine vor die Wahl gestellt, wie Krone-Schmalz behauptet. Vielmehr haben die EU-Verhandlungspartner sich der Illusion hingegeben, auch Russland würde Reformen der eigenen Klepto-Ökonomie leichter fallen, wenn das Bruderland Ukraine erst einmal auf diesem Weg gebracht würde. Die scharfe Alternative stellt sich nur in Putins Gedankenwelt: Wer sich in Richtung „dekadenten Westen“ begibt, wer nicht Teil des Systems Putin ist, das auf Loyalität zum ihm persönlich beruht, ist gegen ihn.

Eben dies – ein Loyalitätsgeflecht zweier korrupter Systeme – wollten die Demonstranten nicht; die übrigens keineswegs nationalistische Banden gewesen seien, die an der Gewalt mindestens genau so Schuld trügen wie Janukowitsch selbst. Was nicht zuletzt durch die Hartleibigkeit Janukowitschs erst zum Aufstand wurde, begann mit Protesten linker Studenten, konstatiert der Yale-Historiker Timothy Snyder, (der mit „Bloodlands“ ein ultimatives Werk zur Geschichte der Ukraine der Jahre 1932 bis 1947 vorgelegt hat) in einem Aufsatz in der New York Review of Book. Als es Prügel durch Janukowitschs Spezialkräfte setzte, kamen ihnen Veteranen des Afghanistankrieges zur Hilfe, um „die Jugend dieses Landes zu verteidigen“. Dann erst strömten Hunderttausende auf den Maidan, empört, weil Janukowitsch ihnen ein Abkommen vorenthielt, das ihnen den Weg zu einer EU ebnete, die für viele Ukrainer mehr bedeutet als Freihandel – nämlich Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.

Kein Putsch in Kiew
 

Waren unter den Demonstranten und sind in der jetzigen Übergangsregierung auch Nationalisten und Faschisten? Ja, und es wird in der Tat zu klären sein, ob sie tatsächlich auch Scharfschützen stellten. Sie aber waren zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit. Ganz anders, als die Putin-Regierung behauptet, gab es in Kiew keinen Putsch. Janukowitsch wurde vielmehr vom Parlament abgesetzt, nachdem seine eigenen Parteimitglieder die Fronten gewechselt hatten. Die Ukraine braucht auch keinen Schutz vor „Faschismus und Antisemitismus“ – russisch-sprachige Schriftsteller haben dies in einem offenen Brief deutlich gemacht, die Jüdische Gemeinde der Ukraine hat dies deutlich gemacht, und auf dem Maidan selbst starben Russen wie Juden, weil sie gegen Janukowitsch demonstriert haben. Ginge es tatsächlich um die Bekämpfung von Antisemitismus und Nationalismus, hätte Putin reichlich im eigenen Land zu tun.

Um die Mär aufrecht zu erhalten, dass für die derzeitige Krise vor allem der Westen, aber keinesfalls auch Russland verantwortlich zu machen sei, werden immer wieder gerne drei Argumente herangezogen: Man hat Russland verärgert, (wahlweise verstört, misstrauisch gemacht, zur Reaktion gezwungen), weil der Westen sein Versprechen gebrochen habe, keine Länder des ehemaligen Warschauer Pakts in die NATO aufzunehmen. Die Ukraine sei ja gar kein wirklich eigenständiges Land, sondern von großer historischer Bedeutung für Moskau – sie an den Westen binden zu wollen, muss geradezu „solche“ Reaktionen hervorrufen. Schließlich sei die Krim, die Chruschtschow, wie Krone-Schmalz bemerkt, ja erst 1954 der Ukraine „schenkte“, in seiner Bevölkerungszusammensetzung zu 60 Prozent russisch, danach folgten Ukrainer mit 23 Prozent und mit 12 Prozent die Krimtataren. Was auf den ersten Blick mit einigem Wohlwollen noch einigermaßen schlüssig wirken mag, offenbart beim genaueren Hinsehen seine ganze Absurdität.

Russlands NATO-Paranoia
 

Hätte der Westen tatsächlich darauf verzichten sollen, die mittel- und osteuropäischen Staaten in die EU einzubinden, ihnen aber die NATO-Mitgliedschaft zu verweigern? Hätte Deutschland den Polen oder den baltischen Staaten wirklich mitteilen sollen, dass sie, die nun wahrlich keinen Grund haben, Russland zu vertrauen, auf einen Schutz zu verzichten haben? Wie wäre die Entwicklung dieser Staaten wohl verlaufen, wenn es nicht den Anreiz der EU-Mitgliedschaft gegeben hätte – der mit einigem Automatismus auch eine NATO-Mitgliedschaft folgt? Hätte der Westen auf seine eigenen Gestaltungsmöglichkeiten verzichten sollen, weil Russland nach wie vor unter einer veritablen NATO-Paranoia leidet?

Ein solches, in seinem Grund ungeheuer arrogantes Argument macht die Staaten Mittel- und Osteuropas zum Spielball der Mächte – vor allem Russlands –, weil es nicht im geringsten berücksichtigt, was sich die Gesellschaften dieser Staaten für die eigene Zukunft wünschen. Im Fall der Ukraine – so wie das zuvor schon bei den anderen ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts der Fall war –, stand auf dem Wunschzettel jedenfalls nicht: Fortsetzung der „engen Partnerschaft mit Russland“. Der ukrainische Schriftsteller Mykola Rjabtschuk zitierte jüngst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Umfrage vom Februar dieses Jahres. Danach wollte niemand in der Westukraine einen gemeinsamen Staat mit Russland, in der Region Charkow befürworteten dies 15 Prozent, in Donezk 33 Prozent und selbst auf der Krim nur 41 Prozent.

Nichts rechtfertigt Einmarsch russischer Truppen
 

Nichts also rechtfertigt den Einmarsch russischer Truppen – oh pardon, ukrainischer Sicherheitskräfte, die sich, so Putin, „in irgendwelchen russischen Läden Uniformen gekauft haben“ – auf der Krim. Das Argument, man müsse die russische Bevölkerung schützen, ist irrwitzig. Niemand hat die russische Bevölkerung bedroht, geschweige denn angegriffen. Der „Schutzauftrag“ ist ein lächerlicher Vorwand, auf der Krim einen Konflikt zu schaffen, der vielleicht „eingefroren“ wird, so wie der Konflikt um Abchasien oder Süd-Ossetien, aber weiter existiert und damit langfristig einen Beitritt der Ukraine zur EU verhindert – ohne dass Russland etwas wirklich Tragfähiges zur Weiterentwicklung der Ukraine oder der Krim beitragen könnte.

Noch lächerlicher wird der Vorwand durch die Tatsache, dass Putin bis zum Beginn der Krim-Krise das Nichteinmischungsprinzip zur Leitlinie russischer Politik erklärt hat. Jedenfalls in Syrien, wo Moskau jedes Eingreifen mit diesem Argument verhindert hat, um den syrischen Staatschef Baschir al-Assad zu schützen und an der Macht zu halten.

Gänzlich absurd wird diese Begründung aus der Imperialismus-Mottenkiste des 19. Jahrhunderts, wenn man sie nur zu Ende denkt: Hätte die Türkei nun das Recht, ebenfalls Truppen zu entsenden, um die türkisch-stämmigen Tataren auf der Krim zu schützen? Oder wie wäre es, wenn Peking das Recht für sich in Anspruch nähme, chinesische Staatsbürger zu schützen, die in nicht geringen Teilen Ost-Sibiriens längst schon eine Mehrheit stellen?

Schuldzuweisungen helfen nicht notwendigerweise aus Krisen. Etwas hellsichtigere und vor allem auf Realitäten beruhende Analysen der Beweggründe aller Beteiligten aber schon.

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