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Ägypten - Nach dem Putsch gegen Mursi gibt es nur Verlierer

Machtwechsel in Ägypten: Die Armee übernimmt die Macht, die Muslimbrüder haben ihr politisches Kapital auf Jahre verspielt, die bisherige Opposition hat nichts, was sie zusammenhält. Ein Kommentar

Autoreninfo

Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Die Ära Mursi ist zu Ende. Ein Jahr konnte sich der islamistische Präsident an der Spitze halten. Am Mittwochabend zeigten ihm nach Millionen Demonstranten auch die Militärführung die rote Karte und nahm das Steuer Ägyptens wieder in die Hand. Die Verfassung ist ausgesetzt, der demokratisch gewählte Staatschef abgesetzt, das Shura-Restparlament aufgelöst – bei sämtlichen Staatsinstitutionen steht die Uhr wieder auf Null. Ägypten blickt in seiner post-revolutionären Entwicklung nun auf zweieinhalb verlorene Jahre zurück. Und wie weit die Kräfte des gebeutelten Landes für einen neuen Anlauf reichen, kann niemand sagen.

Denn die spektakuläre Staatskrise kennt nur Verlierer. Die Armee wird im Inneren rigoros und ohne viel Rücksichten vorgehen, sonst könnte das ganze Land endgültig aus dem Ruder laufen. Die Opposition mit ihrer Allianz aus Demokratiebewegung und altem Mubarak-Seilschaften hat per Megaprotest den Sturz des ersten demokratisch gewählten Präsidenten am Nil mit heraufbeschworen. Und die Muslimbrüder haben nach achtzig Jahren Untergrund in zwölf Monaten Regierungsmacht ihr politisches Kapital auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte verspielt.

Die Hauptverantwortung für dieses Demokratie-Desaster am Nil liegt bei Präsident Mursi und der Führung der Muslimbruderschaft. Ihr islamistischer Verfassungscoup im letzten November war die politische Ursünde, für die sie nun per millionenfachem Volksprotest und Machtverlust die Quittung bekamen. Mindestens ein Drittel der Bürger fühlte sich durch Mursis autoritäre Überrumpelungstaktik von der Mitgestaltung der post-revolutionären Charta ausgeschlossen. Schon damals bestellte Militärchef Sissi alle Kontrahenten zu einem Runden Tisch ein, den Mursi und seine Muslimbrüder in ihrer Machtverblendung platzen ließen.

 

 

Denn bei ihren ideologischen Großzielen einer islamistischen Staatsordnung und einer Islamisierung der Gesellschaft waren sie niemals zu echten Kompromissen mit der liberalen muslimischen Minderheit oder den koptischen Christen bereit. Beigetragen zu der destruktiven Polarisierung aber hat auch die Opposition. Durchdachte und praktikable Gegenvorschläge zu Mursis Politik hatte sie nie zu bieten. Ihre Führer und Gruppen sind heillos zerstritten, zu keiner konkreten politischen Initiative fähig. Das Einzige, was die Opposition zusammenhält, ist die emotional-rauschhafte Wiederholung der revolutionären Verbrüderung gegen den Mann an der Spitze – erst Mubarak und jetzt Mursi. Doch auch dieser zweite Taumel wird bald verflogen sein und die ungelösten Probleme des zerschlissenen Landes wieder mit geballter Wucht zutage treten.

Die totale Unversöhnlichkeit beider Lager hat das Einschreiten der Generäle am Ende unausweichlich gemacht und könnte eine neue Dimension innerer Gefahren auslösen. Der radikale Teil des islamistischen Spektrums könnte in den Untergrund abtauchen und zu mörderischen Methoden greifen. Was das bedeutet, kennen viele unglückliche Nachbarn bereits zur Genüge - Autobomben und Entführungen, politische Morde und Hinterhalte gegen Ordnungskräfte, ein kompletter Zusammenbruch des Tourismus sowie wirtschaftliches Chaos. Gleichzeitig schafft das Asphalt-Referendum gegen Mursi einen brisanten Präzedenzfall. Denn die Halbwertszeiten des ägyptischen Volksjubels sind kurz. Vor zwei Wochen war die Polizei noch der verhasste Feind aller Bürger, jetzt trugen die Menschen die Uniformierten auf Händen.

Vor vier Wochen war eine neuerliche Machtübernahme durch die Armee das größte Horrorszenario des demokratischen Lagers, jetzt wurde jeder einzelne Militärhubschrauber, der sich über dem Tahrir blicken ließ, mit frenetischem Jubel begrüßt. Wenn Ägyptens Straße für sich das Recht reklamiert, auch künftig mit den Füßen über seine demokratisch gewählten Staatschefs abzustimmen, wird der Mann auf dem Präsidentensessel immer schneller wechseln. Die zähen und vertrackten Probleme des Landes aber, die werden bleiben.

 

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