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Eurokrise - Nationale Referenden sind nicht demokratisch

Kolumne: Leicht gesagt. Die EU ist in Gefahr: Sie ist gespalten wie nie. Griechenlands Ausscheiden aus der Euro-Zone könnte die Westbindung des langjährigen Kernlands Europas kappen. Sollten die Griechen am Ende EU und Nato verlassen, hätten Tsipras´ Ideologen möglicherweise ihr wahres Ziel erreicht

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich nicht mehr leicht, dass Griechenland gehalten werden muss. Was jüngst noch als schlimmste Konsequenz galt, scheint heute die Mehrheiten in den Euro-Staaten nicht mehr zu beunruhigen: dass nicht nur Griechenlands Mitgliedschaft in der Euro-Zone auf dem Spiel steht, sondern auch sein Verbleib in der EU und der Nato.

Die ganze Westbindung – dahin. Egal, scheinen viele zu denken. Selbst Schuld, Griechen. Ihr habt es nicht anders gewollt und deshalb auch nicht anders verdient. Ganz falsch klingt das nicht, ganz richtig allerdings auch nicht.

Im Wort Schulden steckt Schuld, und wer die partout nicht eingestehen will, ist schlecht aufgehoben in einer Gemeinschaft. Aber jeder weiß auch: reißt ein Glied, dann ist die stabilste Kette zerstört. Das Ganze hängt eben an allen.

Referendum in Griechenland: Symbol der Uneinigkeit
 

Doch geht es noch um das Ganze? Vielen in Europa eben nicht mehr: Griechen verbrennen das Gemeinschaftsbanner. Das Greferendum hat erstmals schwarz auf weiß gezeigt, wie tief gespalten ein EU-Mitglied ist in seiner Haltung zu Europa.

Und zwar ein Kernstaat. Auch wenn Griechenlands Regierende ihr Land vor anderthalb Jahrzehnten ins Innerste der EU, nämlich in die Euro-Zone, hineingemogelt haben: Das Volk hat sich vor vier Jahrzehnten den Weg in die westliche Gemeinschaft erkämpft. Die Obristen-Herrschaft war gestürzt. Die Nato nahm das Land wieder auf und schließlich wurde es 1982 Teil der EWG.

Nun könnte diese lange Strecke zu Ende sein. Vielleicht ist es sogar bewusst provoziert von einer national-kommunistischen Regierung, welche die Westbindung ihres Landes keineswegs für das höchste Gut hält. Der zügige Rückweg, der elend zu werden droht, ist nicht auszuschließen. Nicht nur die Nato ist besorgt wegen des möglichen Grexit. Sondern jeder, der die Folgen für Europa als Ganzes sieht: „Ein Grexit ist kein finanzmathematisches Problem, wo es nur um eine neue Währung am Ende geht“, sagt der Grünen-Haushälter Tobias Lindner dem ZDF. „Sondern es kann dazu führen, dass Europa am Rand zerbröckelt.“

Längst zeigen sich Risse in Europa, die durch den ewigen Streit um Griechenland nur größer werden. Das ist neu – und kann tödlich sein für die Union. Denn die EU hat kein Volk, sie hat viele Völker. Sie braucht den Konsens, den stetigen Kompromiss zum Überleben.

Das war stets langwierig und teils für manchen politischen Beobachter auch langweilig. Einigen die sich immer noch nicht? Können die in Brüssel nicht mal klar sagen: bis hierhin und nicht weiter? Warum lassen die sich so vorführen? Diese Vorwürfe, die nun jeder im Munde hat gegen Griechenland, gab es immer wieder gegen immer andere: von Thatchers Großbritannien bis hin zu Kaczyńskis Polen.

Die Mär von der bösen EU
 

Demokratie strengt an. Demokratien in der Mehrzahl sind noch anstrengender. Und die EU ist ein Bündel davon. Die Regierung Tsipras hat es geschafft, Konsens und Kompromiss der Mehrheit der Griechen als, „Erpressung und Nötigung“ weis zumachen. Die EU sei gegen die Griechen. Die müssten sich dagegen wehren: Oxi! Durch nationalpopulistische Propaganda lassen sich Menschen besonders leicht hochputschen, wenn es ihnen schlecht geht. Historisch ist das belegt, zum Übel Europas.

Aber auch andere halten inzwischen die EU für bedrohlich. Großbritannien hat ein Referendum angesetzt, „um einen besseren Deal“ für seine Wirtschaft zu verhandeln, wie David Cameron droht. Dänemark wählte eben einen Rechtspopulisten zum Regierungschef, weil er versprochen hat, wieder Grenzkontrollen einzuführen. Ungarns Ministerpräsident Orban ist daheim populär, weil er nun Zäune hochziehen lässt gegen Flüchtlinge. Ungarn! Das Land, welches 1989 die ersten Zäune zerschnitt, damit Menschen aus Osteuropa fliehen konnten.

Jede dieser Regierungen könnte sorglos ein Referendum abhalten für ihre Zwecke. Die Mehrheiten gäbe es – und damit keine Mehrheit mehr für ein gemeinsames Projekt Europa. Deshalb sind nationale Referenden eben nicht demokratisch. Was würden wir machen, wenn einzelne Familien intern abstimmen ließen, ob sie weiter Steuern zahlen wollen in Deutschland? Ignorieren natürlich. So sollte auch das Greferendum gesehen werden.

Europa am Wendepunkt
 

Doch mehr ist zu tun. Europa steht an einem Wendepunkt, sagt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. „Man wird sich überlegen müssen, ob man weitermachen kann, wie bisher. Die Unterstellung, es ist immer zu einem Kompromiss gekommen, gilt nicht mehr. Und es ist fraglich, ob das Mantra der europäischen Politiker, aus allen Krisen ist Europa gestärkt hervorgegangen, auch noch gilt.“

Sollte die Theorie der imperialen Überdehnung stimmen? Dass Reiche zerbrechen, wenn sie zu groß werden? Zu unübersichtlich? Die EU ist mit 28 Staaten und 500 Millionen Bürgern eine recht große und heterogene Gemeinschaft geworden. Doch sie sollte alles tun, daran nicht zu zerbrechen. Eine Chance wäre, den Kern zu stärken. Der Kern, das ist die Euro-Zone. Neue, wirtschaftlich aufstrebende Staaten wie Polen wollen dort hinein. Willkommen!

Es kann sein, dass Griechenland darin nicht zu halten ist. Doch die EU sollte keine Kosten scheuen, damit Griechenland den zweiten und dritten Kreis - EU und  Nato - nicht auch noch verlassen muss. Denn dann wäre die Kette wirklich gerissen – und Tsipras´ Ideologen hätten einen Welterfolg.

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